Am schnellsten war die Gruppe der schwangeren Raucherinnen voll. Auch angehende Mütter mit Asthma fanden sich rasch. Schwierig dagegen gestaltete sich die Suche nach Frauen aus der Landwirtschaft, die ein Kind erwarteten und täglich Kontakt mit Stalltieren hatten. Denn selbst im südlichen Schwarzwald gibt es nur noch wenige Frauen, die sich als Bäuerinnen bezeichnen. Fünfmal setzte Dr. Andrea Heinzmann eine Suchanzeige in die „ Badische Bauernzeitung”. Dann endlich hatte die Privatdozentin und Oberärztin an der Freiburger Uni-Kinderklinik genügend schwangere Probandinnen für ihre Studie „Auswirkung pränataler Einflüsse auf die Epigenetik des Asthma bronchiale” zusammen. Unter Epigenetik versteht man Veränderungen am Erbgut, die nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen. Manche davon können sogar vererbt werden.
Heinzmann und ihre Kollegin Dr. Ruth Grychtol sitzen in ihrer „ Denkzelle”. So heißen die Büros in der „Zentralen Klinischen Forschung” (ZKF) an der Universitätsklinik Freiburg. Hier wird gedacht, diskutiert, geforscht – aber zur Entspannung auch mal eine Runde Kekse und Kaffee ausgegeben. Die ZKF ist aus dem Wunsch und der Notwendigkeit entstanden, die Freiburger Medizin-Forscher besser untereinander zu vernetzen. Ihre Büros und Labore sind um einen großen Innenhof gruppiert. Auf dem Flur gegenüber der „Denkzelle” von Heinzmann und Grychtol liegt – wie bei den Kollegen auch – ihr Labor mit den riesigen Kühlschränken.
Im Hauptjob leitet Andrea Heinzmann die Arbeitsgruppe Pneumologie, Allergologie und Mukoviszidose an der Universitäts-Kinderklinik. 2006 hat sie sich über die „ Eingrenzung genetischer Faktoren in der Entstehung chronisch entzündlicher Erkrankungen” habilitiert. Seit neun Jahren besteht unter ihrer Leitung die Arbeitsgruppe „Genetik allergischer Erkrankungen” am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Freiburg.
Seit 2008 unterstützt die Baden-Württemberg Stiftung Andrea Heinzmann bei ihrer Studie über vorgeburtliche Asthma-Risiken. Die insgesamt 380 000 Euro Forschungsgeld für drei Jahre benötigt Heinzmann vor allem für Verbrauchs- und Personalmittel. Für die Studie konnte sie davon eine MTA einstellen sowie eine Postdoc-Stelle besetzen: mit Ruth Grychtol. Grychtol ist ebenfalls Kinderärztin und für ein Jahr von der Arbeit auf Station freigestellt. „Wir sind zur Zeit das einzige Forschungsteam aus der Kinderklinik im ZKF”, sagt Heinzmann. Sie ist zudem eine der Ersten bundesweit, die über die Rolle der pränatalen Epigenetik zur Entstehung von Asthma bronchiale im Mutterleib forscht. Das mutet fast schon erstaunlich an, denn die Epigenetik hat Konjunktur in Forschung und Öffentlichkeit. Das beweisen Bücher wie „Der zweite Code” von Peter Spork. Wenn Menschen Computer wären, schreibt Spork, dann wären unsere Gene die Hardware. Natürlich benötige man dazu eine Software – und die entschlüsseln seit einigen Jahren die Epigenetiker. „Revolutionär” sei der Gedanke, begeistert sich Spork, diese Software gezielt umprogrammieren zu können, um „das unerhörte Potenzial, das in den Genen steckt, besonders gut auszuschöpfen”.
Möglicherweise findet auch Andrea Heinzmann „Revolutionäres”: eine Erklärung für die Entstehung von Asthma. Sie sucht nach Gen-Abschnitten, die durch Methylierungen verändert oder abgeschaltet worden sind. Anders als bei einem genetischen Defekt, bei dem ein Stück Erbinformation zerstört oder ausgetauscht worden ist, ist hier etwas dazugekommen: Es hat sich eine chemische Gruppe an einen Chromosomen-Abschnitt gehängt, die sogenannte Methylgruppe. Heinzmann und ihr Team untersuchen in der Studie das Methylierungsverhalten der Chromosomen 5, 7 und 16. Hier ist ein Großteil der Gene lokalisiert, die am stärksten die frühe Immunantwort beeinflussen. Die Folge einer fehlgesteuerten Immun-Antwort kann Asthma sein.
GESUNDER KUHSTALL
Die Forscherinnen sind sich sicher, dass Asthma auch durch übertriebene Hygiene in den letzten 50 Jahren zugenommen hat. Zudem ist bereits seit Längerem bekannt, dass Asthma über die mütterliche Linie vererbt werden kann und dass das Rauchen von mindestens fünf Zigaretten täglich während der Schwangerschaft das Asthma-Risiko des Kindes erhöht. Selbst wenn die Großmutter geraucht hat, wirkt sich das noch auf die Enkel aus. Kontakt mit Stalltieren dagegen vermindert das Risiko für das Kind – ein weiterer Umweltfaktor, der möglicherweise das Erbgut modifiziert. Bisher gibt es nur wenige systematische Untersuchungen zur Epigenetik von Erkrankungen. Das möchten Andrea Heinzmann und ihr Team ändern.
