Nur knapp entging der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt einer Katastrophe. Während seines Deutschlandbesuchs wollte er am 12. Januar dieses Jahres von Berlin nach Bremen fliegen, als er auf dem Flughafen Tegel fast zum Opfer einer Kollision wurde: Die Fluglotsen hatten der Maschine der schwedischen Luftwaffe eine Erlaubnis zum Start erteilt, obwohl sich gerade ein anderes Flugzeug im Landeanflug befand. Nur die Aufmerksamkeit des Piloten, der den landenden Jet erkannte, den Startvorgang sofort abbrach und den Kontrollturm alarmierte, verhinderte einen Zusammenstoß.
Kaum ein Passagier hält den Flughafen für einen riskanten Ort. Probleme werden eher in der Luft vermutet. Doch paradoxerweise ist das Rollfeld für Flugreisende am gefährlichsten. Auf den Rollwegen sind nicht nur andere Flugzeuge unterwegs, sondern auch ein Heer von Versorgungs- und Dienstfahrzeugen. Die Fluglotsen koordinieren vom Tower aus das Geschehen. Dabei müssen sie immer noch viele Entscheidungen ohne jede elektronische Unterstützung fällen. Die Kommunikation erfolgt auf Basis eines antiquiert anmutenden Sprechfunksystems, das zudem vielerorts chronisch überlastet ist. Die Technologie der Flugsicherung auf den europäischen Flughäfen ist vielfach noch auf demselben Stand wie vor 50 Jahren. Für den rasch wachsenden Flugverkehr sind die Lotsen damit kaum gerüstet. Auf den deutschen Flughäfen hat sich die Zahl der abgefertigten Passagiere in den letzten 30 Jahren immerhin etwa vervierfacht.
Die neuesten Zahlen untermauern diesen Trend: Im ersten Quartal 2007 legte der Flugverkehr in Deutschland gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres um 5,4 Prozent zu. Von Januar bis März 2007 starteten und landeten auf den deutschen Airports fast 500 000 Flugzeuge.
Noch längst nicht an allen Flughäfen überwacht zumindest ein Bodenradar das Rollfeld. Und wo ein solches System installiert ist, zeigt es Objekte lediglich als grüne Symbole an. Detaillierte Informationen über einzelne Flugzeuge stehen nur den Mitarbeitern bei der An- und Abflugkontrolle zur Verfügung – die Lotsen im Kontrollturm dagegen müssen darauf verzichten und sich auf ihre Augen und ihre Erfahrung verlassen. Den Piloten geht es nicht viel besser. Zwar landen sie mit Unterstützung durch ein Instrumenten-Landesystem (ILS) bei schlechten Sichtbedingungen sogar blind. Am Boden jedoch steuern die Piloten nur nach Sicht, mit einer Karte des Flughafens auf den Knien.
Welche Risiken im Flughafenbereich lauern, zeigt das Unglück auf dem Mailänder Airport Linate im Oktober 2001. In dichtem Nebel kollidierte dort eine Passagiermaschine mit einem kleinen Business-Jet. 118 Menschen kamen ums Leben. Wäre das Flugfeld von Linate damals wenigstens von einem simplen Bodenradar überwacht worden, hätten die Fluglotsen den Unfall vermutlich verhindern können.
Neue Technologien sollen künftig für mehr Sicherheit sorgen, zumal der Flugverkehr weiter wachsen wird. So sind seit Anfang 2006 auf den Flughäfen von Prag und Mailand-Malpensa Planungssysteme in Betrieb, die die Lotsen im Tower entlasten. Die Systeme melden, wenn ein Flugzeug vom Gate auf das Vorfeld geschoben werden oder ein Jet schnell abgefertigt werden muss. Sie warnen die Piloten, wenn die ihren vorgegebenen Rollweg verlassen oder wenn vor ihnen ein Hindernis auftaucht. Die dazu nötigen Informationen beziehen die Warnsysteme von Radargeräten auf dem Flughafengelände und von Positionssendern an Bord der Flugzeuge.
Auf einem Monitor können Lotsen und Cockpit-Crews sämtliche Flugzeuge und Fahrzeuge sehen, die auf dem Flughafengelände unterwegs sind, und auch die individuelle Kennung der Objekte, deren Geschwindigkeit und Ziel. Kommen sich zwei Objekte zu nahe, ertönt ein Alarmsignal. Schlechte Sicht ist dadurch kein Problem mehr. Als erster großer deutscher Flughafen soll der Airport Hamburg-Fuhlsbüttel bis Ende 2008 mit dem „Advanced Surface Movement Guidance and Control System” (A-SMGCS) ausgestattet werden.
