Es wird wieder diskutiert über den Strom aus Atom. Das neue Reizwort heißt “Castor-Transporte”. Entsprechend traf das Thema “Kernenergie in Gegenwart und Zukunft” bei “Wissenschaft live” im Deutschen Museum Bonn am 30. Juni den Nerv der Zeit: Wie gefährlich sind die Transporte? Was ist mit der Umweltbelastung durch Kernkraftwerke? Warum nicht statt dessen Sonne, Wind und Wasser? Und: Was passiert mit dem strahlenden Müll?
Das Frage- und Antwortspiel zwischen Schülern und Experten lief über Bildtelefon zwischen Bonn und dem Kernkraftwerk Gundremmingen – Lotse war der vom WDR-Fernsehen bekannte Moderator Ranga Yogeshwar. Die Veranstaltung wurde vom Fernsehen live über den Nachrichtensender “Phönix” gesendet. Beim passenden Stichwort wurde jeweils auf die zugehörigen Überwachungskameras im Kernkraftwerk geschaltet, und wie bei einem Rundgang erläuterte der Chef des Kraftwerks, Gerd von Weihe, wie es im Kraftwerk aussieht, was wo wann passiert – besonders, wenn etwas passiert.
Zwei Schulklassen hatten sich gut auf die Veranstaltung vorbereitet: der Physik-Grundkurs des Friedrich-Ebert-Gymnasiums Bonn mit seiner Lehrerin Dr. Ursula Lange und Schüler aus der Partnerstadt Straßburg vom Lycée Jean Monnet mit der Lehrerin Christine Lauhlère.
Im Museum gab es einige Kernkraft- Requisiten zu bestaunen, die auch bei den späteren Erklärungen unterstützten: ein originales vier Meter hohes Brennelement aus 81 Brennstäben – allerdings ohne “scharfe” Füllung -, Modelle vom Gundremminger Kernkraftwerk und von einem Castor-Transportbehälter. Einige Schülerinnen und Schüler durften gelbe Strahlenschutzanzüge mit Dosimeter, Helm, Handschuhen und Überschuhen anziehen. “Eine recht angenehme Arbeitskleidung”, meinte einer von ihnen, “leicht und nicht zu warm.”
Die Fragen drehten sich zunächst um Arbeitsweise des Kraftwerks, Kosten für Aufbau, Betrieb und Abbruch. “Wieviel kostet der Strom aus Ihrem Kraftwerk?” fragte Anne zum Beispiel. “Die reinen Produktionskosten betragen 4 bis 5 Pfennig pro Kilowattstunde”, erläuterte Gerd von Weihe via Bildschirm. “Dazu kommt etwa 1 Pfennig pro Kilowattstunde für die spätere Beseitigung”, ergänzte Dr. Norbert Eickelpasch, der Fachmann im Museum. In Gundremmingen ist er seit 30 Jahren für Strahlenschutz und Reaktorsicherheit verantwortlich. “Das Geld dafür muß während des Betriebs zurückgelegt werden. Der Abbau des Kraftwerks bis zur ,grünen Wiese` kostet etwa 10 bis 15 Prozent vom Betrag für den Aufbau.” “Wieviel haben Sie denn dafür in Gundremmingen inzwischen im Säckel?” fragte Yogeshwar ergänzend. “Genug. Wir könnten den Abbau schon jetzt finanzieren, obwohl das Kraftwerk gerade erst seine halbe Lebenszeit hinter sich hat.”
Frank fragte: “Wie hoch ist die Strahlenbelastung bei Ihnen in der Schaltwarte?” “Nicht höher als in jedem anderen Betongebäude”, sagte von Weihe. Um die Strahlenbelastung drehten sich auch viele andere Fragen: Was ist mit den ausgedienten, zwischengelagerten Brennelementen in dem Wasserbecken am Kraftwerk? Warum überhaupt Wasser? Was geschieht mit dem Wasser, wenn es ausgewechselt wird?
