Schon Aristoteles ließ kein gutes Haar an ihnen. Er hielt Hyänen für hinterhältig und feige und bezeichnete sie als schäbig lachende Aasfresser, die dazu noch auf mysteriöse Weise ihr Geschlecht wechseln können. Auch Hemingway, bekannt für seine Großwildjagden, kannte Hyänen nur als „Hermaphroditen, die sich an den Toten vergehen”.
„Alles ganz falsch”, sagt Stephen Glickman, Wissenschaftler an der amerikanischen Universität Berkeley. Kaum ein anderer studiert die afrikanischen Raubtiere so intensiv wie er. Etwas abseits vom Campus unterhält der Psychologie-Professor seit 1984 die weltweit einzige Hyänen-Forschungsstation. Eingebettet in den von Eukalyptusbäumen umsäumten Hügeln Berkeleys hat hier eine Kolonie von 40 getüpfelten Hyänen (Crocuta Crocuta) ihr Zuhause. Glickman und der Verhaltensforscher Lawrence Frank haben die Tiere selbst aus Kenia nach Kalifornien gebracht, „weil sie wohl die bizarrsten – und missverstandensten – Säugetiere sind”, so Glickman. In der Tat hat die getüpfelte Hyäne eine Reihe von interessanten Charakteristika, die sie von anderen Raubtieren unterscheidet: Nur bei ihr sind die weiblichen Tiere größer und schwerer als die männlichen. Diese körperliche Dominanz bestimmt auch das Sozialleben: In dem feminisierten Kastensystem haben die Männer nichts zu melden. Aufmucken hätte keinen Sinn, denn die Damen sind viel stärker und aggressiver. Doch gemein und hinterhältig sind sie deswegen noch lange nicht. „Hyänenmütter sind wohl die liebevollsten unter den Raubtieren”, sagt Glickman. Anders als Löwinnen vertreiben sie die gierigen Männchen von der erlegten Beute und lassen zuerst die Kleinen ran.
Außerdem stillen sie ihre Jungen für Säugetiere ungewöhnlich lange, fast 20 Monate. Auch die anderen Vorurteile treffen nicht zu:
Aasfresser? Hyänen sind clevere Jäger, die ihre Beute in der Gruppe erlegen und Aas nur im Notfall fressen.
Feige? Darüber könnten die Hyänen nur ihr typisches Lachen anstimmen. Ihren schrillen Schrei lassen sie in Stress-Situationen erklingen, wenn sie zum Beispiel ein mühsam erlegtes Zebra vor einem schmarotzenden Löwen verteidigen. Sie sind die einzigen Raubtiere, die es wagen, dem „König der Tiere” Paroli zu bieten. Dass Hyänen alte und kranke Löwen reißen und binnen weniger Minuten mit Haut und Knochen verschlingen, hat auch Hemingway bemerkt.
Die Sache mit den Hermaphroditen hat der begeisterte Safari-Abenteurer jedoch nicht richtig erkannt. „Auch Aristoteles hätte da mal etwas genauer hinschauen müssen”, meint Glickman, aber er gibt zu, dass die Bestimmung des Geschlechts wirklich schwierig ist. Für den 68-jährigen Wissenschaftler war das der Auslöser dafür, die Hyänen in Berkeley zu erforschen. Denn erst seit den sechziger Jahren ist wissenschaftlich erkannt, dass getüpfelte Hyänen weder ihr Geschlecht wechseln können noch Zwitter sind.
Was seit Jahrtausenden für Verwirrung gesorgt hat, ist die Tatsache, dass die externen Geschlechtsorgane von weiblichen Crocutas fast identisch mit denen von männlichen sind: Die Schamlippen des Hyänenweibchens sind zu einem Pseudo-Hodensack zusammengewachsen, in dem sich zwei kleine Klumpen Fettgewebe befinden, die aber keine Funktion haben. Am Erstaunlichsten: Die Klitoris des Weibchens hat die Gestalt eines Penis und ist zu Erektionen fähig, genauso wie der Penis eines Männchens. „Mit diesem etwa 15 Zentimeter langen Organ uriniert die Hyäne, kopuliert – und gebärt ihre Jungen”, sagt Glickman. Die Geschlechtsteile sind äußerlich nur an der Form der Eichel zu unterscheiden – bei den Weibchen ist sie eher rund, bei den Männchen dreieckig. „Von Innen” hat die Hyäne die übliche Ausstattung eines weiblichen Säugetieres.
Dieses „Reproduktions-Rätsel” zu knacken, daran arbeiten Glickman und sein Team aus einem halben Dutzend Wissenschaftlern. Zunächst vermuteten die Forscher, dass im Blut der weiblichen Tiere ungewöhnlich viel Testosteron zirkuliert – jenes männliche Sexualhormon, das unter anderem Muskeln und Haare aufbaut, männliche Geschlechtsteile ausbildet und im Gehirn Aggression auslöst. Doch wie bei allen anderen Säugetieren auch, haben in der Spezies Crocuta die männlichen Vertreter mehr davon. Auffällig sind lediglich die schwangeren Hyänen. Ihr Testosteron-Spiegel steigt während der Schwangerschaft um das Zehnfache und erreicht die Werte von männlichen Hyänen.
