Ein neues Verfahren gegen die Schmerzen nach Bandscheibenvorfällen hat ein Orthopäde in Stuttgart entwickelt. Er kommt oft ohne Operation aus. Obwohl die Orthopäden hinzugelernt haben, werden in Deutschland immer noch jedes Jahr etwa 60000 Menschen wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert. Das Bandscheibengewebe hält vor allem im unteren Rücken den täglichen Belastungen nicht mehr stand, quillt zwischen den Wirbeln hervor und drückt auf das Rückenmark. Die Folge sind Schmerzen, die bis in die Beine ausstrahlen können, dazu Störungen der Blasenfunktion und sogar Lähmungen. Der Griff zum Skalpell – da sind sich viele Experten inzwischen einig – ist nur die letzte Möglichkeit der Behandlung. Oft gehen die Schmerzen von selbst oder durch Krankengymnastik zurück. Nur bei 10 bis 15 Prozent der Bandscheibenvorfälle sei eine Operation sinnvoll, meint Prof. Klaus Peter Schulitz, Direktor der Orthopädischen Klinik in Düsseldorf. Einen ganz neuen Weg gegen die Schmerzen geht der Stuttgarter Orthopäde Dr. Jörg Zeeh. Seit etwa drei Jahren behandelt er seine Patienten mit der „epiduralen Dehydrierung”. Die Methode wurde in den USA entwickelt und ist in Deutschland bisher wenig verbreitet. Das auf den Nerv drückende Gewebe wird nicht herausgeschnitten, sondern geschrumpft. Zeeh: „ Wir machen quasi aus einer Weintraube eine Rosine.” Zunächst schiebt er dazu einen dünnen Katheter durch den Wirbelkanal bis zu dem Vorfall. Über diesen Zugang bekommt der Patient ein lokal wirkendes Schmerzmittel injiziert, zusätzlich werden entzündungshemmende Mittel wie Kortison punktgenau verabreicht. Den eigentlichen Schrumpfungsprozeß setzt Zeeh durch die Injektion einer zehnprozentigen Kochsalzlösung in Gang: Das Kochsalz entzieht dem gequollenen Bandscheibengewebe Wasser: Es zieht sich zusammen und gibt den gequetschten Nerv wieder frei. Über den Katheter wird außerdem ein Enzym zugeführt, die sogenannte Hyaluronidase. Sie löst Vernarbungen und Verklebungen, die sich zwischen der Bandscheibe und dem Nerv gebildet haben. Die Infusionen dauern zwei bis drei Stunden und werden an den folgenden Tagen bis zu fünfmal wiederholt. Die Methode wird sowohl stationär als auch ambulant eingesetzt. In einer Befragung von mittlerweile mehr als 1000 Patienten, die mit der epiduralen Dehydrierung behandelt wurden, schneidet das Verfahren hervorragend ab. 84 Prozent von ihnen litten nach eigenen Angaben zuvor an schweren Rückenschmerzen. Zwei Jahre nach der Behandlung gaben 69 Prozent an, sie seien völlig schmerzfrei oder hätten nur gelegentlich Schmerzen. Ohne eigene Bemühungen geht es aber nicht: Zwingend erforderlich ist im Anschluß an die Dehydrierung eine mehrwöchige Krankengymnastik. Sie stärkt die Rükkenmuskulatur und läßt das Gewebe rascher heilen. Wenn nach einem Bandscheibenvorfall allerdings bereits Lähmungen eingesetzt haben, ist es für das Schrumpfverfahren zu spät. Dann kann, wenn überhaupt, nur die Operation helfen.
Dr. Ulrich Fricke