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Tod eines Nachbarn

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Tod eines Nachbarn
Supernova-Explosionen bedrohen das Leben auf der Erde. Münchner Physiker fanden kürzlich in Ablagerungen am Tiefseegrund des Pazifik Hinweise, daß vor fünf Millionen Jahren ein Stern ganz in unserer Nähe explodiert ist. Wenn so etwas heute passierte, wäre vielleicht das Leben auf der Erde zu Ende.

Kosmische Ereignisse haben die Entwicklung des Lebens wahrscheinlich viel stärker geprägt, als die Forscher noch vor kurzem annahmen. Und nach den jüngsten Forschungsergebnissen wissen wir, daß dafür nicht nur Meteoriten- oder Kometeneinstürze in Frage kommen, sondern auch Supernovae in unserer Nachbarschaft. Die Asteroiden-Angst grassiert seit 1980: Damals entdeckten Luis Alvarez und sein Sohn Walter von der Universität Berkeley, Kalifornien, in 65 Millionen Jahre alten Tonschichten eine überdurchschnittliche Häufigkeit des schweren Elements Iridium. Es ist in der Erdkruste äußerst selten, da es während der Entstehungsphase der Erde in den Kern abgesunken ist, während es zum Beispiel in Asteroiden noch gleichmäßig verteilt ist. Die nun entdeckte anomale Häufigkeit von Iridium schrieben die Forscher einem mehrere Kilometer großen Asteroiden zu, der am Ende des Erdzeitalters der Kreide in die Erdatmosphäre gerast sein soll, dabei explodiert ist und große Mengen an Iridium freigesetzt hat. Es rieselte auf den Boden nieder, wo es sich ansammelte. Als Folge der gigantischen Explosion – so eine inzwischen weitgehend akzeptierte Theorie – starben die Dinosaurier aus und mit ihnen 90 Prozent aller Tiergattungen. Seit Alvarez’ Fund diskutieren Wissenschaftler verstärkt, inwiefern Himmelskörper auf die Evolution und das Klima unseres Planeten eingewirkt haben. Dabei ist der gewaltigste bekannte Vorgang im Universum bislang kaum beachtet worden: die Explosion eines Sterns, eine Supernova. Dazu kommt es, wenn im Innern eines massereichen Sterns der Brennstoff verbraucht ist. Dann bricht der Kern in Bruchteilen einer Sekunde zu einem hochkompakten Neutronenstern oder einem Schwarzen Loch zusammen. Die äußere Hülle wird abgesprengt und rast mit einigen zehntausend Kilometern pro Sekunde in den Weltraum hinaus. Bei dieser Detonation wird so viel Energie in Form von Strahlung frei, wie unsere Sonne im Laufe von zehn Milliarden Jahren produziert. Das ist jedoch lediglich jener Anteil, den man bei einer Supernova mit Teleskopen wahrnehmen kann. Er trägt gerade mal ein Prozent zum Gesamtausstoß bei. Die Bewegungsenergie, die in dem vom Stern wegströmenden Gas steckt, ist noch zehnmal größer. Den Löwenanteil aber stellen die Neutrinos, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All fliegen. Sie tragen hundertmal mehr Energie fort als die Strahlung (siehe Kasten auf der nächsten Seite “Und sie explodieren doch!”). Falls so etwas irgendwann einmal in Erdnähe passiert ist, muß dieses Ereignis Spuren auf unserem Planeten hinterlassen haben. Zum Glück ist die Natur so eingerichtet, daß ein solches Ereignis höchst unwahrscheinlich ist. Zum einen sind die Sterne sehr weit voneinander entfernt. Denkt man sie sich auf die Größe von Tennisbällen verkleinert, so würden nur drei bis vier von ihnen auf der Fläche Deutschlands Platz finden. Zum anderen explodiert nicht jeder Stern am Ende seines Lebens. Nur die schwersten mit mehr als achtfacher Sonnenmasse enden so spektakulär.