Ursache dafür ist ein Hormon, das bisher von der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt wurde: Androstendion. Es ist ein Hormon-Vorläufer und kann, je nach den Enzymen im Gewebe, entweder zu weiblichen Östrogenen oder zu männlichem Testosteron umgewandelt werden. In den USA ist eine Packung Androstendion in jeder Drogerie für rund 50 US-Dollar erhältlich. Prominentester Pillenschlucker ist der amerikanische Baseball-Star Mark McGuire, der hoffte, damit auf legalem Weg an Testosteron heranzukommen, um noch mehr Muskelkraft für seine gefürchteten Home-Runs zu bilden.
Androstendion entsteht bei allen weiblichen Säugetieren in den Eierstöcken und wird dort in Östrogen umgewandelt. Bei weiblichen Hyänen ist der Hormon-Vorläufer besonders hoch konzentriert, höher als bei den männlichen Crocutas. Glickman fand heraus, dass das in der schwangeren Hyäne gebildete Androstendion in die Plazenta wandert und dort zu Testosteron verarbeitet wird. „Das ist ein ungewöhnlicher Befund”, erklärt Glickman, „denn bei allen anderen Säugetieren, einschließlich dem Menschen, wird Androstendion in der Plazenta normalerweise zu weiblichen Sexualhormonen umgewandelt.”
Seine Untersuchungen ergaben, dass in der Hyänenplazenta das Enzym Aromatase, das aus Androstendion Östrogene macht, nur eine geringe Aktivität aufweist. Dafür ist sein „Gegenspieler”, das Testosteron bildende Enzym 17-Beta- Dehydrogenase, in hoher Konzentration vorhanden. Und das bedeutet: Die kleinen Feten bekommen im Mutterleib die gesamte Schwangerschaft über ein Testosteron-Bad. Aus diesem entsteigen männliche Hyänenbabys mit typisch maskulinen Geschlechtsmerkmalen und Weibchen mit einem ungewöhnlichen Reproduktionsapparat und der Veranlagung, den Rest ihres Lebens als dominantes Super-Weib zu verbringen.
Diese Ergebnisse sind nicht nur für Zoologen interessant. Dr. Ned Place, Gynäkologe aus San Francisco, trat vor einem Jahr dem Berkeley-Projekt bei, weil er sich neue Lösungen für alte medizinische Probleme erhofft, zum Beispiel für das „ Polycystische Ovarielle Syndrom”. Frauen mit diesem Krankheitsbild produzieren hohe Mengen an Androgenen, also männlichen Hormonen. Sie ovulieren seltener und sind daher oftmals unfruchtbar. „Vermutlich waren diese Frauen genau wie die Hyänen bereits vor der Geburt ungewöhnlich hohen Mengen an Testosteron ausgesetzt”, so Place.
Ähnlich ergeht es Patientinnen mit einem Krankheitsbild namens Congenitaler Adrenaler Hyperplasie. Ihnen fehlt in der Nebenniere ein Enzym, das Cholesterin zu Cortison umwandelt. Der Defekt hat zur Folge, dass die Frauen relativ viel Testosteron bilden. Unbehandelt entwickeln sie keine Brüste und sind unfruchtbar. „ Obwohl auch bei der Hyäne hohe Dosen an männlichen Hormonen zirkulieren, gibt es diese Probleme nicht”, sagt Pace. Er untersucht zurzeit, wie seine getüpfelten Versuchstiere auf Androgen-Blocker reagieren.
Schon geklärt werden konnten Auffälligkeiten bei neugeborenen Mädchen in Japan und San Francisco: Sie kamen mit einem Penis zur Welt – obwohl die Babys genetisch eindeutig als weiblich einzustufen sind. Die Forscher fanden heraus, dass die Mütter dieser Mädchen den gleichen Testosteron-Spiegel wie Hyänen besaßen. Tatsächlich waren diese Frauen vom Typ her sehr maskulin, hatten relativ viel Gesichtsbehaarung und eine tiefe Stimme. Die Untersuchungen ergaben, dass bei ihnen die natürliche Schutzbarriere der Plazenta versagte: Das Enzym Aromatase war nicht odernur in geringen Mengen vorhanden, wodurch die kleinen Mädchen als Feten quasi in Testosteron schwammen und ihre Körper daher mit Maskulinisierung reagierten. „Unsere Foschung hat gezeigt, dass die Bedeutung der Plazenta in Säugetieren größer ist, als im Allgemeinen angenommen”, so Glickman.
