Es besteht kein ernsthafter Zweifel mehr: Der Rinderwahnsinn BSE kann auch den Menschen befallen und die sogenannte „neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit” hervorrufen. Es ist eine Infektionskrankheit, die der Mensch selbst erschaffen hat, indem er tote Schafe an Rinder verfütterte, die von Natur aus vegetarisch leben. Unter diesen Schafen waren Scrapie-kranke Tiere, mit „Schafwahnsinn”, einer seit langem bekannten Krankheit. Das Fleisch dieser Tiere war für Menschen harmlos, aber als der Erreger die Artenbarriere zwischen Schaf und Rind übersprang, verwandelte er sich in einen gefährlichen Infektionskeim, der seitdem Menschen und Tiere infizieren und töten kann. Der Mensch hat eine Büchse der Pandora geöffnet. Können die Forscher und Politiker sie wieder schließen? Wie groß ist die Gefahr durch verseuchtes Fleisch? Existieren zuverlässige Tests? Gibt es medizinische Hilfe? bild der wissenschaft analysiert den Stand der Forschung: nicht hoffnungslos erste Ansätze schlechte Aussichten Frage 1 Läßt sich BSE-Fleisch sicher identifizieren? Bislang ging Rindfleisch nur dann nicht über die Ladentheke, wenn die Kühe offensichtlich am Rinderwahnsinn BSE gelitten hatten: wenn sie schwankten oder sich seltsam verhielten. Ein wirklicher Gesundheitsschutz für den Verbraucher ist das nicht, denn Rindfleisch ist – zumindest als Tierfutter – am infektiösesten in den Monaten, bevor die Krankheit offen ausbricht, so die Erkenntnis von Neil Ferguson von der Universität Oxford. Bisher konnte man dieses Krankheitsstadium bei Rindern aber nicht erkennen. Die Lösung des Problems: Tests, um die krankmachenden Prionen direkt im Fleisch nachzuweisen. Drei solcher Tests haben inzwischen eine EU-Prüfung bestanden und dürfen angewendet werden: • Der Zuverlässigste: Der Schnelltest Prionics Check der Schweizer Firma Prionics. Nach Angaben von Forschungsleiter Dr. Bruno Oesch wurden nur bei ihm alle Proben sofort richtig markiert. Er kostet etwa 95 Mark pro eingeschickter Hirnprobe und dauert etwa acht Stunden. • Der Empfindlichste: Der Test der französischen Commission de l’E nergie Atomique (CEA) in Gif sur Yvette Cedex. Er reagiert noch bei geringeren Prionen-Konzentrationen als die anderen. • Der Schnellste: Der Test der irischen Firma Enfer Scientific aus Newbridge in Kildare. Er dauert vier Stunden und kostet etwa 57 Mark pro Probe. All diese recht einfachen Laboruntersuchungen können die gefährlichen Prionen schon sechs Monate vor den ersten klinischen Symptomen des Rinderwahnsinns nachweisen. In der Schweiz müssen seit dem letzten Jahr alle Rinder getestet werden, die sich in irgendeiner Weise merkwürdig benehmen, abmagern oder krank werden. In der Schlachthofpraxis läuft das Verfahren folgendermaßen ab: Für den BSE-Test der Schweizer Firma Prionics sticht der Tierarzt den geschlachteten Rindern eine Sonde in den Übergang vom Rückenmark zum Stammhirn und entnimmt eine Gewebeprobe. In dieser Hirnregion treten die krankmachenden Prionen zuerst und in hoher Konzentration auf. Die Veterinäre testen die Probe in einem sogenannten Western-Blot mit farbig markierten Antikörpern. Wenn auf dem Blot der markante Fleck der Prionen erscheint, beschlagnahmen die Amtstierärzte den Kadaver und lassen ihn vernichten. In Deutschland werden solche Tests noch nicht gefordert, obwohl der für Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissar David Byrne die Mitgliedstaaten dazu drängt. Seit dem April dieses Jahres bietet die Firma Bovina den Schweizer BSE-Test in Lizenz für deutsche Schlachter an. Als Vorreiter läßt der Metzger Rainer Sommer bei Heilbronn seine geschlachteten Rinder testen – eine Aktion, die unter seinen Kollegen zu empörten Protesten führte: Rindfleisch aus Baden-Württemberg sei sicher und der Test nur teuer und überflüssig, verkündete die zuständige Fleischerinnung. Nachgeprüft hat diese Behauptung aber vor Metzger Sommer noch keiner. Bisher sind seine Befunde „negativ”. Das beauftragte Labor fand zum Glück keine Prionen in den geschlachteten Kühen. Unbeirrt davon arbeiten die Forscher an noch empfindlicheren Tests, denn