PRof. LAUDIA SPIES ist Direktorin der Anästhesiologie und Operativen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Charité (Campus Virchow-Klinikum und Campus Charité Mitte) in Berlin. Zwischen 2001 und 2005 veröffentlichte sie 68 Artikel, die im Science Citation Index verzeichnet sind.
bild der wissenschaft: Welche Herausforderungen beschäftigen Sie gegenwärtig am meisten?
Spies: Das drängende Problem der operativen Intensivbehandlung ist, dass die Anwendung des evidenzbasierten Wissens trainiert werden muss. Im Fokus steht dabei: Wie vermeide ich durch das Einbeziehen aller verfügbaren Daten und medizinischen Kenntnisse, dass die Organfunktionen eines Patienten noch weiter eingeschränkt werden? Wichtig ist auch, sich über den Willen des Patienten ein hinreichendes Bild zu verschaffen, das es ermöglicht, in medizinischen Grenzsituationen ethisch verantwortlich zu handeln.
bdw: Welche Eingriffe werden heute vorgenommen, die vor 20 Jahren noch als unmöglich galten?
SPIES: Große operative Eingriffe sind heute selbst bei lebensgefährlich erkrankten und mehrfach geschädigten Patienten möglich. Das verdanken wir neuen Überwachungsmethoden, dem Einsatz neuer Narkosemittel und Antibiotika sowie intensivmedizinischen Strategien mit organersetzenden Verfahren. Hinzu kommt die stete Weiterentwicklung minimalinvasiver Operationstechniken – bis hin zur Chance, Operationen völlig zu vermeiden. Die Stoßwellentherapie von Nierensteinen ist dafür ein gutes Beispiel. Eingriffe, die früher mit schweren Blutungen und Komplikationen einhergingen, erfordern heute im Regelfall weder Blutkonserven noch eine intensivstationäre Behandlung. Allerdings gibt es keinen Eingriff ohne Risiko, sodass auch immer geklärt werden muss, welcher Behandlung der Patient wohl zustimmen würde und wo er persönlich eine Grenze für seine Behandlung ziehen würde.
bdw: Wie beurteilen Sie die Arbeitsbedingungen in Ihrem Bereich? Sind diese im Ausland besser?
SPIES: Von den Anästhesisten in Kliniken der Maximalversorgung wird in Deutschland eine hohe Einsatzbereitschaft bei höchster Qualität erwartet. Die breite und gut fundierte Ausbildung ist für viele ein Grund, ihre Fort- und Weiterbildung in Deutschland durchzuführen. Ausgebildete deutsche Anästhesisten sind international gefragt. Um gute Anästhesisten im Land zu halten, ist es deshalb dringend nötig, das Arbeitsumfeld attraktiv zu gestalten und auch die Bezahlung dem internationalen Standard anzupassen.