Eigentlich sind Biofilme nichts weiter als Ansammlungen von verschiedenen Pilzen, Bakterien und Einzellern, die sich mit Hilfe eines selbstgebildeten klebrigen Schleims auf Oberflächen festsetzen. In dem schleimigen Gerüst aus Polysacchariden und Proteinen verstecken sich die winzigen Organismen vor aggressiven Chemikalien, die ihnen den Garaus machen wollen – und vor den Blicken der meisten Wissenschaftler, die an den nur 5 bis 150 Mikrometer dicken Biofilmen bisher kaum Interesse zeigten. Doch das dürfte sich ändern: Biologen und Forscher anderer Disziplinen haben mittlerweile begriffen, daß sie von den unscheinbaren Pionieren eine Menge lernen können.
“Die Bildung von Biofilmen ist eine ökologische Strategie von Mikroorganismen, um in nährstoffarmen Regionen zu überleben”, beschreibt Hans-Curt Flemming vom Rheinisch-westfälischen Institut für Wasserchemie und Wassertechnologie der Universität Duisburg die aus biologischer Sicht so erfolgreichen Kolonien. Als Oase in einer Welt freischwebender Organismen bieten sie ihren Bewohnern viele Vorteile: Abfallprodukte der einen verwenden die anderen als Nährstoffe, Partner für eine erfolgreiche Paarung sind in unmittelbarer Nähe, und für viele ist der Film Unterschlupf in einer sonst lebensfeindlichen Umwelt.
Aus der Sicht von Technikern und Ingenieuren sind die Mikrokonsortien allerdings mehr Fluch als Segen:
Leitungssysteme lecken, weil Mikroorganismen die Korrosionsprozesse in den Rohren beschleunigen.
Bei Schiffen kann schon ein 100 Mikrometer dicker Belag am Rumpf die Geschwindigkeit bis zu 15 Prozent mindern.
In der Papierindustrie verstopfen zum Teil zentimeterdikke Biofilme Ventile und Filter. Teile der Schleimschichten und Stoffwechselprodukte verwandeln das Papier in Abfall.
Auch die Medizin hat mit dem Problem Biofilm zu kämpfen. Denn viele der mikrobiellen Gemeinschaften beherbergen Krankheitserreger, die von Zeit zu Zeit in die Umwelt gelangen. In den USA starben Ende 1993 hundert Asthmapatienten an einer mysteriösen Bakterieninfektion. Alle hatten das gleiche Asthmamittel inhaliert. Ursache für die plötzliche Infektion war ein Biofilm, der sich im Produktionsbehälter des Medikaments angelagert und die Krankheitskeime freigesetzt hatte.
Die Industrie sucht deshalb nach Möglichkeiten, der anhänglichen Mikroben-Ansammlungen Herr zu werden. Lange Zeit glaubte man, mit Bioziden gegen die Mikrogemeinschaften vorgehen zu können. Doch die gelartige Substanz, in die die Mikroben eingebettet sind, widersteht den meisten Desinfektionsmitteln. Nur wenige Substanzen vermögen die Kräfte zwischen den Molekülen des Schleims zu lockern, so daß die Organismen ihre Schutzhülle einbüßen. Und auch dann ist das Problem noch nicht gelöst: “Selbst wenn 99 Prozent aller Mikroben abgetötet werden, bietet das tote organische Material eine optimale Grundlage und Nährstoffversorgung für neue Biofilme”, sagt Flemming.
Wirksam, aber leider nicht immer realisierbar, ist eine andere Strategie, die bei Wärmetauschern angewendet wird. Dort werden Biofilme mit ihren eigenen Waffen geschlagen: Mikroorganismen filtern Nährstoffe aus dem Wasser, noch bevor es in den Austauscher gelangt. Sind keine Nährstoffe mehr vorhanden, kann sich auch kein Belag bilden, und die Apparatur bleibt frei von Mikroben.
Doch Biofilme haben noch andere gute Seiten. In der Natur sorgen sie zum Beispiel für die Selbstreinigung von Gewässern. Weil in einem Biofilm viele verschiedene Mikroorganismen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften vereint sind, können auch schwer abbaubare Substanzen zersetzt werden.
Ein Beispiel sind moderne Kläranlagen. Sie sind zwar teuer, beanspruchen aber nur wenig Platz und machen lange Abwasserleitungen überflüssig. Sie lassen sich sogar im Keller unterbringen – wie in der Stadt Monaco, wo die Abwässer eines Hochhauses in einem Bioklärwerk gereinigt werden.
Julia Thiele