die existierenden Verfahren sind nur sinnvoll bei Tieren, die älter als 30 Monate sind, da sich erst dann genügend krankheitsverursachende Prionen gebildet haben können. Wissenschaftler um den Mainzer Molekularbiologen Werner Müller und die US-amerikanische Forscherin Mary Jo Schmerr haben inzwischen einfachere Tests entwickelt, bei denen die Prionen schon im Blut oder in der Gehirnflüssigkeit von Rindern entdeckt werden können. Sie sind aber noch nicht offiziell auf ihre Zuverlässigkeit getestet. bdw-Fazit Die bisher von der EU zugelassenen Tests können erst nach der Schlachtung und nur bei älteren Tieren eingesetzt werden. Sie erhöhen die Sicherheit für den Verbraucher, bieten aber keinen vollständigen Schutz, da man bis heute nicht weiß, wie infektiös Rindfleisch jüngerer infizierter Tiere ist. Frage 2 Sind Europas Rinder schon durchseucht? Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kommt es in Großbritannien jährlich zu fast 2000 BSE-Fällen. Außerhalb sind es immerhin mehrere hundert Fälle pro Jahr. In diesem Jahr gab es zum ersten Mal in Dänemark ein BSE-Rind aus einheimischen Beständen. Wie viele Tiere infiziert sind, und warum die Seuche immer wieder aufflackert, wissen die Forscher nicht. Wahrscheinlich sind insgesamt mehr Tiere infiziert als man bisher dachte. Beleg Schweiz: Seit Januar 1999 werden mit dem BSE-Schnelltest alle erwachsenen Milchkühe untersucht, die plötzlich verendet waren oder wegen unklarer Symptome geschlachtet werden mußten. Die Schweizer Veterinäre entdeckten dabei doppelt so viele BSE-Fälle wie man mit der bisherigen klinischen Überwachungsmethode aufgespürt hätte. Der Neuropathologe Prof. Hans Kretzschmar von der Universität Göttingen befürchtet, daß es in anderen Staaten ähnlich aussieht: „Verläßt sich ein Land nur auf die Überwachung anhand klinischer Symptome, werden BSE-Fälle übersehen.” Viele Kühe haben im BSE-Frühstadium nur sehr vage Symptome: Sie geben weniger Milch, haben struppiges Fell oder magern einfach nur ab. Es besteht die Gefahr, daß die Landwirte diese für sie nicht lohnenden Tiere früh schlachten und so infiziertes Fleisch unerkannt in den Handel kommt. In Deutschland wurden insgesamt sechs BSE-Fälle gemeldet (1992, 1994 und 1997). Es waren ausnahmslos britische Importtiere. Daher bezeichnen die deutschen Behörden die Bundesrepublik als BSE-frei. Das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen hat letztes Jahr in einer Studie 5000 Schlachtrinder mit dem Prionics-BSE-Test untersucht. Dabei wurden keine infizierten Tiere entdeckt. Brüssel will jetzt EU-weit 65 000 Rinder testen.
bdw-Fazit Fleisch aus EU-Staaten, vor allem aus Portugal und Frankreich, ist nicht unbedingt sicher. Für Deutschland deuten erste Stichproben auf relative Sicherheit. Neben einem genauen Herkunftsnachweis und einer strengen Futtermittelüberwachung braucht die EU BSE-Tests, die eine Infektion lange vor den ersten klinischen Symptomen nachweisen – zum einen, um die Verbraucher zu schützen, aber auch, um das Ausmaß zu überprüfen.
Frage 3 Gibt es gesundes Fleisch von kranken Tieren?
Prionen befinden sich vor allem in den Nerven. Der BSE-Erreger steckt somit besonders im Gehirn und erreicht dort immer die höchste Konzentration. Aber auch das Rückenmark, innere Organe und Muskelfleisch sind von Nerven durchzogen. Der britische BSE-Experte John Collinge vom Imperial College in London vermutet daher, daß Muskelfleisch wesentlich infektiöser ist, als man bisher annimmt. Außerdem können die Prionen beim Schlachten aus dem Gehirn austreten: Der Veterinärmediziner Haluk Anil von der Universität Bristol fand heraus, daß nach dem Bolzenschuß in den Schädel das Herz noch eine Weile weiterschlägt und so Hirngewebe durch das verletzte Gefäßsystem in den Körper transportiert wird. Beim Zerlegen des Tieres kann zudem hochinfektiöses Hirn- und Nervengewebe in Kontakt mit dem vermeintlich ungefährlichen Muskelfleisch kommen.
bdw-Fazit BSE-Erreger können in jedem Teil des Tieres vorkommen – wenn auch in geringer Konzentration. Ob es genügend sind, um einen Menschen zu infizieren, weiß man nicht.
