Viele Vorteile versprechen piezoelektrisch angetriebene Wanderwellen-Motoren gegenüber konventionellen Elektromotoren: in Medizintechnik und Halbleiter-Industrie, beim automatischen Herunterlassen von Jalousien ebenso wie beim Verstellen von Flugzeugklappen. Doch trotz intensiver Forschung haben die starken Motoren den Sprung vom Prototypen zum serienreifen Produkt noch nicht geschafft.
Mit einer Ausnahme: Der japanische Kamerahersteller Canon baut in seine EF-Objektive Wanderwellen-Motoren als Autofocus-Antrieb ein. Weil die Motoren lautlos arbeiten, kann das Bildmotiv automatisch scharf gestellt werden, ohne daß fotografierte Menschen oder Tiere durch ein Geräusch vorgewarnt werden.
Der geräuschlose Lauf und die hohen Brems- und Beschleunigungswerte verschaffen dem Wanderwellen-Motor einen Wettbewerbsvorteil, der den vergleichsweise hohen Preis aufwiegt. “Er kann sich am Markt dort durchsetzen, wo es weniger auf niedrige Kosten als auf besondere Antriebseigenschaften ankommt”, ist Dr. Hans- Peter Schöner überzeugt. Schöner ist Projektmanager bei Daimler-Benz in Frankfurt, wo Wanderwellen-Motoren intensiv erforscht werden.
Wichtigster Bestandteil der Kraftprotze sind Piezo-Keramiken, die zu Schwingungen angeregt werden, wenn an ihnen eine elektrische Wechselspannung liegt. Klebt man Piezo-Keramiken ringförmig auf eine Metallscheibe – den sogenannten Stator -, so übertragen sie ihre Schwingungen darauf. Die Funktionsweise des Wanderwellen-Motors läßt sich am Beispiel der Brandung veranschaulichen: Mit viel Geschick gelingt es Wellenreitern, sich auf der Spitze der Welle zu halten und von ihr mitgerissen zu werden. Beim Wanderwellen-Motor spielt eine zweite Scheibe – der Rotor – die Rolle des Wellenreiters: Sie wird von den elektromagnetischen Wellenbergen des Stators vorwärtsgetrieben. Die Rotorscheibe überträgt die Bewegung auf eine Antriebswelle – mit einem zehnmal höheren Drehmoment als bei einem konventionellen Elektromotor.
Bei Daimler-Benz sieht man die Zukunft des Wanderwellen-Motors wegen seines Gewichtsvorteils vor allem in der Luft- und Raumfahrt. “Wanderwellen-Motoren eignen sich auch zur Positionierung von Miniaturbauteilen”, nennt Albrecht Otto, Geschäftsführer der thüringischen Firma PI-Ceramic weitere potentielle Anwendungen. Die Ingenieure seines Unternehmens entwickeln Piezo-Motoren mit rohrförmigen Keramik-Elementen, die speziell für den Einsatz im Vakuum optimiert sind. Dabei nutzen sie die Tatsache, daß Wanderwellen-Motoren kein Schmiermittel benötigen.
Frank Frick