Das neuartige Planungssystem ist das Ergebnis von Forschungsarbeiten am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms EMMA. Zu dessen Zielen gehört nicht nur die Koordination des Verkehrs auf dem Flughafen, sondern auch die Erarbeitung neuer Konzepte für das Netz der Luftverkehrswege über Europa. Denn am Himmel wird der Platz allmählich knapp – bedingt durch das Wachstum des Luftverkehrs in Europa um jährlich etwa fünf Prozent.
Auch die Aufsplitterung der Flugsicherung über dem Kontinent bereitet Probleme. Jedes europäische Land besitzt eine eigene Flugsicherung. Das summiert sich auf rund 60 Sicherungsorganisationen, die zudem mit über 20 verschiedenen Betriebssystemen arbeiten. Die Arbeit von Fluglotsen und Flugzeugbesatzungen wird durch diesen Wirrwarr an Zuständigkeiten enorm erschwert.
Was geschehen kann, wenn der fein austarierte Mechanismus der Flugsicherung nicht richtig ineinander greift, hat der Zusammenstoß einer russischen Passgiermaschine mit einem Frachtflugzeug des Kurierunternehmens DHL in der Nacht zum 1. Juli 2002 bei Überlingen am Bodensee auf tragische Weise gezeigt. Der Lotse des für den Luftraum über dieser süddeutschen Region verantwortlichen schweizerischen Flugsicherungsunternehmens Skyguide hatte zu spät bemerkt, dass sich beide Maschinen auf Kollisionskurs befanden, und dann einen falschen Befehl gegeben. Der diensthabende Lotse von Skyguide wies den Piloten der russischen Antonow zum Sinken an. Die Crew war jedoch bereits unter die vorgegebene Höhe gesunken und hatte außerdem die Anzeige ihres Kollisionswarngeräts ignoriert, das vor der sich nähernden DHL-Maschine warnte. Es kam zum Crash, der 71 Menschenleben forderte – die meisten Toten waren Kinder aus der russischen Republik Baschkirien auf der Reise in den Urlaub.
Die deutschen Fluglotsen hatten die drohende Kollision frühzeitig erkannt. Doch wegen technischer Probleme bei Skyguide konnten sie ihren schweizerischen Kollegen nicht erreichen. Eine unabhängige Untersuchung des Unglückshergangs brachte im Nachhinein nicht nur schwerwiegende Managementfehler bei Skyguide ans Licht. Sie ergab auch, dass die Regeln für die Nutzung des vorgeschriebenen Kollisionswarngeräts missverständlich und widersprüchlich formuliert waren.
Zum Glück sind Katastrophen wie die bei Überlingen im europäischen Luftverkehr sehr selten. Denn der Sicherheitsstandard über Europa ist einer der höchsten der Welt. Im Jahr 2006 registrierte die Deutsche Flugsicherung (DFS) am Himmel über Deutschland nur zwei gefährliche Annäherungen – Situationen, bei denen sich zwei Flugzeuge so nahe kamen, dass Unfallgefahr bestand. 2005 hatte es noch drei, 2004 sogar sechs derartige Vorfälle gegeben. Seit Mitte der Siebzigerjahre ist die Zahl der Beinahe-Kollisionen trotz einer starken Zunahme des Flugverkehrs kontinuierlich gesunken.
Damit das so bleibt, bemühen sich die europäischen Politiker, den Luftraum über dem Kontinent einheitlich zu ordnen. 2004 verabschiedete die EU-Kommission ein Strategiepapier für die europäische Luftfahrt. In der „Vision 2020″, schrieben die für den Luftverkehr zuständigen Politiker anspruchsvolle Ziele fest: Im Jahr 2020 soll das Luftverkehrsnetz über Europa bis zu 16 Millionen Flüge pro Jahr sicher abwickeln und dabei rund um die Uhr reibungslos funktionieren. Zum Vergleich: 2005 betreuten Europas Flugsicherungen 9,2 Millionen Flüge. Auf ihnen wurden über 700 Millionen Passagiere befördert. Der Anteil der Flüge mit Verspätung liegt auf deutschen Flughäfen seit 2002 bei etwa 20 Prozent.
