Riffe im Meer sind ein Eldorado für Krebsmediziner. Hier leben viele Tiere, die an ihrem Lebensort festgewachsen sind und keinen Schutzpanzer haben – darunter Weichkorallen, Schwämme und Seescheiden. Um sich vor Fressfeinden zu schützen, aber auch, um nicht von ihren Nachbarn überwuchert zu werden, benutzen viele Riffbewohner Gifte. Antibiose nennen Biologen diese aggressive Form der Lebensgemeinschaft, im Gegensatz zur Symbiose, in der Organismen zum Vorteil aller Beteiligten zusammenleben. „ Antibiotika” heißen dementsprechend die chemischen Waffen der Riffbewohner: Substanzen, die andere Lebensformen am Wachsen hindern oder sie sogar töten.
Genau solche Chemikalien suchen Krebsforscher als Waffen gegen Tumorzellen. Einige Gifte aus dem Riff haben sich bereits in Tests bewährt. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung einer Substanz aus der Mittelmeer-Seescheide Ecteinascidia turbinata. Das in diesem Bereich führende Unternehmen, die spanische Firma PhamaMar, will sie unter dem Namen Yondelis auf den Markt bringen. Die klinischen Tests als Chemotherapeutikum gegen Weichteil-Sarkome sind erfolgreich abgeschlossen. Das Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde läuft noch. Klinisch getestet werden im Augenblick:
· Aplidin aus der Seescheide Aplidium albicans. Es treibt Krebszellen in den zellulären Selbstmord.
· Dolastatin aus der Hinterkiemerschnecke Dolabella auricularia. Es hemmt die Mitose, die Verteilung der Chromosomen bei der Zellteilung.
· Kahalalid, ein Zytostatikum aus der Schnecke Elysia rufescens. Praktisch: Die Schnecke produziert das Gift nicht selbst, sondern stiehlt es der Alge Bryopsis – und die können Biotechniker problemlos in Kultur züchten, um große Mengen des Wirkstoffs zu gewinnen.