Frage 4 Können auch Schafe gefährlich werden?
In Deutschland und in vielen anderen europäischen Staaten ist es seit der britischen BSE-Katastrophe verboten, Tiermehl von Säugetieren dem Rinderfutter beizumischen. Aber es ist in einigen Ländern – auch in Deutschland — gängige Praxis, Tiermehl aus Rindern und Schafen an Schweine, Fische und Geflügel zu verfüttern. Diese Tierarten erkranken zwar nachweislich nicht an BSE, aber Richard Race und Bruce Chesebro vom Nationalen Institut für Infektionskrankheiten in den USA befürchten, daß sie trotzdem eine Gefahr darstellen. Die amerikanischen Forscher arbeiten mit bestimmten Mäusestämmen, die selbst nicht an BSE erkranken. Doch auch in ihnen vermehren sich die gefährlichen Prionen, und ihr Gewebe kann andere Tiere anstecken. Race und Chesebro vermuten: Auch Schweine, Fische oder Hühner könnten zum Reservoir für Prionen werden, wenn die BSE-Erreger in scheinbar resistenten Tierarten überdauern.
Bei der Futtermittelherstellung und in landwirtschaftlichen Betrieben sind Verwechslungen nicht auszuschließen. Rinder könnten versehentlich mit Tiermehl gefüttert werden. Race und Chesebro fordern deshalb ein generelles Verbot der Fütterung mit Tiermehl. Dr. Martin Groschup von der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere in Tübingen schließt nicht aus, daß auch von Schafen eine Gefahr ausgeht: „Vor allem in Großbritannien tritt Scrapie häufig auf. Schafe können sich aber auch mit BSE infizieren, wie wir aus Experimenten wissen. Anhand der Symptome können wir nicht unterscheiden, ob sie an BSE oder an der für den Menschen ungefährlichen Scrapie-Krankheit leiden.” BSE-verseuchte Schafbestände könnten ein großes Problem werden, wenn der Erreger über das Fleisch infizierter Schafe unerkannt in die menschliche Nahrungskette gelangt. Groschup: „Wir untersuchen zur Zeit, wie groß diese Gefahr wirklich ist.”
bdw-Fazit
Es sind zwar viele, aber noch nicht alle BSE-Risikoquellen beseitigt. Außerdem kennt man noch nicht alle.
Frage 5 Wie kann man die Krankheit sonst noch bekommen?
Die britische Regierung reagierte 1996 endlich auf die Bedrohung durch BSE und beendete den Zwangskannibalismus unter Rindern. Die Tiere dürfen seitdem überhaupt nicht mehr mit Tiermehl gefüttert werden. Vorher galt nur ein eingeschränktes Verbot. Seitdem sinkt in Großbritannien die Zahl an neuerkrankten Rindern. Ist damit die Gefahr langfristig gebannt? Ein Problem bei der menschlichen Variante von BSE ist, daß Menschen sich nicht nur über ihre Nahrung anstecken können, sondern auch indirekt durch andere Menschen. Die meisten Menschen, die in Zukunft an der neuen Variante von CJK erkranken werden, sind heute schon infiziert. In ihrem Körper haben die Erreger schon ihr langsames, möglicherweise Jahrzehnte dauerndes Zerstörungswerk begonnen. Erst in einigen Jahren wird die Krankheit bei ihnen ausbrechen. In ihren Organen und in ihrem Blut existieren aber schon infek- tiöse Prionen. Krankhafte Prionen gehören zu den stabilsten Biomolekülen, die es gibt. Obwohl sie Eiweiße sind, überstehen sie stundenlanges Kochen, genau wie Dampfsterilisation und Desinfektionsmittel. Britische Ärzte stellten letztes Jahr fest, daß es keine Möglichkeit gibt, Chirurgenbesteck sicher zu sterilisieren. Ihr Fazit: Vor allem bei Hirnoperationen besteht theoretisch eine Infektionsgefahr, falls mit den Instrumenten vorher ein Creutzfeldt-Jakob-Patient operiert wurde.
