Es ist Sonntag und Ruth Shady bricht auf zur wöchentlichen Inspektionstour ihrer diversen Ausgrabungen im Supe-Tal, rund 200 Kilometer nördlich von Lima. Vorher aber muss sich die Chefin von Caral bei einer Straßeneinweihung zeigen. Immerhin will der Minister für Kommunikation und Verkehr das Straßenstück persönlich eröffnen. Und der Politiker möchte von der Popularität der Ausgräberin profitieren, denn derzeit läuft gerade regionaler Wahlkampf. Volksfestgedränge im Dorf, jede Menge Luftballons, eine große Podestbühne auf der Plaza, Schulkinder mit Fähnchen, Limo und Gebäck für die Dorfbewohner. Die Polizistin hat dezentes Rouge aufgelegt, blickt aber dennoch ziemlich streng. Die Ärzte der nahen Klinik sind in ihren weißen Halbgötter-Kitteln angetreten.
Und mitten drin, umringt und umworben von Reportern und politischen Repräsentanten, Ruth Shady – jene Frau, die praktisch im Alleingang die älteste Stadt Amerikas ausgegraben hat. Eine internationale Sensation, die keiner so recht haben wollte. Die nach eigener Einschätzung „hartnäckige” Archäologin von der San-Marcos-Universität in Lima kämpfte über ein Jahrzehnt um wissenschaftliche Anerkennung, seit sie 1994 zum ersten Mal ihren Fuß auf Carals Boden gesetzt hatte: „Niemand glaubte mir.” Selbst als C14-Daten ihren Fundplatz ins 3. Jahrtausend v.Chr. katapultierten, stieß sie weiter auf Ablehnung, vor allem in ihrem Heimatland: Monumentale Architektur in Peru, planmäßig und urban erbaut, errichtet um 2700 v.Chr., zur Zeit der ägyptischen Pyramiden – das konnte es doch nicht geben! Ruth Shady: „Die Menschen mögen es nicht, wenn man ihre Sicht der Geschichte umstoßen will – erst recht nicht, wenn dies eine Frau tut.”
Nun widersprachen ihre Entdeckungen aber auch so ziemlich allem, was sich die gelehrte Welt zusammengedacht hatte: Demnach wäre Zivilisation – also Großbauten und geschichtete Gesellschaft – zuerst und einzig an der Pazifikküste entstanden und dann ins Hinterland und in die Berge gezogen. Diese Kulturmenschen von der Küste hätten sich den Luxus von Kunst und Künstlern geleistet und in Töpfen gekocht. Sie beherrschten also die revolutionäre Technologie, matschigen Ton zu harter Keramik zu brennen.
Gegen diese Lehrbuchmeinung entdeckte Ruth Shady oberhalb einer Flussoase, 25 Kilometer von der Küste entfernt, monumentale Architektur, die Planung und Arbeitsteilung, also eine hierarchisierte Gemeinschaft, voraussetzt. Aber sie fand keine Keramik, kein einziges Stück, weder Kunst noch Kochtopf, aus gebranntem Ton. Und das Ganze ist um Jahrhunderte älter als das, was man bislang von den Küstenorten kannte. Das passt ganz und gar nicht ins Bild. Schon 1940 hatte der amerikanische Anthropologe Paul Kosok, der auch die Nasca-Geoglyphen deutete, Luftaufnahmen von Caral vorgelegt. Die darauf erkennbaren, vom Sande verwehten Strukturen großer künstlicher Plattformen und runder Plätze verblüfften die Fachwelt: Derlei Gebilde kannte man aus Chavín de Huántar, einem zentralen Kultort im Hochland, nach dem die Chavín-Kultur benannt wurde. Deren Macher schufen etwa ab 900 v.Chr. meisterhafte Steinskulpturen und schöne Keramiken. Die Chavín-Kultur galt als „Mutterkultur Perus”.
