Die Zeichen stehen auf Sturm. Wir leben in einer Zeit der Naturkatastrophen. Die Durchschnittstemperatur auf der Erde steigt. Die lebensbedrohliche UV-Strahlung nimmt an vielen Orten zu. Stürme und Überschwemmungen haben 1998 mehr als 300 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, zählte das US-amerikanische Worldwatch Institut.
Welches Ausmaß dieser Klimawandel haben wird, weiß bis heute keiner. In den vergangenen 8000 Jahren war das Klima der Erde relativ stabil. Aber selbst Skeptiker unter den Forschern leugnen nicht die Gefahr, daß der weitere Anstieg der Temperatur die Klimamaschine des Globus über die Schwelle treibt, hinter der das System chaotisch zu werden droht. Dann ist nicht ausgeschlossen, daß wieder eine der großen Umwälzungen der Welt bevorsteht, die das Leben auf der Erde schon mehrfach völlig verändert haben (siehe Kasten “Die großen Sterbezeiten”).
Von einigen dieser früheren Katastrophen hat der Mensch als Art profitiert. Vor 65 Millionen Jahren bot der Untergang der Dinosaurier zunächst den ersten Säugetieren die Möglichkeit zur Entfaltung. Eine globale Erwärmung vor 55 Millionen Jahren begünstigte die Ahnen der Affen und damit langfristig den Homo sapiens. Wie sähe es bei einer weiteren Veränderung aus? Sind die Gene des Menschen schnell genug, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen? Oder kann der Mensch heute durch die Entwicklung der Gentechnik gar aktiv in seine Evolution eingreifen und sie lenken?
Der entscheidende Faktor zur Beantwortung dieser Frage ist die Zeit: Handelt es sich bei der nun schon absehbaren Systemveränderung um einen langsamen, über Jahrmillionen andauernden Prozeß wie vor etwa 250 Millionen Jahren? Damals verschoben sich die Kontinente, die Erdoberfläche durchbrachen unzählige Vulkane. Landmassen vereisten, riesige Binnenseen verschwanden, und der Meeresspiegel sank. Oder dauert der Umwälzungsprozeß nur etwa 10000 Jahre, wie vor 55 Millionen Jahren? Damals schaukelte ein Selbstverstärkungseffekt die Erdtemperatur nach oben. Möglicherweise veränderten Klimaschwankungen die Zirkulation der Meere. Warmes Wasser wurde salziger und dichter und sank nach unten. Dort traf es auf riesige kristalline Methan-Eis-Vorkommen und begann sie aufzutauen. Das entweichende Gas trieb die Temperatur weiter in die Höhe. Viele Arten, darunter auch zahlreiche der damals dominierenden muschelähnlichen Foraminiferen starben aus. Auch heute liegen unter dem Meeresboden noch schätzungsweise 15 Billionen Tonnen Methaneis, die eine weitere Erwärmung der Ozeane aktivieren könnte. Oder verändert sich das Gesicht der Erde mehr oder weniger schlagartig, wie es vor 65 Millionen Jahren geschah?
Damals traf ein Asteroid oder Komet die Erde. Die glühenden Bruchstücke des Himmelskörpers entzündeten weltweit die Wälder, der Aufschlag trieb solche Mengen an Staub in die Atmosphäre, daß zunächst monatelang Nacht und Winter auf der ganzen Erde herrschten. Nachdem sich der Staub wieder gelegt hatte, produzierten die weltweiten Feuer soviel Kohlendioxid, daß sich die Erdatmosphäre wie ein Treibhaus aufheizte (bild der wissenschaft 4/1998, “Die letzten Tage der Saurier”). Die Hauptleidtragenden waren damals die Dinosaurier. Seit 170 Millionen Jahren hatten sie die Erde beherrscht – zu Land, zu Wasser und in der Luft. Als die Erde aber nach dem Kometeneinschlag ein neues Gleichgewicht fand, waren die Saurier verschwunden – verhungert und erfroren.