“Und was passiert, wenn so ein Kernkraftwerk kaputtgeht?” Es war der jüngste Teilnehmer der Diskussion, der achtjährige Daniel, der diese brisante Frage stellte. Von Weihe erläuterte ausführlich die verschiedenen Sicherheitseinrichtungen, jede dreifach ausgelegt, und zeigte sie am Fernsehschirm.
Den nächsten brisanten Punkt steuerte Carolin an: “Ab wann wird Strahlung gefährlich? Was ist mit den Grenzwerten?” “Ein Anhaltspunkt für die Gefährlichkeit ist die natürliche Umgebungsstrahlung”, erklärte Eickelpasch. “Unser Meßgerät hier im Raum zeigt 4,7 Impulse pro Sekunde an. Diese Belastung könnte man verhundertfachen. Gefährlich wird es ab etwa dem Zehntausendfachen.” Eine Besucherin im Museum protestierte: “Das stimmt nicht. Jede Strahlung, auch die natürliche, ist gefährlich!” “Schädigt jede Strahlung die Zelle?” präzisierte Yogeshwar das Problem. “Jede Zelle hat einen Reparaturmechanismus”, antwortete Eickelpasch, “der dafür sorgt, daß schwache Strahlung nicht schadet. Die natürliche Belastung von 2,5 Millisievert darf nach vielen Untersuchungen unbesorgt um das 50fache überschritten werden – damit werden die Zellen fertig. Man hat in Gegenden mit der 100fachen Belastung, zum Beispiel in Indien, ausgiebig nach Schädigungen geforscht und keine festgestellt.”
“Wie geht es weiter mit der Kernkraft? Ist ihr Arbeitsplatz sicher?” will Matthieu, Schüler aus Frankreich, vom diensthabenden Schichtleiter Elmar Lorenz in Gundremmingen wissen. “Die Anlagen werden gewöhnlich länger als 40 Jahre betrieben. Ich selbst brauche mir also keine Sorgen zu machen.”
“Wie ist die Einstellung der französischen Bevölkerung zur Kernenergie, wenn man sie mit der in Deutschland vergleicht?” schlug Ranga Yogeshwar die Brücke zum westlichen Nachbarn. “In Frankreich denkt die Bevölkerung ganz anders als in Deutschland”, sagte Matthieu. “Bei uns wird seit 20 Jahren über 75 Prozent des Stroms aus Kernenergie gewonnen. Der Umgang damit ist viel lockerer und natürlicher. Auch bei uns gibt es viele Transporte unter großen Vorsichtsmaßnahmen, aber das wird einfach sachlich registriert.”
Eine beneidenswerte Einstellung – mögen die Experten gedacht haben. Doch auch skeptische und besorgte Fragen sind wichtig, und sie wurden sachlich beantwortet.
Das nächste “Wissenschaft live”
Der Helgoländer Hummer steht im Mittelpunkt der Diskussion beim nächsten “Wissenschaft live”. Bildschirm-Partner sind die Wissenschaftler der Biologischen Anstalt Helgoland. Diese Insel in der Deutschen Bucht bietet mit ihren felsigen Küsten die einzige Wohnstätte für den “Europäischen Hummer” . Vor 60 Jahren wurden pro Jahr rund 87000 Hummer gefangen, 1992 waren es nur noch 102 Tiere. In der Biologischen Anstalt Helgoland werden jährlich etwa 300 Tiere für Versuchszwecke gehalten. Die im Labor geschlüpften Jungen werden nach vier Jahren ausgesetzt. Die Forschungen sollen klären, ob die standorttreue Population vor Helgoland sich genetisch von anderen europäischen Populationen unterscheidet und wie schwache Erdölverschmutzungen, etwa an der Elbmündung, den Hummer schädigen.
Die Veranstaltung findet statt am 21. Juli 1997, wieder im Deutschen Museum in 53175 Bonn, Ahrstraße 45. Wenn Sie mitmachen wollen, kommen Sie um 17.30 Uhr dorthin.
Fragen schicken Sie bitte vorher an das Deutsche Museum, zu Händen von Dr. Andrea Niehaus.
Wolfram Knapp