Die „Vision 2020″ ist die Leitlinie für die Forscher des DLR und der Deutschen Flugsicherung. Bei der Umsetzung konzentrieren sie sich auf die An- und Abflugwege der Flughäfen sowie auf das Management des Verkehrs auf den Flughäfen selbst. Denn die wirken im internationalen Luftverkehr wie Flaschenhälse.
Fast alle großen Airports liegen in städtischen Ballungsräumen oder zumindest in deren Nähe. Die Flughäfen auszubauen oder gar neue Großflughäfen zu errichten, ist schwierig. Viele Großprojekte, wie der Ausbau des Airports Berlin-Schönefeld, verzögern sich aus politischen Gründen. Die geplante neue Landebahn auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt stößt auf den Widerstand vieler Anwohner und steckt mitten in einem langwierigen Genehmigungsverfahren. Wegen dieser Probleme reagieren die Betreiber von Flughäfen auf den Zuwachs beim Verkehr meist mit dem Bau größerer Terminals, an denen sich mehr Flugzeuge parallel abfertigen lassen. Die Flugsicherung steht dann vor der Aufgabe, den höheren Verkehrsfluss auf dem Airport effektiver zu steuern. Das stellt extreme Anforderungen an die eingesetzte Technologie. Sie muss das Verkehrsgeschehen für alle Akteure transparenter machen, um die Sicherheit weiter zu gewährleisten.
Damit insbesondere der Landeanflug bei trübem Wetter problemlos möglich ist, entwickeln Experten der DFS eine Navigationshilfe, die sich auf Signale des Satellitennavigationssystems GPS stützt. Bisher landen große Verkehrsflugzeuge mithilfe eines Leitstrahlsystems, das sie auf der richtigen Route zur Landebahn führt. Über Funk werden die Piloten informiert, wenn sie zu hoch anfliegen oder seitlich vom Kurs abkommen.
Diese Instrumenten-Landesysteme haben jedoch einen großen Nachteil: Jede Start- und Landebahn braucht ein eigenes System – das macht ihren Betrieb aufwendig und teuer. Ließe sich das GPS nutzen, könnten Flughäfen auf derartige Anlagen verzichten.
Das GPS-System basiert auf zwei Dutzend Satelliten, die auf niedrigen Umlaufbahnen die Erde umrunden. Sie kreisen so, dass ein Empfänger nach Möglichkeit immer Positionssignale von drei oder mehr Satelliten empfängt, aus denen eine Elektronik die eigene Position berechnet. An einem System, das diese Technologie direkt zum Leiten von Flugzeugen einsetzt, feilen die Entwickler der DFS. Sie arbeiten dabei mit den Flugzeugbauern Airbus und Boeing, mit der Lufthansa sowie mit Herstellern von Navigationsgeräten zusammen. Voraussichtlich im Jahr 2008 soll der Flughafen Bremen als erster Airport in Deutschland ein satellitengestütztes Landesystem erhalten.
Allerdings: Die GPS-Signale haben eine Unsicherheit in der Positionsbestimmung von bis zu 20 Metern. Das ist für landende Flugzeuge viel zu ungenau. Um die Präzision zu erhöhen, müssen die GPS-Signale ergänzt werden. Dazu empfängt zunächst eine Bodenstation die Signale und übermittelt Korrekturdaten an die ankommenden Flugzeuge. Das in Bremen geplante System besteht aus einer solchen Bodenstation und vier GPS-Empfängern. Um das neue System nutzen zu können, müssen die Flugzeuge jedoch ein eigenes Empfangsgerät an Bord haben, das die Leitsignale vom Flughafen auffangen kann.
Die großen Passagierflugzeuge nutzen GPS bislang nur zur Flugnavigation. Sie folgen bei der Planung der Flugroute festgelegten Wegpunkten, die sie mithilfe der Satellitennavigation finden. Diese „Area Navigation” entzerrt den Flugverkehr, denn die Jets lassen sich damit über ein größeres Gebiet verteilen. Früher flogen sie von einem bodengebundenen Funkfeuer zum nächsten. Vor den Funkfeuern staute sich dann der Luftverkehr wie der Autoverkehr auf einer Stadtautobahn in der Rush-Hour. Durch die Navigation per GPS ist das jetzt vorbei. Doch nun bilden sich die Staus auf den Anflugwegen und in den Wartezonen über den großen Flughäfen.