Wieviel Zeit braucht eine langlebige Art wie Homo sapiens, um sich veränderten Umweltbedingungen anzupassen? Die Forscher können nur schätzen. Die Anpassung der Hautfarbe etwa könnte beim Auszug aus Afrika nach Europa und Asien 40000 Jahre gedauert haben (bild der wissenschaft special “Sonne”, Juni 1999) Andere Wissenschaftler glauben, daß es unter entsprechendem Evolutionsdruck schneller geht. Bei nach Amerika eingeschleppten europäischen Hausspatzen hatten sich schon nach 30 Generationen neue Merkmale durchgesetzt. 30 Generationen – das entspräche beim Menschen einer Spanne von nur 750 Jahren.
Es wäre für Homo sapiens nicht das erste Mal, daß eine Klimaveränderung seine Entwicklung vorantreibt. Nach Ansicht vieler Anthropologen gehen wir auf zwei Beinen, weil sich nach einer großen Eiszeit vor etwa zehn Millionen Jahren weite Teile der tropischen Regenwälder Afrikas zu Steppenlandschaften wandelten. In dieser Umgebung waren ausdauernde Läufer, die den Kopf oberhalb der hohen Gräser hatten, deutlich im Vorteil gegenüber ihren schimpansenähnlichen Verwandten. Das Ergebnis war der Australopithecus.
Auch der nächste Evolutionssprung wurde durch eine Eiszeit ausglöst, vor rund drei Millionen Jahren. Die letzten Wälder, Schutz vor den großen Fleischfressern der afrikanischen Savannen, schrumpften in dem kalten Klima, Australopithecus geriet unter Druck – und verdoppelte seine Hirnmasse. Ein Seitenzweig des Vormenschen entwickelte sich zum Homo rudolfensis und über den Homo ergaster weiter bis zum heutigen Homo sapiens.
Der kann nun aus einem großen und vielfältigen Gen-Pool schöpfen. Schon vor der Entwicklung der modernen Technik bewohnten Menschen so extreme Klimazonen wie die Kalahari-Wüste im südlichen Afrika oder den Rand der Arktis. Die Völker dort entwickelten nicht nur zahlreiche Überlebenstricks – auch ihre Körper paßten sich an. Die Eskimos sind meist kleine und rundliche Menschen. Ihre relativ geringe Körperoberfläche hilft ihnen, Wärmeverluste klein zu halten. Ein regelrechtes Kaloriendepot haben dagegen die Frauen der Buschmänner in der Kalahari entwickelt. Von ihrem Fettsteiß zehren sie in Zeiten, wo die Natur ihnen wenig Eßbares liefert.
Der größte Teil der Menschheit allerdings muß, um seinen Energiebedarf zu dekken, für das Überleben seiner Nutztiere und -pflanzen sorgen. Hier vollführt Homo sapiens gerade einen seltsam anmutenden Balance-Akt:
Auf der einen Seite läßt er viele gut an extreme Klimazonen angepaßte Haustiere und Nutzpflanzen aussterben: genügsame Schafrassen etwa oder Kartoffeln, die sogar in den kalten Hochlagen der Anden gedeihen. Auf der anderen Seite versuchen Molekularbiologen, genau solche Eigenschaften anderen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen gentechnisch einzubauen. Kartoffeln bekommen Anti-Frost-Gene aus arktischen Fischen, Reis erhält Gersten-Gene, die ihn vor Trockenheit und salzigen Böden schützen (bild der wissenschaft 9/1999, “DNA aus USA”).
Die rasante Entwicklung der Gentechnik könnte in absehbarer Zeit sogar möglich machen, was bis vor kurzem als Science-fiction galt: die genetische Verbesserung des Menschen. “Wir sind dabei, die Kontrolle über unsere eigene Evolution zu erlangen”, meint Gregory Stock, Direktor des Programms für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft an der Universität von Kalifornien in Los Angeles.
An Tieren üben die Forscher das schon seit Jahren. Sie pflanzen in das Erbgut von Embryonen neue Eigenschaften, so daß sie die Veränderungen auch an ihre Nachkommen weitergeben. Bisher wird diese Technik beim Menschen nicht eingesetzt, denn keiner kann vorhersagen, wo die neue Erbinformation im Genom des Empfängers landet. Die Folge: viele Gentransfers klappen nicht. Im besten Fall passiert dann gar nichts, oft aber sind die Genempfänger nicht lebensfähig oder kommen mißgebildet zur Welt. Auch die energischsten Gentechnikverfechter finden diese Methode derzeit noch unpassend für Menschen.