MIT SCHLAFSACK UND PETROLEUMLampe
Und nun tauchten ähnliche Baustrukturen in Caral auf, aber von Keramik keine Spur – die Leute von Caral konnten Ton demnach noch nicht zu Keramik transformieren. Der Widerspruch zur Lehrmeinung wurde behoben, indem man die Stätte Caral kurzerhand als jünger und unbedeutend abstempelte. Ruth Shady schreckt das nicht: „Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann kämpfe ich das auch bis zum Ende durch.” Dazu hatte sie seit den Surveys 1994 und den ersten Grabungen ab 1996 reichlich Gelegenheit. Auf der Suche nach Geld und Unterstützung klopfte sie bei ihrer Universität, bei Regierungsstellen, Wirtschaft und Stiftungen an. Die einen wollten, aber konnten nicht, die anderen wollten erst gar nicht, die Dritten sponserten ein wenig. Das Benzin für ihren Uralt-VW-Käfer, mit dem sie zur Ausgrabung fuhr, zahlte Ruth Shady schließlich selbst. Sie hauste in einer bröckelnden Bauernkate, ruhte im Schlafsack, schrieb und zeichnete beim Licht einer Petroleumfunzel. Eine Plane schützte sie tagsüber vor der sengenden Sonne der Wüste. Die Portion persönlicher Überzeugung muss gewaltig gewesen sein.
Heute absolviert Ruth Shady ihre Inspektionen mit Geländewagen und Chauffeur, die Mauerwohnecke der Anfangszeit ist durch ein Hazienda ähnliches Grabungshaus mit Elektrizität ersetzt. Darin hat neben der akademischen Mannschaft auch mindestens ein halbes Dutzend Hunde Wohnrecht. Jeden Morgen ab 6 Uhr sammeln sich hier die Grabungsarbeiter aus den umliegenden Dörfern, die Tagespläne der Arbeitssektionen werden verglichen, die Chefin gibt letzte Anweisungen. Dann setzt sich eine lange Kolonne mit Schaufeln, Schubkarren, Sieben und Vermessungsgerät bewaffneter Menschen, begleitet von einem Teil der Hunde, in Bewegung – die alltägliche archäologische Prozession in die heilige Stadt Caral.
ALTAR MIT PANORAMABLICk
Mit Schlagworten versuchen Wissenschaftler und Journalisten die Einmaligkeit der Stätte einzufangen: „Stadt des Heiligen Feuers”, „Mutter aller Städte”, „Quelle der Zivilisation”. Was Ruth Shady mit ihrem Team in den letzten zehn Jahren ans Sonnenlicht gebracht hat, ist selbst dann kaum zu erfassen, wenn man mitten in den Ruinen steht – weder visuell noch geistig. Caral erstreckt sich über 66 Hektar, das sind 660 000 Quadratmeter. Die wichtigsten Kultbauten stehen in der Oberstadt, etwa die „Große Pyramide”, die mit ihrem Umfang von 170 mal 150 Metern und 30 Meter Höhe auch heute noch die staubige Ruinenlandschaft beherrscht. Aus einem „vertieften runden Platz” stiegen die Priester, Potentaten oder Pilger vor 4500 Jahren über eine steinerne Freitreppe sieben Terrassen empor zum Altar des Heiligen Feuers, der von Sitzreihen umgeben war. Von hier oben hat man einen Panoramablick über die zentrale Plaza und die gesamte Stadt. Die „Galerie-Pyramide” daneben türmt sich mit 11 „ Etagen” knapp 19 Meter hoch. Die zentrale Tempelpyramide wird jetzt erst ausgegraben.
Das „Amphitheater” beherrscht die Unterstadt. Der „Tempel des runden Altars”, ebenfalls in der Unterstadt, ist die zweitgrößte Kultstätte. Das Heilige Feuer brannte in einem Privattempel des Amphitheater-Komplexes: In einem weiß und gelb gestrichenen Raum pfiff der ewige Wind des Tales durch unterirdische Kanäle und sorgte beim zentralen Feuerplatz für so hohe Temperaturen, dass darin neben Körnern und Flaschenkürbissen sogar Knochen und Quartz verbrannt werden konnten.
ABGESCHIEDEN VOM IRDISCHEN LÄRM
Insgesamt zählt die Ausgräberin 32 „öffentliche Bauten” zum Kerngebiet von Caral. Bei der Beschreibung des Platzes, 25 Meter oberhalb der Flussaue, wird Ruth Shady fast lyrisch: „Die Leute von Caral sahen den blauen Himmel über sich, die Wohnstätten ihrer Götter, den Gürtel der felsigen Berge, der ihre Stadt umschloss, abgeschieden vom irdischen Lärm der Alltagsarbeit im Tal.” So beeindruckend Areal und Ensemble sind: Die Mutter aller Städte ist nicht die einzige prähistorische Siedlung im Supe-Tal – und das betont ihre Wichtigkeit. Ruth Shady und ihre Helfer haben allein im Flussabschnitt um Caral, wo sich das Tal auf 1,5 Kilometern zu einer landwirtschaftlich nutzbaren Fläche weitet, sieben weitere Siedlungen erkundet. Im gesamten Tal bis zum Meer gehören 20 Stätten aus dem 3. Jahrtausend v.Chr. zum Caral-Kosmos. Alle archäologischen Indizien weisen darauf hin, dass Caral das administrative und kultische Zentrum der Region war.