Diese Sternriesen sind aber wesentlich seltener als Leichtgewichte wie unsere Sonne. Astronomen schätzen, daß in unserer Milchstraße alle 30 bis 100 Jahre eine Supernova aufleuchtet. Die meisten sind so weit entfernt, daß sie unentdeckt bleiben. In unserer Nähe, im Umkreis von wenigen Dutzend Lichtjahren um die Sonne – der kritischen Entfernung – explodiert nur etwa alle paar hundert Millionen Jahre ein Stern. Das ist nahezu dieselbe Wahrscheinlichkeit, die Astronomen für den Einsturz eines zehn Kilometer großen Asteroiden mit globalen Folgen für die Erde errechnet haben. Dennoch haben erstaunlicherweise nur wenige Forscher die Möglichkeit erwogen, daß Supernovae in die Evolution eingreifen könnten. Als der Tübinger Paläontologe Otto Schindewolf 1962 in seinem Artikel “Neokatastrophismus?” die Hypothese zur Diskussion stellte, eine erdnahe Supernova habe das Massensterben vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perm verursacht, stieß er bei den Kollegen auf taube Ohren. Keinerlei Beobachtungen oder Experimente belegten seine Hypothese. Generell hielten die Wissenschaftler nicht viel von kosmischen Katastrophentheorien. Das Problem war, ein solches Ereignis nach Jahrmillionen noch nachzuweisen. Eine Lösung fanden vor drei Jahren John Ellis, theoretischer Physiker am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf, Brian Fields von der Universität Urbana, Illinois, und David Schramm an der Universität von Chicago. Sie fanden heraus, daß eine Supernova einen ähnlichen Fingerabdruck in alten Sedimenten oder Eisablagerungen hinterlassen haben müßte wie ein Asteroid – wenn auch wesentlich undeutlicher. Ihre Vermutung stützten sie darauf, daß sich in den heißen Hüllen der explodierenden Sterne große Mengen an schweren Elementen bilden (siehe Kasten rechts “Die kosmische Elementleiter”). Binnen weniger Sekunden entsteht dort das gesamte chemische Sortiment bis hin zum Element Californium, mit der Ordnungszahl 98 ein “Transuran”, das bisher nur künstlich herstellbar war.

Wenn eine Supernova-Explosionswolke über die Erde hinwegfegt, sollten die teilweise exotischen Elemente in die Atmosphäre eindringen, schließlich auf den Erd- oder Meeresboden niedersinken und sich dort ansammeln – ähnlich wie beim Einschlag eines großen Asteroiden. Allerdings wären die Substanzmengen gering: Von einer 30 Lichtjahre entfernten Supernova würden insgesamt etwa zehn Millionen Tonnen Material auf die Erde niederrieseln. Das entspricht einem Gesteinsbrocken von 200 Meter Kantenlänge. Das klingt nach einer gewaltigen Menge, ist aber tatsächlich nicht einmal ein Zehntausendstel dessen, was der mutmaßliche Asteroid vor 65 Millionen Jahren in die Atmosphäre gebracht hat. Und da sich das Material über die gesamte Erde verteilt, ist die Konzentration in Sedimenten so niedrig, daß sie nicht nachweisbar ist mit herkömmlichen Methoden, wie sie Alvarez und seine Kollegen benutzt haben. Am aussichtsreichsten ist die Suche nach Elementen oder Isotopen, die zwar in verhältnismäßig großen Mengen in Supernovae entstehen, auf der Erde aber kaum vorhanden sind. Dies gilt für radioaktive Substanzen mit Halbwertszeiten von einigen Millionen Jahren. Sie sind einerseits langlebig genug, um den Zeitraum von der Supernova-Explosion bis heute in größeren Mengen zu überstehen. Andererseits gibt es sie auf unserem Planeten so gut wie gar nicht. Nach heutigem Wissen kommen hierfür nur die Isotope Eisen-60 und Plutonium-244 in Frage. Allerdings gibt es weltweit nur wenige Forschungsanlagen, mit denen sich die erwarteten winzigen Spuren auch nachweisen lassen. Eine Gruppe von Physikern um Gunther Korschinek von der Technischen Universität München fand jetzt erstmals das vermutete Eisen-60 in einer alten Sedimentschicht des Südpazifik. Ursprünglich waren die von den Münchnern verwendeten Proben für völlig andere Untersuchungen aus 1300 Meter Tiefe geborgen worden. Vor zehn Jahren gingen Geologen von der Universität Kiel der Frage nach, ob die Pitcairn-Inseln – berühmt geworden als Zufluchtsort der Meuterer von der Bounty – eine Vulkankette bilden, ähnlich wie die Hawaii-Inseln. Damals stießen die Wissenschaftler mit dem Forschungsschiff “Sonne” in See und sammelten Proben, sogenannte Mangankrusten, vom Meeresboden. Diese eisen- und manganreichen Sedimente bilden sich häufig auf Vulkanen am Meeresgrund. Bei ihrer Suche nach dem Eisen-60 waren die Manganproben für die Münchner Physiker interessant, weil sie unglaublich langsam wachsen: nur ein bis zwei Millimeter pro Million Jahre. Dadurch werden seltene Substanzen in kleinen Volumina konzentriert – ein entscheidendes Kriterium für die Nachweismethode.

