Der gestählte Topathlet und der pummelige Bewegungsmuffel haben mehr gemeinsam als man glaubt: Sie sind anfällig für Infekte, vor allem für Grippe und Erkältungen. Ursache ist das dichte Beziehungsgeflecht zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Sportmediziner und Immunologen beginnen es zu durchschauen – mit praktischen Konsequenzen für Sportsfreunde und Couchpotatoes.
Wenn das Training beginnt, stimuliert das Zwischenhirn die Produktion von Adrenalin und Noradrenalin. Die beiden Hormone bringen nicht nur den Kreislauf auf Trab, sondern auch die Immunzellen: Die Zahl der natürlichen Killerzellen nimmt gleich nach Trainingsbeginn zu. Auch Freßzellen, die fremde Erreger aufnehmen und verdauen, werden mobilisiert, außerdem T- und B-Lymphozyten, die für die Feinabstimmung der Immunabwehr zuständig sind. B-Zellen produzieren hochspezifische Antikörper, T-Lymphozyten erkennen infizierte Zellen und töten sie ab. Nach körperlicher Aktivität sinkt die Zahl der Abwehrzellen innerhalb von sechs Stunden auf normales Niveau – bis auf die der Granulozyten. Ihre Konzentration steigt weiter und erreicht erst Tage später wieder die Ausgangswerte.
Das alles geschieht bei moderatem Sport, wenn der Körper mit dem eingeatmeten Sauerstoff auskommt, um seinen Energiebedarf zu decken (aerobes Training). Anders sieht es aus nach anhaltender, stark ermüdender Bewegung, bei der der Sauerstoff nicht mehr ausreicht (anaerobes Training mit Bildung von Milchsäure im Muskel). Dann folgt auf das Hoch der Immunzellen ein Tief unter die Ausgangswerte. Es ist um so ausgeprägter, je stärker die Erschöpfung ist und je geringer die Möglichkeit, sich zu erholen. Ursache für das “immunologische Vakuum” sind große Mengen Kortisol, das bei körperlichem wie seelischem Streß ausgeschüttet wird und das Immunsystem hemmt. Die häufige Folge: Den durchtrainierten Spitzensportler wirft schon ein kalter Windzug um, wenn er sich zwischen den Trainingsphasen nicht genug ausruht. Er bekommt die Grippe. Dr. Holger Gabriel vom Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität Saarbrücken rät, sich für ein immunologisch optimales Training an folgender Faustformel zu orientieren: Puls von 180 pro Minute minus Lebensalter beim Radfahren, 200 Herzschläge minus Lebensalter beim Joggen, 170 Herzschläge minus Lebensalter beim Schwimmen, jeweils für 30 bis 45 Minuten alle ein bis zwei Tage. So ein moderates Ausdauertraining erhöht die Reaktionsbereitschaft des Immunsystems: Beginnende Erkältungen lassen sich regelrecht wegtrainieren.
Neuen Studien zufolge kann das sportgestärkte Immunsystem auch vor einigen Arten von Krebs schützen und die mit dem Altern zunehmende Abwehrschwäche aufhalten. Wer allerdings erst mit 40 oder 50 aktiv wird, sollte sich zuvor untersuchen lassen. Hat der Arzt keine Einwände, gelten die Worte des Kölner Immunologen Prof. Gerhard Uhlenbruck: “Wer im Alter mit Sport beginnt, ist nie mehr der alte.”
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Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes Dr. Holger Gabriel Postfach 151150 66041 Saarbrücken Tel: 0681 – 3023738
Sportmedizinisches Institut der Universität-GH Paderborn Prof. Heinz Liesen Dr. Matthias Baum Warburger Straße 100 33098 Paderborn Tel: 05251 – 603180
medinfo Medien
Heinz Liesen, Matthias Baum Sport und Immunsystem Praktisches Lehrbuch der Sportimmunologie Hippokrates, Stuttgart 1997 DM 69,-
Thorsten Dargatz Starkes Immunsystem durch Sport Copress, München 1997 DM 29,80
Hans-Wolf Baenkler (Hrsg.) Immunologie und Sport Dustri, Deisenhofen 1996 DM 118,-
medinfo Grafik
Nicola Siegmund-Schultze