Warum die Menschen vor fast 5000 Jahren ein solch titanisches Unterfangen ausgerechnet in der Wüstenei Caral begannen, ist ein Rätsel. Eine Teilantwort gibt die Ausgräberin: „Das Supe-Tal ist die kürzeste Verbindung zwischen Küste und Hochland. Und vom Hochland kommt man in den Urwald. Das ist eine ideale Verbindungsroute.” Belege für Kontakte über die Anden hinweg ins amazonische Tiefland existieren es etliche: rote Perlen und Schneckenarten, die im Hochland und an der Küste nicht vorkommen, und Knochen von urwäldlerischen Brüllaffen. Aus dem Hochland stammen Lama- und Kondorknochen, die zu Flöten verarbeitet wurden. Die Belege für enge Kontakte zur Küste sind man- nigfach und reichen bis zu Knochen von Blauwalen.
Ruth Shady ist überzeugt: „Carals landwirtschaftliches Potenzial war gar nicht so groß, aber es hatte eine zentrale Position in einem überregionalen Austauschnetz.” Der Ort hatte offenbar eine Marktnische in diesem System besetzt: Die Leute von Caral, so meint Shady, bauten in großem Umfang Baumwolle an, nachdem sie gelernt hatten, das Flusswasser über Bewässerungskanäle für ihre Felder zu nutzen. Die Baumwolle verkauften die Caraler an die Fischer in Aspero. Die flochten daraus Baumwollnetze, die zusammen mit ebenfalls aus Caral stammenden Flaschenkürbissen als Schwimmer einen reicheren Fang erbrachten. Aus Vichama, dem anderen Küstenort des Caral-Universums, kam ebenfalls Fisch. Zusätzlich lieferten die Vichamer Tragenetze aus den Fasern einer speziellen Schilfart. In den Netzen wurden die Steinbrocken für die Caral-Bauten herangeschleppt.
Kult mit Mini-Figuren
Die Welt war weit und offen, und mit den Dingen reisten auch immer Ideen. In der Galerie-Pyramide zum Beispiel fanden die Ausgräber kleine Ton-Figuren mit aufwendig gestylten Frisuren. Nahezu identische Statuetten kennt man aus dem südlichen Ecuador, wo die Valdivia-Kultur rund 800 Jahre vor Caral blühte und schöne Keramikgefäße und -figuren hervorbrachte. Der einzige Unterschied: In Valdivia wurden die Tonerzeugnisse gebrannt, also zu Keramik umgeformt, in Caral blieben die Figurinen fragil tönern. Henning Bischof, profunder Kenner der andinen Archäologie und emeritierter Museumsmann in Mannheim, hält die Ähnlichkeit keinesfalls für zufällig: „Es gab keine geografische Sperre zwischen dem Süden des heutigen Ecuador und dem Norden von Peru. Eventuell herrschte in beiden Stätten ein Kult, der mit kleinen Tonfiguren arbeitete.”
Der mögliche Zielort valdivischen Ideentransfers, die Stadt des Heiligen Feuers, war vermutlich das Zentrum für Verwaltung, Kult und Politik und beeinflusste so die gesamte Region. Shady vermutet: „Caral hatte Leitungsfunktion.” Zur sozialen Differenzierung der Gesellschaft in Caral gibt es nur magere archäologische Hinweise, denn bislang wurden nur wenige Gräber gefunden. „Es sind im wesentlichen Kinderbestattungen”, erklärt Ruth Shady. „Aber bei denen gibt es klare Unterschiede: Manche Toten haben so gut wie keine Grabbeigaben, andere sind richtig als Mumien mit Textilien und Schmuck beigesetzt worden.” Und es finden sich Belege für eine bereits arbeitsteilige Gesellschaft: „ Da gab es Leute, die allein für die Landwirtschaft tätig waren, und Spezialisten, die sich mit der Architektur beschäftigten. Diese handwerkliche Spezialisierung wird es sicher auch in anderen Bereichen, etwa für den Kult, gegeben haben”, erzählt die Archäologin beim abendlichen Gespräch in der Hazienda.
wO SIND KÖNIG UND FRIEDHOF?