Das Verfahren von Korschinek und seinen Kollegen kommt mit geringsten Materialmengen aus. Zunächst verdampfen die Forscher die Substanz, dann entreißen sie den Atomen mit einem speziellen Verfahren alle Elektronen, so daß die “nackten”, positiv geladenen Kerne übrigbleiben. Diese kommen anschließend in einen Teilchenbeschleuniger, an dessen Ende sich ein äußerst empfindliches Instrument befindet, das die eintreffenden Atomkerne nach ihrer Masse trennt. Den Experimentatoren gelang es schließlich, in der Mangankruste Spuren des Isotops Eisen-60 nachzuweisen. In der obersten, etwa zwei Zentimeter dicken Schicht, die bis 13 Millionen Jahre zurückreicht, fanden sie diese Substanz mit Konzentrationen, die bis zum Tausendfachen über dem natürlichen Wert liegen. Da dieses Isotop mit einer Halbwertszeit von 1,5 Millionen Jahren zerfällt, läßt sich berechnen, daß das Eisen-60 vor fünf Millionen Jahren in die Erdatmosphäre gelangte und sich auf dem Meeresgrund niederschlug. Als Ursache kommt wohl nur eine Supernova in 50 bis 100 Lichtjahre Entfernung von der Sonne in Frage. Sie muß damals am Himmel einige hundertmal heller gewesen sein als der Vollmond. Um diese These zu testen, dehnen die Münchner jetzt ihre Suche auf Plutonium-244 aus. Außerdem wollen sie weitere Manganproben von anderen Stellen im Pazifik analysieren. Sollte sich ihre Vermutung bestätigen, wäre der erste Nachweis einer prähistorischen Supernova mit Auswirkungen auf die Erde gelungen. Die Explosionsreste der Supernova am Himmel aufzufinden, ist wohl unmöglich. Da sich die Sterne relativ zueinander bewegen, würde sich der übriggebliebene Neutronenstern vermutlich über 1000 Lichtjahre von der Sonne entfernt haben, und die Explosionswolke hätte sich bereits so weit verdünnt, daß sie nicht mehr auffindbar ist.

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Über die Auswirkungen naher Supernovae auf die Biosphäre gibt es bislang kaum detaillierte Studien. Soviel aber ist sicher: Zunächst würde die Erde einem verstärkten Strom elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sein, insbesondere harter UV-, Röntgen- und Gammastrahlung. Später würde ein Schwarm schneller Teilchen, überwiegend aus Wasserstoffkernen (Protonen), ankommen. Ellis und Schramm schätzen, daß eine 50 bis 100 Lichtjahre entfernte Supernova den natürlichen Teilchenstrom um das Zwei- bis Fünffache verstärken würde. Diese zusätzliche Strahlendosis wäre für Tiere und Pflanzen wahrscheinlich nicht unmittelbar lebensbedrohlich gewesen. Sie hätte sich aber auf die atmosphärische Chemie ausgewirkt – und wäre über diesen Umweg durchaus eine ernste Bedrohung gewesen. Wenn die schnellen Teilchen in die Atmosphäre eindringen, stoßen sie mit Molekülen zusammen und regen die Entstehung von Stickoxid (NO) an, das wiederum Ozon zerstört. Eine hundert Lichtjahre entfernte Supernova würde das gesamte Ozon in der Stratosphäre auf ein Drittel des normalen Wertes reduzieren. Eine nur zehn Lichtjahre entfernte Explosion würde den Teilchenschwarm gleich um das Hundertfache erhöhen und den Ozonschild gänzlich zerstören. Dadurch hätte erheblich mehr kurzwellige UV-Strahlung bis zum Erdboden vordringen können – und das vermutlich über mehrere Jahrhunderte hinweg. Ein solcher UV-Schock hätte sich stark auf das Phythoplankton in den Meeren ausgewirkt. Untersuchungen vor wenigen Jahren haben gezeigt, daß verstärkte kurzwellige UV-Strahlung, wie sie aufgrund des Ozonlochs über der Antarktis auftritt, das Phythoplankton schädigt und dessen Photosynthese erheblich einschränkt. Als Folge würde den marinen Lebewesen ein Teil ihrer Nahrungskette entzogen. Das Plankton würde wegen der verringerten Photosynthese weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen. Dadurch stiege der CO2-Gehalt an, was einen verstärkten Treibhauseffekt zur Folge hätte. Aller astronomischer Wahrscheinlichkeit nach müssen seit dem Startschuß des Lebens auf der Erde vor etwa drei Milliarden Jahren mehrere Supernovae in Erdnähe explodiert sein. Es ist daher denkbar, daß der Weltraum zuweilen entscheidend in die Evolution eingegriffen hat.

