Wissenschaftspublizistik kann sich lohnen: Über 500000 Dollar hat Steven Pinker als Honorar für sein neues Buch erhalten, das seinen früheren Bestseller “Der Sprachinstinkt” nicht nur im Umfang, sondern auch im Anspruch zu übertreffen verspricht. “Was der Geist ist, woher er stammt und wie er dafür sorgt, daß wir sehen, denken, fühlen, uns verständigen und höhere Bestimmungen wie Kunst, Religion und Philosophie verfolgen”, das alles will Pinker erklären. Die Kernthese des Professors am Massachusetts Institute of Technology: Unser Denken funktioniert wie eine aus Blöcken aufgebaute Informationsverarbeitungsmaschine, und es ist das Produkt natürlicher Selektion. Als einer der ersten Kognitionswissenschaftler hält Pinker den neuen Forschungszweig der evolutionären Psychologie als unerläßlich für ein Verständnis unseres Geistes.
Leider stehen Kognition und Evolution im Buch relativ unverbunden nebeneinander. Das Gehirn wird zudem nur kurz abgehandelt: Manche wichtigen Erkenntnisse diskutiert Pinker kaum – von der Physiologie der Emotionen über die Anatomie des Gedächtnisses bis hin zur zellulären Basis komplexer Wahrnehmungen. Doch ohne neurowissenschaftliches Fundament hängt sein kognitives Modell oft in der Luft der Abstraktion. Störend ist auch, daß Pinker gegnerische Positionen, etwa den Ansatz der neuronalen Netze, teilweise leichtfertig kritisiert. Andererseits verfällt er geradezu in pessimistische Bescheidenheit, wenn er über Bewußtsein, Moral und freien Willen schreibt. Er verklärt sie zu undurchschaubaren Mysterien, statt seinen Ansatz konsequent anzuwenden.
Trotz dieser Schwachpunkte: Wer Zeit und Interesse für eine lange – aber niemals langweilige – Lektüre hat, wird mit vielen überraschenden Einsichten und Hypothesen belohnt.
Steven Pinker WIEDASDENKEN IMKOPFENTSTEHT Kindler München 1998 768 S., DM 78,-
Rüdiger Vaas / Steven Pinker