Und was ist mit einer gesellschaftlichen Elite – gab es einen Häuptling, einen König? Da muss die Ausgräberin passen. Umfang und künstlerische Ausstattung der Siedlungen und Bauten sprechen für einen führenden Kopf, aber archäologische Belege dafür hat der Boden von Caral noch nicht freigegeben. Irgendwo muss in den 66 Hektar ein Friedhof liegen – aber wo? Trotz dieses Mangels hat Ruth Shady eine feste Vorstellung von der Gesellschaft. Kurz nach 2600 v.Chr. nämlich, so weisen es die Grabungen aus, gab es im länger besiedelten Caral einen tiefgreifenden Wandel: „Da kam ein Moment, an dem jemand angeordnet hat, dass alle Gebäude auf den zentralen Platz ausgerichtet werden. Das ist eine urbanistische Idee.”
Caral – die Urmutter aller Städte der beiden Amerikas? Dieser Gedanke hat ein tragfähiges Fundament. Es muss zu diesem Zeitpunkt bereits eine herrschende Elite oder gar einen wie auch immer gearteten Herrscher gegeben haben. Und worauf stützte der seine Macht, um seinen Willen durchzusetzen? Mit der Frage rührt man an ein Mysterium Carals: Die Archäologen haben nirgendwo Wehrmauern, Waffen, sonstige militärische Utensilien oder andere Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen gefunden.
Ruth Shady zieht einen plausiblen Schluss: Die zahllosen Tempel, Altäre und Feuerstellen deuten allesamt auf einen überaus starken Kult hin. „Sie sind Symbole für eine kulturelle Identität und einen starken sozialen Zusammenhalt. Die Leute von Caral widmeten ihr Leben der Arbeit für ihre Götter und die Autoritäten, die diese repräsentierten.” Es bedurfte keiner militärischen Absicherung, solange diese soziale Übereinkunft funktionierte und die Herrscher für Göttergunst sorgten in Form von anhaltender Fruchtbarkeit und ausbleibenden Naturkatastrophen.
Als ihre Mitarbeiter in der Galerie-Pyramide ein geknotetes Fadenbündel fanden, erhob Ruth Shady es zur „Mutter aller Quipus” , jenes legendären Notationssystems der Inka aus farbigen Garnen und Knotenreihen. Das Schnur-Stück wäre mit 4900 Jahren, wie es Shady datiert, der älteste Quipu überhaupt. Doch bei diesem kühnen Bogen bis zu den Inka gibt es Gegenwind. Henning Bischof möchte das Geflecht gründlich wissenschaftlich untersucht sehen, „ ob das nicht ein Textilrest oder eine Knüpferei zu anderem Zweck ist”. Solche Überlegungen und Szenarien reichen weit ins Feld der Interpretationen, etliches ist reine Spekulation. Denn: „Die Vorgeschichte Perus ist höchst lückenhaft, es gibt zu wenige Zusammenhänge, das meiste ist aus dem Kontext gerissen”, charakterisiert Henning Bischof die Kalamitäten der Forscher. So hat er zum Beispiel Einwände gegen Shadys Angaben über die ganz frühen C14-Daten aus Caral – 2900/2800 v.Chr.: „Seit 2004 ist der Durchschnittswert des ältesten mir aus Caral bekannten Datums 2750 v.Chr. Es gibt wahrscheinlich ältere Bauphasen, aber die kann Ruth Shady bis jetzt nicht wissenschaftlich nachweisen.” Mit dem Näherungswert 2750 v.Chr. wäre Caral immer noch die älteste stadtähnliche Siedlung Amerikas. Solche Superlative sind von Bedeutung, denn es geht schließlich nicht nur um Wissenschaft, sondern auch um prestige- und tourismusträchtige Tatsachen.