Inzwischen gelang den Genforschern jedoch eine wichtige Neuerung: Sie bauen künstliche Chromosomen. Diese Gebilde ähneln der Gerüststruktur des menschlichen Erbguts, enthalten aber keine Gene, sondern nur “Andockstellen” für neue Gene.
Die Idee dahinter: Die Eltern können sich aussuchen, welche Eigenschaften ihr Kind zusätzlich bekommen soll, zum Beispiel Gene auswählen, die bestimmte Erbkrankheiten verhindern oder immun machen gegen Infektionskrankheiten.
Natürlich ließe sich diese Technik auch anders nutzen. Eltern könnten ihre Kinder größer, langlebiger oder blauäugig gestalten – oder ihnen Gene mitgeben, die ihnen helfen, besser mit widrigen Umweltbedingungen fertig zu werden. Ein Beispiel wäre ein verbesserter UV-Schutz für den Fall, daß der Ozonschirm über unserer Atmosphäre noch löcheriger wird.
Die Extra-Chromosomen würden dem Embryo direkt nach der Zeugung im Reagenzglas eingepflanzt, ohne seine natürlichen Chromosomen zu beschädigen. Noch ist diese Technik im Versuchsstadium, aber der Genetiker Mario Capecchi von der Universität Utah ist optimistisch, daß sie auch im Menschen funktionieren wird: “Rein technisch gesehen ist diese Keimbahntherapie bei Embryonen sogar viel einfacher als die bisher getestete Form der Gentherapie an Kindern oder Erwachsenen.”
Der Molekularbiologe Lee Silver, Professor an der Universität Princeton und Gutachter des US-Kongresses, glaubt, daß solche optimierten Varianten des Menschen – in Analogie zu Computerprogrammen quasi “Mensch 2.0” oder “2.5” – recht bald “auf den Markt” kommen werden.
Nobelpreisträger James Watson, einer der Entdecker der DNA-Struktur, hält die gerichtete Evolution des Menschen sogar für ein lohnendes Ziel: “Wenn wir bessere Menschen erschaffen können, indem wir ihnen neue Gene verleihen, warum sollten wir es dann nicht tun? Wenn wir unser Wissen nicht nutzen würden, hätten wir ein ethisches Problem.”
Ob solche absichtlichen Veränderungen das Überleben der Art Mensch sichern, ist aber nicht garantiert. Nach aller Erfahrung ist Evolution nicht planbar. Sie hat kein Ziel, sondern bevorzugt nur bestimmte Genkombinationen, die den augenblicklichen Umweltbedingungen besonders gut angepaßt sind. Manchmal sind dies sogar defekte Gene, zum Beispiel die der Blutkrankheit Sichelzellenanämie, die ihre Träger vor der Malaria schützt. Unter Umständen schützen Extra-Chromosomen vor UV-Strahlen, machen aber ihren Träger gegenüber einem heute noch gar nicht existierenden oder bekannten Krankheitserreger empfindlich. Aus Versehen könnte also eine künstliche Erbgutveränderung mehr schaden als nützen.
Ob der Mensch ein solches Risiko eingehen will oder muß, wenn er in den kommenden Jahrhunderten nicht das Schicksal der Saurier teilen will, hängt von der heute noch nicht absehbaren Geschwindigkeit ab, mit der sich der Klimawandel vollzieht. Wenn es sich nicht wirklich um einen rapiden Wandel handelt, kann das Erbgut mit neuen Anpassungen Schritt halten. Dann hat der Mensch als Art gute Chancen zu überleben, auch wenn Millionen von Einzelmenschen sterben würden.
Wie der Mensch der Zukunft aber aussehen mag? Welche Phantasie hätte ausgereicht sich vorzustellen, daß die Nachfahren der ersten hundegroßen Saurier einmal eine Länge von 50 Metern erreichen würden wie der Seismosaurus oder daß sie soziale Verbände bilden würden, die sich fürsorglich um den Nachwuchs kümmern wie die Maiasaurier? Gemessen an der Lebensspanne der Saurier ist der Mensch erst einen Augenblick lang auf der Welt. Aber er ist auch die erste Art in der Geschichte der Erde, die die Richtung ihrer eigenen Entwicklung selbst beinflussen kann.
Thomas Willke