Eine weitere potentielle Gefahr geht von Blutkonserven aus. Krankhafte Prionen befinden sich beim Menschen nicht nur im Nervengewebe, sondern auch in Zellen des Immunsystems: im Blinddarm, in der Milz, den Mandeln und in den weißen Blutkörperchen. Ob man sich über Blut mit BSE-Erregern infizieren kann und wie viele Blutspender den Erreger in sich tragen, weiß man bis heute nicht. Den Behörden von USA, Kanada und Japan ist schon dieses Risiko zu groß. Sie akzeptieren nicht einmal Blutspenden ihrer eigenen Bürger, wenn diese in den achtziger Jahren länger als sechs Monate in Großbritannien gelebt haben. Auch der Blutspendedienst des DRK wird diese Praxis in diesem Jahr übernehmen. Zusätzlich sollen in Deutschland in Zukunft die weißen Blutkörperchen aus dem Spenderblut herausgefiltert werden. Das DRK Nordrhein-Westfalen will schon vor einer gesetzlichen Regelung im August damit beginnen.
bdw-Fazit
Mit dem Kannibalismus unter Rindern hat die Menschheit einen neuen Infektionserreger geschaffen, der sich nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen läßt, daß man kein Fleisch mehr an Rinder verfüttert.
Frage 6 Kann man BSE beim Menschen rechtzeitig diagnostizieren?
Jane Smith war erst zwölf Jahre alt, als ihr Gehirn begann, sich aufzulösen. Die ersten Anzeichen waren unerklärliche und immer stärkere Schmerzen in den Beinen. Dann veränderte sich ihr Geist und ihr Verhalten: Ihre Sprache wurde schleppender, sie schrie ohne Anlaß und verdächtigte ihre Familie, sie umbringen zu wollen. Am Ende konnte sie weder gehen, noch sprechen oder schlucken. Maschinen erhielten sie am Leben. Die Symptome der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, des menschlichen BSE, sind vor allem im frühen Stadium nicht einfach zuzuordnen. Sie ähneln anderen geistigen Störungen, vor allem der Alzheimer-Krankheit. Kranke mit menschlichem BSE sind jedoch deutlich jünger als Patienten mit Alzheimer oder der klassischen CJK. „Wirklich sicher können wir die Krankheit erst nach dem Tod des Patienten diagnostizieren, indem wir das Gehirn untersuchen”, beschreibt Hans Kretzschmar die Situation. „Doch wir arbeiten zur Zeit an einem Verfahren, um die Prionen im Blut mit einem einfachen Test nachzuweisen.” Der britische BSE-Forscher John Collinge und sein Team haben einen Test entwickelt, um veränderte Prionen in Gewebeproben aus Rachen- und Gaumenmandeln aufzuspüren. Damit versuchen sie zur Zeit herauszufinden, wie groß das Ausmaß der nvCJK-Epidemie in Großbritannien ist. Ob es allerdings als Standarddiagnose-Verfahren geeignet ist, da sind die BSE-Forscher unterschiedlicher Meinung. Einen ganz anderen Weg gehen englische Forschungsgruppen am Royal Infirmary im englischen Newcastle und der CJD-Surveillance Unit in Edinburgh. Sie untersuchen die Gehirne von lebenden Patienten mit dem sogenannten Magnetresonanzimaging (MRI). Dieses Verfahren wird auch bei anderen Gehirnuntersuchungen angewandt, zum Bei-spiel bei der Suche nach Tumoren. Das Gehirn wird dabei auf einem Bildschirm untersucht. Nach den Ergebnissen der Edinburgher Forscher eignet sich das MRI unter bestimmten Umständen auch zur Diagnose der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit.
bdw-Fazit
Eine sichere Diagnose können die Ärzte erst nach dem Tod des Patienten stellen. Einfache und zuverlässige Blut- und Gerätetests wird es aber bald geben.
Frage 7 Besteht eine Heilungs-Chance bei der menschlichen Form von BSE?