MASTERPLAN FÜR DAS SUPE-TAl
Ruth Shady will jetzt interdisziplinär arbeiten, etwa mit Klimaforschern. Die riesigen Flächen des Areals erfordern zudem eine geophysikalische Untersuchung des Untergrunds, zumal Daniel Sandweiss von der University of Maine Erdbeben für das Ende der 500- bis 800-jährigen Kultur um 2100 v.Chr. verantwortlich gemacht hat. Dabei ist die Ausgräberin in Caral eine zweischneidige Liaison eingegangen: 2003 hat sie – damals noch weitgehend im Alleingang – einen Masterplan für das Supe-Tal ausgearbeitet. In dem sind die archäologischen Ziele festgelegt und mit einer allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der Region verknüpft. Straßenbau, medizinische Versorgung, Förderung des Kunsthandwerks und Ausbau der sanitären Versorgung sollen die Lebensbedingungen der Supe-Tal-Bewohner verbessern. Das entspricht dem sozialen Impetus der Caral-Herrin. Aber es ist auch ein teuflischer Pakt: Der forcierte Ausbau des Tourismus soll die wirtschaftlichen Grundlagen zusätzlich sichern. „Wir wollen so viele Besucher anlocken wie Machu Picchu”, ist Ruth Shadys Ziel. Doch Machu Picchu steht kurz vor dem Kollaps. Der Landsitz der Inka im Hochland droht unter den täglich 4000 Besuchern zu ersticken. Andererseits: Von Machu Picchu lebt das ganze Dorf am Fuß des Bergs. Wer will da richten?
Rastlose Anstifterin
Auch bei der Fahrt durch das Supe-Tal ist die Armut offenkundig. Selbst die florierende Landwirtschaft im Flusstal ist nicht gesichert, denn sie ist permanent durch heftige Wetterumschwünge gefährdet. „Die Leute hier sind arm, und ich muss ihnen jetzt helfen, nicht irgendwann”, sagt Ruth Shady. Als Absolventin der ehemals marxistischen San-Marcos-Universität in Lima – die Tochter einer Peruanerin und eines Prager Juden – ist so etwas wie eine andine Alt-Achtundsechzigerin. „Sie ist eine rastlose Anstifterin”, charakterisierte die Wochenzeitung „Die Zeit” die Ausgräberin: „Und es ist nicht das gelegentlich selbstherrliche Auftreten, sondern das unbeirrbare soziale Engagement für ihre Mitarbeiter ebenso wie für die Bevölkerung im Umland der Fundstätten, das die Archäologin zur unangefochtenen Herrscherin im Tal der Pyramiden gemacht hat.” Ruth Shady lässt inzwischen an acht archäologischen Stätten graben. Denn nur so können die engen Beziehungen der Siedlungen im Supe-Tal untereinander und zur Metropole geklärt werden. Zudem: Caral selbst ist zwar nicht gefährdet, aber in anderen prähistorischen Siedlungen, etwa Aspero oder Vichama, wachsen die Dörfer bedrohlich an die Zeugnisse der Vergangenheit heran, teilweise sogar schon in sie hinein. In Vichama wurden Lehm und Steine der vorgeschichtlichen Tempelbauten für den heutigen Hausbau genutzt. Der konturlos zerflossene Hügel am Dorfrand war für Laien-Augen als archäologische Stätte nicht mehr erkennbar. Von Ruth Shadys Stadt des Heiligen Feuers ist erst ein Bruchteil ausgegraben. Und Fragen gibt es noch genug: Warum zum Beispiel fanden die Ausgräber in Caral kaum Kunst? Wo und wie wohnte das Volk? Welcher Kult war mit dem Heiligen Feuer verbunden? Schließlich steht bei der Mutter aller Städte die Frage aller Fragen an: Warum wurde die Stadt aufgegeben? Denn irgendwann um 2100 v.Chr. räumten die Bewohner die Häuser und Tempel, begruben ihre Heimstatt planmäßig unter Unmengen von Sand, Geröll und Stein und zogen davon. Die überragende Caral-Kultur fand keine Fortsetzung.
Der hartnäckigen Ruth Shady ist in Caral ein unwahrscheinlich anmutendes Kunststück gelungen: Sie konnte das notorische Desinteresse der peruanischen Regierung am kulturellen Erbe brechen. Seit 2007 werden die Supe-Grabungen zeitlich unbegrenzt vom Staat finanziert.
Wer so etwas fertig bringt, ist mehr als Gold wert: Der Minister für Verkehr und Kommunikation steigt – nach Wahlkampfrede und Straßeneinweihung – mitten im Menschenpulk noch einmal aus seinem Auto und verabschiedet sich mit einer Umarmung von der Herrin des Supe-Tals. ■
MICHAEL ZICK, Buchautor und ehemaliger bdw-Redakteur, kennt die aktuellen Grabungen in Peru von seinen Recherchen vor Ort.
von Michael Zick