Bereits im Herbst 2012 erregten Ferric Fang von der University of Washington in Seattle und Arturo Casadevall vom Albert Einstein College of Medicine in New York mit einer Studie zum Thema Betrug in der Wissenschaft Aufsehen: Sie hatten analysiert, warum Forscher Artikel in Fachzeitschriften zurückziehen – in der Annahme, der Mehrheit der Fälle lägen Fehler oder Irrtümer zugrunde. Tatsächlich aber waren zwei Drittel der erfassten Rücknahmen auf Betrug oder absichtlich falsch dargestellte Daten zurückzuführen. Die Häufigkeit solcher Widerrufe wegen wissenschaftlichem Fehlverhalten nimmt zudem zu, wie die Wissenschaftler feststellten.
Es müssen also dringend effektive Strategien gegen Betrug her, um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu erhalten, leiteten die beiden daraus ab. Um jedoch solche Strategien entwickeln zu können, müsse man erst einmal die Gründe für dieses kriminelle Verhalten kennen. Diese zu identifizieren, sei jedoch schwierig, da die meisten Fachjournale eine Rücknahme nur sehr kurz und mit sehr allgemeinen Beschreibungen kommentierten. Daher entschieden die Forscher sich, zunächst einmal mehr Daten über die Urheber solcher Betrugsfälle zu sammeln, um dann möglicherweise auch mehr über die Gründe und Antriebe ableiten zu können.
Herr Professor neigt zum Betrug
Zwischen 1994 und 2012 gab es 228 individuelle Verdachtsfälle, zeigten die Daten des Büros für Forschungsintegrität. 215 davon wurden später als Betrug eingestuft. Sie hätten eigentlich erwartet, dass es vor allem Doktoranden und Studenten seien, die Daten schönen oder fälschen, berichten die Wissenschaftler. Schließlich stünden diese unter enormem Erfolgsdruck und seien auf gute Ergebnisse angewiesen, um in der Hierarchie aufsteigen zu können. In der Realität verteilten sich die Fälle jedoch auf alle Hierarchiestufen: Nur 16 Prozent entfielen auf die Doktoranden, 25 Prozent auf Postdocs, 28 Prozent auf anderes Forschungspersonal wie Techniker und Gastdozenten und sogar 32 Prozent auf vollwertige Fakultätsangehörige.
Für die Wissenschaftler überraschend war auch die Geschlechterverteilung: In allen Stufen waren Männer häufiger beteiligt, als sie es nach der allgemeinen Statistik eigentlich hätten sein dürfen, berichtet das Team. So sind rund 45 Prozent der Doktoranden in den Biowissenschaften männlich, unter den Betrügern waren jedoch 58 Prozent Männer. Bei den Postdocs beträgt die allgemeine Männerquote etwa 60 Prozent, während sie bei den Betrugsfällen bei 69 Prozent lag. Und bei den Dozenten und Professoren, von denen insgesamt 70 Prozent Männer sind, lag sie sogar bei 88 Prozent. Konkret heißt das: Von den 72 Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens bei den Fakultätsangehörigen waren nur neun auf Frauen zurückzuführen – das ist nicht einmal ein Drittel der Zahl, die nach der Statistik zu erwarten gewesen wäre.
Biologie gegen Gesellschaft
Doch wie kommt dieser Überschuss an Männern zustande? Ist es einfach die allgemein höhere Risikobereitschaft? Das stärker ausgeprägte Konkurrenzdenken? Oder werden Frauen einfach weniger häufig erwischt? Man könne sicher diskutieren, ob es sich hier um eine Auswirkung der biologischen Unterschiede zwischen Geschlechtern handele – schließlich seien Männer in praktisch allen Kulturen tatsächlich risikobereiter und auch die Kriminalitätsrate sei meist deutlich höher, kommentieren die Forscher.
Sie halten es aber für wahrscheinlicher, dass es vor allem kulturelle und soziale Faktoren sind, die ein solches Verhalten fördern. Zudem sollte man nicht vergessen, dass die Grundstruktur der akademischen Einrichtungen solche Betrügereien geradezu herausfordere, betonen sie: Um zu Ansehen zu kommen oder, wichtiger noch, viele Drittmittel einzuwerben, sei es unbedingt erforderlich, möglichst viele möglichst gute Daten zu produzieren und sie in guten Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Das belebe zwar den Wettkampf und damit mutmaßlich auch die Qualität der Forschung, habe aber eben auch dunkle Seiten – wie die zunehmende Neigung, zu betrügen. Es sei nun wichtig, größere Datenbanken einzurichten und auszuwerten, um zu prüfen, ob die in der jetzt untersuchten kleinen, spezialisierten Gruppe gefundenen Tendenzen allgemein für die Wissenschaft gelten, sagt das Team.