Wie die BSE-Erreger das menschliche Gehirn zerstören, ist noch weitgehend ungeklärt (siehe Kasten letzte Seite „Mysteriöse Erreger”). Ein entscheidender Schritt ist jedoch klar: Krankhafte Prionen falten die gesunden Gehirneiweiße zu kranken um. Alle bisherigen Therapieansätze versuchen daher diesen Prozeß zu stoppen oder gar rückgängig zu machen: Forscher vom NIAID in den USA entdeckten, daß die sogenannten zyklischen Tetrapyrrole krankhafte Prionen hemmen: Sie verlängerten das Leben infizierter Mäuse. Britische Forscher entdeckten, daß das Blasenmedikament Pentosan-Polysulfat Mäuse gegen eine Infektion schützen. Aber um einigermaßen effektiv zu wirken, müßten beide Substanzen sehr früh nach der Ansteckung eingesetzt werden. Auch giftige Substanzen wie Porphyrine oder „Kongo-Rot” hemmen den Krankheitsverlauf. „Natürlich können wir solche Substanzen nicht in der Therapie einsetzen”, erklärt BSE-Experte Hans Kretzschmar, „aber mit ihrer Hilfe können wir erforschen, welche Substanzgruppen gegen die Prionenumfaltungen helfen und daraus besser verträgliche Medikamente entwickeln.” Das Schweizer Pharmaunternehmen Ares-Serono hat ein Peptid entwickelt, das in Tierversuchen die Verformung der Prionen rückgängig machen kann. Auch diese Substanzen sind nur Modelle zum Weiterforschen. Peptide können die Bluthirnschranke nicht überwinden. Es gibt noch kein Verfahren, um diese Wirkstoffe ins Gehirn zu transportieren.
bdw-Fazit
Eine Heilung der neuen Variante der CJK ist noch nicht in Sicht. Wahrscheinlich wird es aber in einigen Jahren Wirkstoffe geben, um die Zerstörung des Gehirns aufzuhalten oder wenigstens zu verzögern. Zusammen mit einer frühzeitigen Diagnose könnten so Menschenleben gerettet und lebenswert erhalten werden.
Frage 8 Müssen wir in ein paar Jahren mit einer Epidemie rechnen?
Wahrscheinlich haben die meisten Briten und viele Kontinentaleuropäer seit den achtziger Jahren BSE-infiziertes Rindfleisch gegessen – aber wie viele von ihnen sind infiziert, und wie viele von ihnen werden erkranken? Bis zum April dieses Jahres sind 52 Menschen an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. 1999 war das erste Jahr, in dem weniger Menschen starben als zuvor. Christl Donnelly vom Wellcome-Trust-Zentrum für Infektionsepidemiologie schloß daraus, daß es zu keiner großen Katastrophe kommen wird. Sie rechnet mit maximal 14 000 Infizierten. Andere Forscher sind weitaus vorsichtiger. „Wir können noch keine zuverlässigen Hochrechnungen über das Ausmaß der kommenden Epidemie machen”, meint BSE-Experte Hans Kretzschmar. „Bisher gab es nur wenige Erkrankte, und wir wissen nicht, wie lange die Inkubationszeit ist. Es können 10, 15 oder gar 20 Jahre sein.” Auch Liam Donaldson, der höchste medizinische Beamte in Großbritannien, ist skeptisch: „Es wird noch lange dauern, bis wir den vollen Umfang der Epidemie erkennen werden.” Er hält es nicht für ausgeschlossen, daß sich Millionen mit verseuchtem Rindfleisch angesteckt haben.
Eine erste Übersicht über das Ausmaß könnten Untersuchungen bringen, die mehrere Wissenschaftlerteams letztes Jahr in Großbritannien starteten. 1998 hatten Ärzte im Blinddarm des BSE-Opfers Tony Barrett krankhafte Prionen entdeckt. Außerdem hatte John Collinges Team herausgefunden, daß sich diese Prionen auch in herausoperierten Gaumen- und Rachenmandeln nachweisen lassen. Da Zehntausende dieser Organe nach den Operationen konserviert und aufbewahrt wurden und inzwischen Tests existieren, um die Krankheitserreger nachzuweisen, könnten sie einen Überblick geben, wieviel Prozent der britischen Bevölkerung mit krankhaften Prionen infiziert sind. Bis Anfang Mai diesen Jahres hatten die Forscher noch keine Prionen in den Gewebeproben gefunden. Die Wissenschaftler warnen jedoch vor Optimismus. Sie wissen nicht, in welchem Infektionsstadium die Krankheitserreger in Mandeln und Blinddärmen auftauchen und wie stark die Konservierungsmittel den Prionennachweis behindern. John Collinge will darum auch frisch gesammelte Mandelproben mit neuen Methoden untersuchen.
bdw-Fazit
Bei dieser bedrohlichsten aller BSE-Fragen sind die Forscher ratlos. Niemand weiß, ob es zur Katastrophe kommen wird.
BSE, CJD, Scrapie – was ist was?
