Die Seele will Dietrich Dörner einer Maschine einhauchen, die er auf den Namen Ψ tauft und fast das ganze Buch hindurch konstruiert. Ψ ist eine auf vier Rädern durch die Gegend rollende Dampfmaschine, die regelmäßig Benzin und Wasser finden muß. Zu Beginn stattet ihr Schöpfer sie deshalb nicht nur mit einer Art Augen aus, sondern auch mit künstlichen Nervenzellen, die deren Bilder auswerten können. Dörner zeigt so, wie Wahrnehmung funktionieren könnte, und warum mit ihr zugleich Halluzinationen entstehen. Fast unmerklich gewinnt die Maschine Züge von Lebewesen. Wäre es nicht sinnvoll, wenn Ψ einen Mangel empfinden könnte, sobald der Benzinvorrat zur Neige geht? Bald wird Ψ in hungrigem Zustand besonders zielstrebig und hektisch nach Treibstoff suchen – ganz wie sein Schöpfer, der bei der Jagd nach Käse kurz vor Ladenschluß Verkehrsschilder nicht mehr so richtig ernst nimmt. Bedeutet diese suggestiv geschilderte Parallelität, daß Ψ Gefühle hat? Kommt drauf an, was man darunter versteht, antwortet Dörner, zählt mehrere Definitionen auf und entscheidet kurzerhand: Wenn etwas bestimmte Zustände kennt, die das ganze Verhalten beeinflussen, dann hat es Gefühle – und damit basta. Um an Wasser und Benzin zu kommen, erweisen sich noch ganz andere Fähigkeiten als nützlich. Die Maschine lernt, logische Schlüsse zu ziehen und kann sich Ziele und Zwischenziele setzen. Sobald sie nicht mehr allein ist auf der Welt, entwickelt sie Sozialverhalten. Die Ψ finden heraus, daß es für alle am günstigsten ist, wenn sie Benzin an einen Genossen abgeben, der es gerade am nötigsten braucht. Eine Moral entsteht – man könnte ja selbst einmal ein Loch im Tank haben. Bald gibt es Liebe und Eifersucht. Schließlich lernen die Ψ, sich durch eine Sprache zu verständigen. Und mit ihr, so glaubt Dörner, kommt auch die Fähigkeit zum Denken und zur Selbstreflexion in die Welt: Das Bewußtsein ist geboren. Kurz, das ganze Buch ist ein riesiges Gedankenexperiment: Wie könnte die Psyche funktionieren? Wahrnehmung, Gefühle, Gedanken – Dörner handelt weite Teile der Psychologie ab und bedient sich dabei eifrig aus deren Theorienfundus. So entsteht quasi nebenbei ein originelles Lehrbuch der Allgemeinen Psychologie. Das Augenmerk Dörners liegt dabei freilich vor allem darauf, ob eine Theorie sich für Ψ nutzen ließe. Ob sie für Menschen zutrifft, ist ihm weniger wichtig. Allerdings trimmt er seinen vierrädrigen Homunculus kräftig in Richtung Homo sapiens. Gegenargumente bleiben dabei auf der Strecke. Viele Fachkollegen sind beispielsweise keineswegs davon überzeugt, daß Denken aus Sprache entsteht. Dafür entwirrt Dörner das ganze psychologieübliche Geflecht widersprüchlicher Theorien und unzähliger Daten. Er nimmt die Leser mit in seine Ψ-Werkstatt und erläutert die Bastelei an seinen Maschinenwesen unbeschwert von deutschem Akademikerjargon. Wer will, kann sich also seine eigenen Gedanken machen, ob die Ψ wirklich so funktionieren würden, wie Dörner es sich denkt. Letztlich wird sich das erst entscheiden lassen, wenn der Bamberger Tüftler sie tatsächlich baut. Viele seiner Ideen existieren ja angeblich schon als Simulationen im Computer.
Dietrich Dörner BAUPLANFÜR EINESEELE Rowohlt Reinbek 1999 832 S., DM 58,-
Jochen Paulus / Dietrich Dörner