Dafür benötigen sie das Blut aus der Nabelschnur von gesunden, neugeborenen Kindern. Damit soll ein Effekt nachgeburtlicher Umweltfaktoren ausgeschlossen werden. Aus 80 Millilitern Blut pro Proband isoliert das Forschungsteam CD4-Zellen. Die CD4-Zellen gehören zu den Lymphozyten, einer Form der weißen Blutkörperchen. Ihre Zahl pro Mikroliter Blut ist ein Maß dafür, ob das Immunsystem funktionsfähig ist. Sinkt ihre Zahl unter 200 pro Mikroliter Blut, ist der Schutz lückenhaft.
Andrea Heinzmann hat für ihre Studie keinerlei persönlichen Kontakt mit den schwangeren Probandinnen. Sie spricht weder mit ihnen über die Gefahren des Rauchens in der Frühschwangerschaft noch besucht sie sie auf dem Bauernhof. Doch ganz anonym und ohne Einwilligung der Frauen geht die Forschung selbstverständlich nicht vonstatten. Im Vorfeld bekamen die Schwangeren, die bereit waren, das Nabelschnurblut ihres Neugeborenen dem Team um Andrea Heinzmann zu überlassen, Besuch von einer Doktorandin mit einem dicken Fragebogen. Sie hat die werdenden Mütter zusammen mit den an der Studie beteiligten Gynäkologen über den Ablauf aufgeklärt. Im Vorfeld wurden bei den beteiligten Frauen Serum-Proben genommen, um das Cotinin zu bestimmen. Dieser Wert gibt Aufschluss darüber, ob und wie viel die Mutter raucht.
ANTIKÖRPER ALS FILTER
Pro Gruppe (Raucherinnen, Asthmatikerinnen, Bäuerinnen) benötigt Andrea Heinzmann zehn Nabelschnurblut-Proben. Das reicht aus für ihre Pilotstudie mit einer entsprechenden Vergleichsgruppe, die aus gesunden, nichtrauchenden Städterinnen besteht. Zudem kann sie später auf die bereits vorliegenden Daten von 500 Asthmatikerkindern sowie 500 gesunden Kindern aus ihrer Vorgängerstudie über die Genetik von Asthma und Lungenerkrankungen zurückgreifen. Doch diese Daten sind nichts gegen die gigantischen Mengen, die jetzt anfallen. In der Epigenetikstudie wird die neue, sehr teure und aufwendige Medip-Methode (Methylated DNA Immunoprecipitation) angewendet. Dabei wird die DNA aus den CD4-Zellen des Nabelschnurbluts zunächst zerstückelt und anschließend mit Antikörpern, die sich an methylierte Abschnitte anheften, herausgefiltert. Diese Fragmente werden danach mit einem Farbstoff markiert und auf einen etwa briefmarkengroßen Chip gegeben. Die Oberfläche eines solchen Chips besteht aus DNA-Abschnitten, die 25 Basenpaare lang sind (Oligomere). Diese sind so angeordnet, dass komplementäre DNA-Fragmente sich an sie anheften können. Über 6,4 Millionen dieser kleinen Oligomere sind auf einem solchen Chip vertreten. Alle zusammengenommen ergeben das Genom der Chromosomen 5, 7 und 16.
Die mit Farbstoff markierten Fragmente, die mittels Medip herausgefiltert wurden, binden sich an die Oligomere des Chips und werden mittels eines speziellen Scanners „abgelesen”. Hierdurch können die methylierten Fragmente wieder ihrem genauen Ort auf den drei untersuchten Chromosomen zugeordnet werden. Durch die Genchip-Technologie wird es möglich, sehr viele methylierte DNA-Abschnitte gleichzeitig zu identifizieren. Mit herkömmlichen Methoden wäre eine solche Menge an DNA-Fragementen nicht auswertbar.
Nun wird die Forschung interdisziplinär: Für das Team der Kinderklinik verarbeitet ein Physiker die Informationen auf dem Chip weiter. Erste Ergebnisse liegen Andrea Heinzmann bereits vor. Es wurden Regionen in der DNA der Raucherinnen-Gruppe identifiziert, bei denen sich Verbindungen zu Asthma herstellen lassen. In weiteren Untersuchungen müssen diese Ergebnisse aber noch bestätigt werden.
Damit wären die Kinderärztin und ihr Team dem angestrebten Ziel schon viel näher gekommen, epigenetische Erklärungen für Asthma zu finden. Denn Andrea Heinzmann möchte aus ihrer wissenschaftlichen „Denkzelle” heraus ganz praktisch dazu beitragen, dass Asthma eines Tages durch Vorsorge verhindert oder schon im frühen Stadium mit neuen Medikamenten bekämpft werden kann. Ihr wichtigster Rat vorab richtet sich an die Mütter: Nicht rauchen. ■
von Heidrun Wulf-Frick