Anzeige
1 Monat GRATIS testen. Danach zum Jubiläumspreis weiterlesen.
Startseite »

Windige Ferndiagnose

Allgemein

Windige Ferndiagnose
250 Erdradien von unserem Planeten entfernt half die Genesis-Sonde, den chemischen Bauplan unserer Erde zu entschlüsseln.

L1 ist ein wahrlich entlegener Arbeitsplatz – viermal so weit von der Erde entfernt wie der Mond. Zwar haben es Astronauten nie bis dorthin geschafft, trotzdem wurde an diesem abgelegenen Punkt im All schon emsig geforscht: Einige automatische Sonden, insbesondere zur Erkundung der Sonne, nutzten diesen „ Lagrange-Punkt” als Standort für ihre Forschungen (bild der wissenschaft 11/2011, „Der schüchterne Trojaner”). Dazu gehörte auch die Genesis-Sonde der NASA. Ihr Auftrag: Die Partikel eines dünnen elektrisch geladenen Gases einzufangen, das ständig von der Sonne weg strömt: des Sonnenwinds. Fast 900 Tage war Genesis vor Ort und sammelte die solaren Partikel ein, die mit Hunderten Kilometern pro Sekunde auf sie einprasselten.

Die Hinweise auf diesen Teilchenstrom reichen Jahrzehnte zurück. Der Physiker Ludwig Biermann (1907 bis 1986) postulierte Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Existenz einer „solaren Teilchenstrahlung”. Damit erklärte er, warum Kometenschweife stets von der Sonne weg zeigen. Ende der 1950er-Jahre mutmaßte auch der US-Astrophysiker Eugene Parker, dass von der Atmosphäre der Sonne ein geladener „solar wind” ausgehe und prägte damit den bis heute gebräuchlichen Begriff.

Der direkte Nachweis blieb den ersten Weltraumsonden vorbehalten. Heute ist bekannt, dass der Sonnenwind hauptsächlich aus den Bestandteilen des solaren Wasserstoffs zusammengesetzt ist: Protonen und Elektronen. Hinzu kommen zwei bis vier Prozent zweifach positiv geladene Helium-Ionen und geringere Mengen von Ionen schwerer Elemente. Darunter sind Eisen, Sauerstoff und Stickstoff.

BRUCHLANDUNG mit folgen

Als Genesis im September 2004 zur Erde zurückkehrte, misslang die weiche Landung. Die Kapsel mit den kostbaren Sonnenwind-Proben schlug hart im US-Bundesstaat Utah auf. Beim Crash in der Wüste wurden die Proben verunreinigt, was die Laboranalysen des Sonnenwind-Materials komplizierter machte. Es dauerte Jahre, bis die Experten doch noch Informationen aus den Proben herauskitzeln konnten. Im Sommer 2011 publizierten zwei Forscherteams dann im Fachmagazin Science ihre verblüffenden Funde. Sie verweisen auf die Zeit vor der Entstehung unserer Erde.

Anzeige

Von jedem chemischen Element gibt es unterschiedliche Isotope. Das bedeutet: Sie haben zwar dieselbe Zahl von Protonen, unterscheiden sich aber in der Zahl der Neutronen. Daher existieren von derselben chemischen Substanz verschieden schwere Atome. Beispielsweise bestehen alle Sauerstoff-Atome aus acht Protonen, die meisten haben zudem auch acht Neutronen (Sauerstoff-16). Es gibt aber auch schwerere Sauerstoff-Atome, die ein oder auch zwei Neutronen mehr in ihrem Atomkern beherbergen. Diese schwereren Varianten heißen Sauerstoff-17 und Sauerstoff-18.

Wie Kevin McKeegan von der University of California zusammen mit Kollegen nach einer Analyse der Genesis- Proben berichtete, ist der Sauerstoff der Sonne anders zusammengesetzt als der auf der Erde: Die Sonne enthält rund sechs Prozent mehr vom leichten Sauerstoff-16-Isotop als alle felsigen Himmelskörper des inneren Sonnensystems, einschließlich der Erde.

Ähnliches entdeckte ein französisches Forscherteam beim Stickstoff. Hier waren die Differenzen sogar noch größer: Die Erde und die terrestrischen Planeten weisen einen um 40 Prozent niedrigeren Anteil an gewöhnlichem Stickstoff-14 auf als die Sonne. „Zwar unterscheiden sich die Zusammensetzungen der felsigen Planeten auch untereinander”, stellt die deutsche Geologin Veronika Heber aus McKeegans Team fest. „Doch die Differenzen sind viel kleiner als die gemessenen Unterschiede zur Sonne.” Die Sonne repräsentiert die durchschnittliche Zusammensetzung des Sonnensystems, schließlich enthält sie über 99 Prozent seiner Gesamtmasse. Was bedeuten diese Diskrepanzen also?

„Die Erde entstand nicht aus der Durchschnittsmaterie des Sonnensystems”, folgert Veronika Heber, die von Anfang an beim Genesis-Projekt mitwirkte (siehe Interview auf S. 53). Zwar sind Sauerstoff und Stickstoff Hauptbestandteile unseres Planeten, doch das Isotopen-Verhältnis der beiden Elemente muss noch vor der Geburt der Erde durch chemische Prozesse verändert worden sein.

„So sind bestimmte Einschlüsse in Meteoriten, die sogenannten Calcium-Aluminium-rich Inclusions, früher entstanden. Ihre Sauerstoff-Isotope ähneln aber mehr denen vom Sonnenwind”, sagt Heber. Die Erde brauchte für ihre Bildung also länger als die Meteoriten. Welche Prozesse es waren, die damals die irdischen Elemente verändert haben, ist das Thema intensiver Forschung. b

Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Youtube Music
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Löt|pis|to|le  〈f. 19〉 Gerät in der Form einer Pistole zum Löten kleiner Werkstücke, meist in der Elektrotechnik verwandt

Tes|tu|do  〈f.; –, –di|nes〉 1 〈Antike〉 Schutzdach (bei Belagerungen) 2 dachziegelartig gewickelter Verband … mehr

Ana|bio|se  〈f. 19; unz.; Biol.〉 das Wiederaufleben von Pflanzen u. niederen Tieren nach Eintreten günstiger Lebensbedingungen, nachdem zuvor durch lange andauernde Hitze, Kälte od. Trockenheit die Lebenstätigkeit auf ein Minimum herabgesetzt war [<grch. Ana… … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige