Wir begeben uns heute ins Allerkleinste, das es gibt, in die Nanowelt, ins Reich der Atome”, eröffnete Moderator Ranga Yogeshwar das Wissenschaft live am 31. Januar im Deutschen Museum Bonn. „Wie klein ist das eigentlich, ein Nanometer?” fragte er den Experten im Museum. „Ein Milliardstel eines Millimeters. Das ist so winzig, daß man es sich nur durch ein Modell klarmachen kann”, erläuterte Prof. Wolfgang M. Heckl vom Institut für Kristallographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „ Vergrößern wir ein Nanometer auf die Dicke eines Fußballs, dann würde im gleichen Maßstab ein Meter so groß sein wie die Strecke von der Erde bis zum Mond. Man hat es bis vor kurzem für unmöglich gehalten, Atome jemals sehen zu können, da sie viel kleiner sind als alles, womit man sie sehen könnte, also etwa Lichtwellen. Doch dann kamen Gerd Binnig, Heinrich Rohrer und Christoph Gerber und bauten 1982 das Rastertunnelmikroskop. Mit diesem Gerät kann man eine Oberfläche so fein abtasten und ein Bild von ihr zeichnen, daß man die einzelnen Atome als kleine, regelmäßig angeordnete Hügel sieht. Das hat die Forschung einen Riesenschritt vorwärtsgebracht.” „Nicht nur die Forschung”, ergänzte Prof. Josef Nassauer, Geschäftsführer der Firma Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg. „Das Interesse der Wirtschaft an der Nanotechnologie war geweckt. Man kann das Kleinste nun nicht nur sehen, sondern auch damit arbeiten.” Das war für Yogeshwar das Stichwort, um per Videoleitung ins Institut für Kristallographie nach München zu schalten. Hier betonte Direktor Prof. Heinz Schulz die Bedeutung seines Instituts: „In der Menschheitsgeschichte haben die jeweils herrschenden Technologien und das hauptsächlich verwendete Material ihren Zeiten den Namen gegeben, zum Beispiel Steinzeit, Eisenzeit oder Bronzezeit. Heute leben wir in der Kristallzeit. Kristalle dominieren die moderne Technologie. In Ihrer Armbanduhr regelt ein Quarzkristall die genaue Zeit, sogar das Glas vorn ist meist ein Kristall. Wir unterschätzen oft die Bedeutung von Oberflächen. Sehr viel von dem, was in unserer Welt geschieht, sind Reaktionen an Oberflächen. Mit Hilfe des Rastertunnelmikroskops können wir die Oberflächen im Detail anschauen und verstehen, was hier passiert.” Heckl hielt einen Eierkarton hoch: „So kann man sich eine kristalline Oberfläche vorstellen. Alle Buckel sind Atome oder Moleküle. Und so sehen auch die Bilder aus, die ein Rastertunnelmikroskop von Oberflächen zeichnet.” Er erklärte das Prinzip dieses Wundergerätes: Eine feine Nadelspitze – so fein, daß das letzte Ende ein einzelnes Atom ist – fährt über die Oberfläche, nur wenige Atomdurchmesser von ihr entfernt. Durch das „Nichts” dazwischen fließt ein Strom, der physikalisch eigentlich gar nicht fließen dürfte, ein „Tunnelstrom”. Er hängt stark vom Abstand ab, ist über einem atomaren Buckel stärker als über einem zwischenatomaren Tal. Diese Stromänderungen werden zur Bilderzeugung genutzt. Eine besondere Schwierigkeit bei der Entwicklung des Mikroskops waren die atomgenau feinen Steuerungen der Nadelspitze. Hier half der piezo-elektrische Effekt, der beschreibt, wie sich bestimmte Materialien unter elektrischer Spannung leicht verformen. So konnten Binnig und Rohrer ihre „ Laus” bauen, einen kleinen, dreieckigen Nadel-Träger, der sich piezo-elektrisch angetrieben ähnlich bewegt wie ein Regenwurm: Ein Teil haftet auf dem Untergrund, während der andere sich streckt und vorwärtsschiebt. Im abwechselnden Haften und Rutschen bewegt sich die Laus vorwärts und schiebt die abtastende Nadelspitze über die Oberfläche. Die Münchner Nanoforscher nahmen den Vergleich mit dem Regenwurm wörtlich und inszenierten ein Wettrennen Laus gegen Regenwurm. Am Bildschirm konnten die Besucher im Museum verfolgen, wie der Regenwurm in diesem ungleichen Kampf haushoch gewann. Das Rastertunnelmikroskop kann aber nicht nur sehen, es dient auch als Werkzeug: Kommt die Spitze einem Atom oder Molekül zu nahe, bleibt es an der Spitze hängen und kann weggetragen werden. Mit dieser Methode können die Wissenschaftler atomare Strukturen im Detail manipulieren. Das demonstrierten die Forscher in München, indem sie aus einer Oberfläche reihenweise einzelne Moleküle so herausboxten, daß die Lücken den Schriftzug DMB zeigten, Deutsches Museum Bonn. Es waren Schüler nicht nur aus einer, sondern aus zwei Schulen im Museum. Die Schüler vom Bischöflichen-Cusanus-Gymnasium in Koblenz hatten sich auf biologische Fragen vorbereitet, zum Beispiel den Theorien zur Entstehung des Lebens und den Vorgängen an Oberflächen bei lebenden Systemen, während die Schüler des Physik-Leistungskurses vom Max-Planck-Gymnasium München sich mit dem Auflösungsvermögen verschiedener Mikroskope und der Arbeitsweise des Rastertunnelmikroskops befaßt hatten. Einer dieser Jungforscher zeigte an einem selbstgebastelten Apparat, wie man mit einer Spitze aus einer Lage von Tischtennisbällen einzelne herausheben kann – ein etwa millionenfach vergrößertes Modell des Rastertunnelmikroskops. Eine Schülerin aus Koblenz erklärte mit einem Poster, wie sich Seifenblasen durch eine bestimmte Orientierung der bipolaren Moleküle bilden und dadurch ihre Stabilität erhalten. Eine andere erläuterte an einem Schaubild, welche Möglichkeiten der Lebensentstehung es auf der Erde gab, wobei der Kern der Sache jeweils das Zusammenlagern von Molekülen war. So konnten aus einfachen anorganischen Molekülen kompliziertere entstehen, schließlich die komplexen Bausteine des Lebens. „So ist die Nanotechnologie”, sagte Yogeshwar nachdenk- lich, „der Schlüssel, um das Leben zu verstehen.” „Mehr noch”, ergänzte Heckl, „sie hat das Leben erst möglich gemacht.”
Wolfram Knapp