All diese Krankheiten sind Prionenkrankheiten (siehe Kasten auf der rechten Seite: „Mysteriöse Erreger”) und zerstören das Gehirn der befallenen Lebewesen. BSE ist „Rinderwahnsinn”, eine Infektionskrankheit. Die Rinder können sich anstecken, wenn sie Tiermehl fressen aus Fleisch von BSE-kranken Rindern oder von Scrapie-kranken Schafen.
Die Schafskrankheit Scrapie (oder „Traberkrankheit”) ist zwar für Menschen ungefährlich, nicht aber für Rinder. Die klassische Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) tritt als Erbkrankheit und auch „spontan” auf. Wie das möglich ist, wissen die Forscher nicht. Die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJK) ist dagegen eine Infektionskrankheit: BSE bei Menschen. Überträger ist BSE-verseuchtes Fleisch von Rindern und möglicherweise auch von anderen Tieren.
Mysteriöse Erreger – Mehr Fragen als Antworten
„Ketzer” schallte es dem amerikanischen Forscher Stanley Prusiner 1982 entgegen, als er seine Ideen vorstellte. 15 Jahre später erhielt er für sie den Nobelpreis. Er hatte behauptet, daß ein völlig neuartiger Krankheitserreger – genannt Prion – die Gehirne von Scrapie-, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit- und Rinderwahnsinn-Opfern zerstört. Er sollte aus nur einem Molekül bestehen: einem falschgeformten Eiweiß. Damit verstieß Prusiner gegen ein zentrales Dogma der Biologie: Alle Krankheitserreger – von Pilzen, über Bakterien bis zu Viren – brauchen Erbinformation, also DNA oder RNA, um sich fortzupflanzen und sich in ihren Opfern auszubreiten. Beim Prion entdeckten die Forscher nie auch nur einen Hauch an Erbinformation, weder DNA noch RNA. Wie also kann dieses „Ding” ein Schafhirn oder ein Kuhhirn infizieren und sich dort dermaßen vermehren, daß das Tier schließlich stirbt – mit einem Hirn so löchrig wie ein Emmentalerkäse und voller Eiweißklumpen? Von den Prion-Eiweißen gibt es zwei Typen. Der eine kommt vor allem im Nervengewebe aller höheren Organismen vor und ist ein ganz normales Eiweiß des Gehirns. Der andere Typ aber ist krankmachend, obwohl er chemisch genau gleich aufgebaut ist. Er unterscheidet sich vom normalen Prion-Eiweiß jedoch in einem wesentlichen Punkt: der dreidimensionalen Form.
Nach Prusiners Theorie breiten sich die Prionen folgendermaßen aus: Trifft der krankmachende Prion-Typ im Gehirn auf das gesunde Prion-Eiweiß, so zwingt es diesem seine schädigende Form auf. Aus einem gesunden und einem kranken Prion entstehen zwei krankmachende Prionen. Diese attackieren wiederum gesunde Prion-Eiweiße. So falten sich immer mehr gesunde Prion-Moleküle in die tödliche Form. Wie aber können falschgeformte Eiweiße ein ganzes Gehirn zerstören? Einige Forscher mutmaßten zunächst, daß das von Prionen befallene Denkorgan Schaden nehme, weil ihm die gesunden Prion-Eiweiße fehlen. Dieser These widersprachen die ersten Forschungsresultate: Eine Maus, der Wissenschaftler jegliche Prion-Eiweiße gentechnologisch entfernt hatten, entwickelte nur geringfügige Hirnschäden. Offensichtlich ist die Maus nicht dringend auf Prion-Eiweiße angewiesen. Trotzdem entdeckten Wissenschaftler in den letzten Monaten einen ganzen Wust an möglichen Aufgaben für das normale Prion-Eiweiß im gesunden Gehirn: Es sitzt vor allem an den Synapsen und ist für die Signalüber- tragung zwischen Nervenzellen wichtig. Es reguliert den Kupferhaushalt der Zellen. Es entschärft giftige Substanzen. Es bewahrt die Zellen vor Selbstmord. Krankmachende Prion-Eiweiße dagegen sollen in den Nervenzellen die Produktion eines giftigen Moleküls stimulieren. Dieses unterbindet wichtige Überlebenssignale für die Zelle: Die Neuronen begehen Selbstmord. Welche von diesen Funktionen wirklich an der Zerstörung des Gehirns beteiligt sind und welche anderen Faktoren noch eine Rolle spielen, ist bis heute unklar.
Thomas Willke / Marcel Falk / Michael Wochner