Deshalb suchen Forscher des DLR-Instituts für Flugführung in Braunschweig auch nach Wegen, um die Abläufe am Flughafen selbst schneller und einfacher zu gestalten. Denn ein überlasteter Flughafen sorgt sofort für Engpässe am Himmel. Und: „Wenn ein Flughafen verstopft ist, haben auch andere Airports Probleme”, sagt Christoph Meier, der beim DLR in Braunschweig für Lotsen- und Pilotenassistenzsysteme verantwortlich ist. Die Folge sind Verspätungen vieler Flugzeuge, die wartend am Himmel kreisen, und eine engere Staffelung der Flüge.
Für Abhilfe sorgen soll zum Beispiel ein gemeinsamer Leitstand für den gesamten Flughafen. In ihm sollen Vertreter von Fluglinien, Feuerwehr und Flughafen-Management gemeinsam mit Fluglotsen sitzen, die in enger Kooperation das Handeln ihrer Abteilungen abstimmen und planen. „Alle Informationen werden verdichtet auf einer Bildleinwand dargestellt”, erläutert Meier das Konzept.
Bisher gibt es derartige Zentralen auf keinem einzigen Flughafen. Alle Akteure sind noch in eigenen Lagezentren zugange. Die sind zwar elektronisch vernetzt, doch in kritischen Situationen müssen die Verantwortlichen miteinander telefonieren. Auf diese Weise können sie nur reagieren, aber nicht im Voraus planen.
Beim DLR in Braunschweig steht ein Simulator, mit dem die Entwickler ihr Konzept auf Herz und Nieren testen. Damit wollen sie in den nächsten Jahren beweisen, dass ein zentraler Leitstand funktioniert und den erhofften Nutzen bringt. Die Technologie könnte dann ab etwa 2020 Standard auf vielen großen Flughäfen sein.
Schon viel früher wird den Fluglotsen eine bessere Software zur Verfügung stehen, die ihnen bei der Koordination der An- und Abflüge hilfreich unter die Arme greift. Ein spezielles Computerprogramm weist sie schon heute auf Verspätungen, Kursabweichungen und andere kritische Situationen hin. Doch die dafür eingesetzten Programme liefern weder eine Vorausschau, noch schlagen sie Ausweichlösungen vor.
Für Start und Landung reihen die Lotsen Flugzeuge aneinander wie auf einer Perlenkette. Dabei müssen sie penibel auf die Distanz zwischen den Maschinen achten. Denn jedes Flugzeug zieht eine Reihe von Luftwirbeln hinter sich her – die „Wirbelschleppe” . Die kann bei einer großen Verkehrsmaschine durchaus ein kleineres Flugzeug abstürzen lassen. Wie am 12. November 2001 über New York: Ein Airbus A300 geriet in die Schleppe eines Jumbo-Jets und stürzte in den Stadtteil Queens. Über 300 Menschen starben.
Forscher am DLR wollen daher die Planungshilfen verbessern. Sie haben zwei unterschiedliche Konzepte entwickelt: Das eine System liefert den Lotsen eine Vorausschau von 30 Minuten. Es erfasst Flugzeuge am Boden und in der Luft. Das andere System, das nur die anfliegenden Jets beachtet, schaut sogar bis zu drei Stunden voraus – und hilft dadurch, Staus auf den Rollbahnen zu vermeiden. Am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen ist diese Software bereits im Einsatz. Die Fluglotsen können mit ihrer Unterstützung die drei Start- und Landebahnen wesentlich effektiver nutzen als zuvor. Das verkürzt die Rollzeiten der Flugzeuge – und verringert das Risiko von Zusammenstößen und Beinahe-Kollisionen auf dem Rollfeld. ■
Friedrich List lebt als freier Technikjournalist in Hamburg. Er schreibt vor allem über Themen aus der Luftfahrt und die Technologien dahinter.
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COMMUNITY Internet
Homepage des Weltluftfahrt-Verbands:
www.iata.org
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt:
www.dlr.de
Website der Deutschen Flugsicherung:
www.dfs.de
Datensammlung zu Flugzeugunglücken:
www.flugzeug-absturz.de
Ohne Titel
· Neue Überwachungssysteme informieren die Fluglotsen automatisch über alle Bewegungen im Flughafen.
· Navigation per Satellit soll die bisher gebräuchlichen Leitstrahlsysteme als Landehilfe für die Piloten ablösen.