Doch des Rätsels einzige Lösung zur Bildung der ungewöhnlichen Geschlechtsteile ist sie nicht. Es muss auch noch andere Einflüsse geben, denn als die Forscher schwangeren Hyänen Testosteron-Blocker verabreichten, besaßen die Tochter-Tiere immer noch einen aus der Klitoris geformten „Penis”, wenn er auch deutlich kürzer war und eine breitere Öffnung besaß. Die männlichen Nachkommen sahen ähnlich aus wie ihre Schwestern, nur waren ihre Eicheln nun rund und nicht mehr dreieckig. Und beide Geschlechter verhielten sich weniger aggressiv. Zurzeit untersuchen die Wissenschaftler, ob Wachstumsfaktoren oder Androgen-Rezeptoren im Gehirn dabei eine Rolle spielen.
Wie auch immer die merkwürdigen Fortpflanzungsorgane der Hyänen zu Stande kommen, die weiblichen Tiere müssen dafür einen hohen Preis zahlen. „Die Geburt, besonders für Erstgebärende, ist eine fürchterliche Quälerei”, weiß Glickman, der auf seiner Hyänenfarm bei fast jeder Geburt dabei ist. Durch die Gliedform ist ihr äußeres Geschlechtsorgan extrem eng und dazu noch sehr lang, ungefähr doppelt so lang wie der Geburtskanal eines „ normalen” Säugetiers. Viele Babys überleben diese bis zu zwölf Stunden dauernde Prozedur nicht. In Berkeley schaffen nur drei von sieben Tieren die Passage durch den Pseudo-Penis, die anderen sterben an Sauerstoffmangel. In der freien Wildnis wäre es ähnlich, nur dass dort oftmals auch die Hyänenmutter zu Schaden kommt: „Während der Geburt von einem Löwen gefressen zu werden, ist bei den Weibchen Todesursache Nummer Eins”, sagt Verhaltensforscher Lawrence Frank.
Was die Hyäne dann auf die Welt gepresst hat, sind zwei oder mehrere, bis zu zwei Kilo schwere Energiebündel. Ihr Aussehen: überraschend niedlich, mit Knopfaugen und schwarzem flauschigem Fell. Doch ihr Charakter – eine feurige Mischung aus Mark Tyson und Dracula – ist alles andere als schmusig: Die Berkeley-Forscher beobachteten, dass die kleinen Hyänen bereits wenige Minuten nach der Geburt aggressiv aufeinander losgehen. Bisher waren Geschwisterkämpfe lediglich bei manchen Raubvogelarten bekannt. „Hyänenbabys sind die einzigen Säugetiere, die mit messerscharfen Eck- und Schneidezähnen auf die Welt kommen”, so Glickman, „außerdem sind ihre Augen – anders als bei Katzen – sofort intakt.” Völlig „high” von dem Testosteron-Bad greifen sich die Klein-Kämpfer an und verbeißen sich zu einem dunklen Knäuel. Dabei geht es nicht um den besten Platz an der Mutterbrust, sondern um den alleinigen – also um Leben oder Tod. Gut ein Viertel aller als Mehrlinge geborenen Babys fällt dem Geschwistermord zum Opfer.
Doch die Kinderstube gleicht nicht immer einer römische Arena. Dr. Christine Drea, Mitarbeiterin auf der Hyänen-Farm, wies nach, dass in den ersten Lebenswochen die Testosteron-Konzentration im Blut der Rambos stetig abnimmt – und damit auch ihre Kampfeslust. „Trotzdem: Die weiblichen Hyänen bleiben ihr ganzes Leben lang aggressiver als die Männchen, auch beim Spielen”, berichtet die Forscherin.
Warum nur hat die Natur die getüpfelten Hyänen als hormonelle Superweiber hervorgebracht? Die Wissenschaftler hegen einen Verdacht: Im Laufe ihrer 25 Millionen Jahre alten Geschichte lernten die Hyänen, als Gruppe ihre Beute zu reißen – das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht für den Nachwuchs. „Wenn sich die Tiere um die erlegte Beute scharen, dann fallen für die Schwächsten gerade mal die Knochen ab”, weiß Lawrence Frank aus seinen Afrika-Erfahrungen. Er vermutet, dass es irgendwann einen Zeitpunkt gegeben hat, an dem der Nachwuchs zu verhungern drohte. Als Folge hat die Evolution jene Weibchen favorisiert, die sich durch besonders viel Aggressivität auszeichneten. Letzteres sichert den kleinen Hyänen ihren Anteil beim Gruppenfraß und somit ihr Überleben.
Hätte Aristoteles dies gewusst, dann wäre sein Urteil über die „aggressiven Aasfresser” sicherlich milder ausgefallen. Auch Künstler und Designer finden Gefallen an den merkwürdigen Tieren. Ein Sportauto wurde „Lancia Hyena Zagato” getauft, und eine Musikband nennt sich sogar „The laughing Hyenas” .
Desiree Karge