Die kosmische Elementleiter

In der Explosionswolke einer Supernova herrschen geradezu infernalische Zustände. Atomkerne prallen zusammen und schlagen Neutronen, die neutralen Kernbausteine, aus sich heraus. Die schießen in dem Gas umher und dringen in andere Atomkerne ein. In kürzester Zeit saugen sich einige Kerne mit Neutronen voll, werden dadurch jedoch instabil, und einige Neutronen wandeln sich im Kern in Protonen um. Dadurch klettert das Element eine Ordnungszahl höher. Bei diesem “Beta-Zerfall” schießen jeweils ein Elektron und ein Neutrino aus dem Kern heraus. Die raschen Neutronen-Einfänge und anschließenden Beta-Zerfälle führen zu einer Aufbaukette der Elemente, die von Eisen (Ordnungszahl 56) bis zu radioaktiven Kernen wie Uran-235 und Uran-238 (Ordnungszahl 92), Plutonium-244 (Ordnungszahl 94) und Californium-254 (Ordnungszahl 98) reicht. Mit aufwendigen Computermodellen versuchen Theoretiker herauszufinden, in welchen Mengen diese Substanzen entstehen. Demnach produziert ein Stern, der 15mal schwerer ist als die Sonne, etwa eine Erdmasse des jetzt in Mangankrusten nachgewiesenen Eisen-60.

Und sie explodieren doch!

Ein massereicher Stern erzeugt in seiner Spätphase Elemente bis zum Eisen, indem er in seinem Inneren leichtere Kerne miteinander verschmilzt. Dabei wird Energie frei, die den Stern aufheizt. Die heiße Materie baut – wie jedes heiße Gas – einen Druck auf, der der Schwerkraft genau die Waage hält. Deshalb ist der Stern stabil. Mit dem Eisen ist das Ende der Fusionskette erreicht. Jedes weitere Verschmelzen dieses Metalls verbraucht Energie. Der Stern kühlt ab, die Schwerkraft gewinnt die Oberhand, und in Bruchteilen einer Sekunde bricht der zentrale Teil des Sterns in sich zusammen. Die Materie verdichtet sich, und es setzen Kernreaktionen zwischen Protonen und Elektronen ein, die einen Neutronenstern mit einer Dichte von einigen hundert Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter entstehen lassen. Auf diesen äußerst harten Kern stürzt die Materie aus den äußeren Bereichen mit Überschallgeschwindigkeit hinunter, prallt ab und rast wieder in die Höhe. Bis Mitte der achtziger Jahre meinten die Theoretiker, daß dieser Rückschwung ausreicht, um das Gas explosionsartig ins All zu treiben. Die Computermodelle besagten dagegen etwas anderes: DieStoßwelle verebbt schnell: Supernovae wollten im Computer einfach nicht explodieren. Die Lösung kam einige Zeit später, als klar wurde, daß man die wesentlichen Akteure vergessen hatte: die Neutrinos, die in enormer Zahl schlagartig in der Detonationswolke frei werden. Diese Elementarteilchen durchqueren nahezu ungestört große Körper wie die Erde. Die Materie in der Supernova ist jedoch so dicht, daß selbst diese Winzlinge ständig mit Atomkernen zusammenprallen. Dadurch heizen sie die äußeren Gasschichten so stark auf, daß diese explodieren – auch im Computer.

Thomas Bührke

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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