Sie sind so klein, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann. Dennoch sind Viren und Bakterien in der Lage, den Körper gehörig durcheinander zu bringen. Im schlimmsten Fall können sie einen Menschen sogar töten. Doch die Mikroben haben auch ihre guten Seiten. Gerade bei einem der zurzeit brisantesten Themen, der Energieversorgung der Zukunft, könnten sie eine zentrale Rolle spielen. So entwickelte Angela Belcher, Professorin für Materialwissenschaften, Ingenieur- und Bioingenieurwesen am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) 2006 mit ihrem Team eine Batterie, deren Anode – die positiv geladene Elektrode – von Viren gebildet wird. Die Elektroden in der Viren-Batterie bestehen aus Partikeln, die nur einige Nanometer groß sind. Doch im Gegensatz zu anderen „Nano-Batterien” können sie nicht nur bei extremer Kälte bestehen, sondern lassen sich auch bei normaler Raumtemperatur herstellen und betreiben. Außerdem ist die Herstellung billig – und die Energiespender sind trotz ihrer winzigen Dimensionen sehr leistungsfähig: Sie bringen das Zwei- bis Dreifache herkömmlicher Lithium-Ionen-Batterien. Damit bietet die Viren-Batterie die Chance, ein großes Problem in der Nanotechnologie zu lösen. Eines deren Ziele ist es, durch extreme Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen, etwa der Transistoren in einem Computerchip, die Leistung von Rechenmaschinen um ein Vielfaches zu steigern. Doch während die elektronischen Komponenten seit Jahrzehnten immer kleiner werden, hat sich an der Größe der Stromquellen für ihre Energieversorgung kaum etwas geändert. „Damit eine Batterie die nötige Energiemenge liefern kann, ist eine bestimmte Masse und ein Mindestvolumen der Elektroden erforderlich”, sagt Jens Tübke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe. „Daher lassen sich konventionelle Batterien kaum verkleinern.” Dagegen setzen die US-Forscher von vornherein auf winzig kleine Bausteine für ihre neuartigen Batterien. Sie verwenden dazu M13-Viren, sogenannte Bakteriophagen. M13 ist ein Virus, das nicht Menschen, sondern Bakterien befällt. Sein nur etwa 880 Nanometer langer Körper setzt sich aus Eiweißen zusammen, deren Bauplan im Körperinneren des Virus abgelegt ist. Um den Mikroorganismus zum Aufbau von Elektroden zu bringen, schreiben die Forscher seinen inneren Bauplan, die Erbsubstanz DNA, einfach um.
Viren im Metallmantel
M13 wurde gentechnisch so modifiziert, dass die Hüllproteine, die das Virus umgeben, Andockstellen für Kobaltoxid und Gold besitzen. Bringt man die Viren anschließend mit diesen Stoffen in Kontakt, binden die Hüllproteine die leitfähige Substanz chemisch an sich. Kobaltoxid eignet sich aufgrund seiner exzellenten elektrochemischen Zykluseigenschaften gut als Elektrodenmaterial, betont Belcher. Es umschließt den Phagen wie ein Mantel, wobei das Kobaltoxid in regelmäßigen Abständen mit Goldpartikeln gespickt ist. Das Edelmetall erhöht die Leitfähigkeit der späteren Elektrode. Auf einem Polymer und bei Raumtemperatur fügen sich die Viren im Metallmantel von selbst zu einer dünnen Schicht zusammen, die als positive Elektrode der Batterie dient. „ Die negative Elektrode besteht derzeit aus einer Lithium-Folie – doch künftig wollen wir auch die Kathode aus Viren herstellen”, kündigt Ki Tae Nam an, ein Mitarbeiter von Angela Belcher.
Durch eine flüssige Elektrolytschicht zwischen den Elektroden wandern Lithium-Ionen von der einen Elektrode zur anderen und sorgen so für einen elektrischen Stromfluss in der Batterie. Der Strom kann in beide Richtungen fließen – die Viren-Batterie lässt sich daher auch als aufladbarer Akku nutzen. Fernziel der Forscher ist eine Batterie, die sich ganz von selbst zusammenbaut. Man könnte sie beispielsweise zur Stromversorgung von Hörgeräten, Bildschirmen und Solar-Paneelen nutzen. Auf die Mithilfe von Mikroorganismen bei der Stromerzeugung setzen auch Wissenschaftler an anderen Forschungseinrichtungen, etwa am Institut für Getreideverarbeitung in Nuthetal bei Potsdam und an der Universität Bielefeld. Allerdings experimentieren sie nicht mit Viren, sondern mit der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Die Bielefelder Wissenschaftler um Olaf Kruse von der AG Algenbiotechnologie und ihre Forscherkollegen von der australischen University of Queensland in Brisbane und der Technischen Universität Karlsruhe wollen den rund 20 Mikrometer kleinen Einzeller dazu bringen, Energie in großen Mengen zu liefern – etwa für Autos oder den Haushalt. Grünalgen können wie alle Pflanzen unter dem Einfluss von Sonnenlicht Zucker herstellen, der sehr viel Energie in sich birgt. Mangelt es aber an Sauerstoff, produzieren sie stattdessen Wasserstoff. Der ist für die Grünalgen nur ein Abfallprodukt, doch die Forscher nutzen ihn als Energieträger. „Der Vorteil von Wasserstoff ist, dass bei seiner Nutzung kein klimaschädliches Kohlendioxid entsteht”, betont Olaf Kruse. Seine Vision: Das Gas soll in Bioreaktoren von großen Grünalgen-Kolonien hergestellt und dann zur Energieversorgung eingesetzt werden, etwa als Brenngas für Brennstoffzellen.
Allerdings produzieren die Mikroorganismen nur sehr geringe Mengen des Wasserstoff-Gases. „In der Natur liegt die Ausbeute bei 0,1 Prozent. Das entspricht etwa 100 Milliliter Wasserstoff pro Liter Zellkultur”, sagt Kruse. Um diese Ausbeute zu verstärken, haben die Bielefelder Forscher die Prozesse mit gentechnischen Mitteln effizienter gemacht und inzwischen 2 bis 2,5 Prozent Erlös an Wasserstoff erreicht. Doch Kruse ist noch nicht zufrieden. Erst wenn mindestens 10 Prozent der aus dem Sonnenlicht geschöpften Energie von den Einzellern in elektrische Energie umgewandelt werden, sind die Algen als Stromlieferanten ökonomisch rentabel. Ähnlich groß ist die Energieausbeute bei der Photovoltaik.
Rascher Algentod
Daher suchen die Forscher nach biochemischen Rädchen, an denen man drehen kann, um die Wasserstoff-Produktion der Mikroalgen weiter anzukurbeln. „Man kann entweder artfremde Gene zuführen, um die Effizienz der Umwandlung zu verbessern”, erklärt Kruse, „ oder man verändert die Gene der Grünalgen.” So könnte man in der Zelle Eiweiße vermehren, die die Wasserstoff-Produktion erhöhen. Die Lebensdauer der Mikroben ist jedoch sehr begrenzt: Nach zwei Wochen sterben die Algen ab. Doch die Forscher sehen darin kein Problem. „Die beim Absterben der Grünalgen anfallende Biomasse ist immer noch sehr energiereich”, betont Florian Lehr, Projektleiter der Bioreaktorentwicklung an der Universität Karlsruhe. Man kann aus ihr Biogas gewinnen oder weiteren Wasserstoff. Bald wollen die Karlsruher Forscher den ersten Prototyp eines Reaktors in Betrieb nehmen, der dazu in der Lage ist. ■
Julja Koch