Anzeige
1 Monat GRATIS testen. Danach zum Jubiläumspreis weiterlesen.
Startseite »

Tschernobyl – Fakt und Fiktion

Allgemein

Tschernobyl – Fakt und Fiktion

Am 26. April 2001 jährt sich zum 15. Mal die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. An einem Samstagmorgen waren damals nach einer Reihe von Pannen die Kühlpumpen von Block 4 des ukrainischen Kernkraftwerks ausgefallen. Die Notabschaltung mißlang, eine unkontrollierte Kettenreaktion setzte ein, an überhitzten Metallflächen bildete sich ein Luft-Wasserstoff-Gemisch („Knallgas”) – und der Reaktor explodierte.

Erstmals in der Geschichte der zivilen Kernenergie-Nutzung war das Horrorszenario des „Größten Anzunehmenden Unfalls” (GAU) eingetreten. Eine radioaktive Wolke zog über weite Teile Europas. Wissenschaftler warnten vor dem Verzehr von Lebensmitteln wie Gemüse oder Wild. Die damalige Sowjetregierung und ihre Nachfolger in den betroffenen GUS-Staaten evakuierten 400000 Menschen. Block 4 wurde mit einem Beton-Sarkophag versiegelt, und am 15. Dezember 2000 wurde das gesamte Kernkraftwerk Tschernobyl stillgelegt. Um die Zahl der Todesopfer ist es jedoch bis heute nicht still geworden: Die Zahlen sind extrem widersprüchlich. 1994 hatten Betroffenenverbände erklärt, allein unter den rund 200000 sogenannten Liquidatoren – von der Armee rekrutierten Kata-strophenhelfern vor Ort – habe es 7000 Tote gegeben. 1995 sprach das ukrainische Gesundheitsministerium von 300000 Toten, 1996 bezifferte es deren Zahl plötzlich auf 5000. Zur gleichen Zeit ging die Internationale Atomenergiebehörde von 1800 Strahlenopfern aus. Noch vor wenigen Monaten nannten ARD und ZDF die Zahl von 100000.

Der Strahlenbiologe Prof. Albrecht Kellerer von der Univer-sität München – er machte sich 1988 persönlich in Tschernobyl ein Bild von der Lage – meldet an all diesen Zahlen erhebliche Zweifel an: „Das sind abstrakte Schätzungen, die wissenschaftlich nicht belegbar sind. Die von den Ukrainern genannte Zahl von 300000 zum Beispiel ist die Gesamtheit der dort gestorbenen Menschen seit 1986. Hier wurde dramatisiert, um von der Staatengemeinschaft wirtschaftliche Hilfe zu erhalten.” Belegt sei lediglich ein drastischer Anstieg von Schilddrüsen-krebs bei Kindern, meint Kellerer. Doch von den etwa 1800 Erkrankten seien – schlimm genug – bislang weniger als 10 gestorben. Eine vom statistisch Erwartbaren abweichende Zahl von Leukämie-Erkrankungen sei nicht festgestellt worden. Heinz-Jörg Haury vom Münchner Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit meint: „Von den rund 500 Menschen, die anfänglich einer sehr hohen Strahlendosis ausgesetzt waren, sind etwa 150 an den Folgen gestorben. Das ist belegt. Andere Zahlen sind unseriös.” Haury widerspricht damit auch dem Münchner Strahlenbiologen Prof. Edmund Lengfelder, der von 70000 Toten ausgeht und sich dabei auf Schätzungen beruft. Nur 150 Tote durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, und vergleichsweise wenig Folgeschäden? Diese These ist unpopulär. Sie wird allerdings gestützt durch einen Bericht vom Wissenschaftsausschuß der UNO zur Auswirkung von Strah-lung (UNSCEAR) vom vergangenen Jahr. Darin heißt es: „Es gibt keinen Beleg dafür, daß die Bevölkerung, die der Tschernobyl-Strahlung ausgesetzt war, mit ernsthaften langfristigen Gesundheitsschäden rechnen muß.”

Kellerer, dessen Aussagen der UNSCEAR-Report eindrucksvoll bestätigt, will indes nicht immer nur über die Tschernobyl-Toten diskutieren: „Wir kümmern uns viel zuwenig um die Menschen, die durch das Unglück und dessen Folgen psychosoziale Schäden davongetragen haben. Deren Zahl geht nämlich in die Millionen.”

Hans Groth

Anzeige
Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Youtube Music
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Hin|ter|hirn  〈n. 11; Anat.〉 hintenliegender Teil des Hirns: Metencephalon

Lern|ei|fer  〈m.; –s; unz.〉 Eifer, Fleiß im Lernen

Na|tu|ra|li|en|ka|bi|nett  〈n. 11〉 = Naturaliensammlung

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige