„Vor vierzig Jahren / Da gab es doch ein Sehnen … Als man dem ‚milden Sterne‘ / Gesellte was da lieb”, dichtete einst Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848). Fast zur gleichen Zeit beschrieb Edgar Allan Poe (1809–1849) den Kosmos prosaischer: „ …das wahrnehmbare All bildet einen ungeordneten Sternhaufen aus Sternhaufen”.
Zwischen diesen beiden Zitaten steht die gesamte Diskrepanz im himmlischen Zugang: von der emotionalen Bindung zum Gewirr, das es zu durchdringen gilt. Wie unromantisch die Gestirne inzwischen betrachtet werden, zeigt sich bereits in den Namen der himmlischen Objekte. Und da der Astronomie-Redaktion von bild der wissenschaft immer wieder Fragen dazu gestellt werden, soll das 40-jährige bdw-Jubiläum ein Anlass sein, um zu beleuchten, was sich hinter Bezeichnungen wie M 40, NGC 40 und IC 40 verbirgt.
Schon in der Antike hatten Menschen versucht, Ordnung in den „ ungeordneten Sternhaufen” zu bringen. Sie gruppierten die Sterne willkürlich zu Sternbildern und assoziierten damit Götter- und Heldensagen. Viele der griechisch-römischen Namen – von Andromeda bis Zwillinge (Gemini) – zeugen noch heute davon. Mit der Verwissenschaftlichung der Welt und der Eröffnung neuer Horizonte gerieten unter die 88 offiziellen Sternbilder der Internationalen Astronomischen Union (seit 1933) – insbesondere am Südhimmel – später freilich auch technisch-wissenschaftliche Namen, etwa Pendeluhr (Horologium), Mikroskop (Microscopium) und Kompass (Pyxis), sogar Luftpumpe (Antlia) und Grabstichel (Caelum).
Schon im „Almagest” – der arabischen Übersetzung (827 n.Chr.) vom astronomischen Hauptwerk des griechischen Astronomen und Mathematikers Ptolemäus aus dem 2. Jahrhundert n.Chr. – waren 48 Sternbilder verzeichnet. Die hellsten Sterne haben Einzelnamen, die überwiegend aus dem Arabischen und Griechischen stammen. Nach einem Vorschlag des deutschen Astronomen Johann Bayer (1572–1625) in seinem Sternatlas „Uranometria” von 1603 wurden lichtschwächere Sterne schließlich mit Hilfe der griechischen Buchstaben und der lateinischen Sternbildnamen bezeichnet (Beispiel: Alpha Centauri für den hellsten Stern im Kentaur). Aber auch dies reicht für die Myriaden von Sternen, die schon in kleinen Teleskopen sichtbar sind, bei weitem nicht aus. Und so versuchten Astronomen seit dem 18. Jahrhundert, mit exakten Positionsvermessungen und Sternkatalogen den „ungeordneten Sternhaufen” systematischer zu ordnen. Was einst Götter waren oder für Götter stand, erhielt nüchterne Namen und Verwaltungskarteien. So verzeichnet der SAO-Katalog des Smithsonian Astrophysical Observatory 258997 Sterne und der Hubble Space Telescope Guide Star Catalogue sogar über 19 Millionen.
Doch nicht alle Gestirne sind Sterne. Auch das forderte den menschlichen Ordnungssinn heraus. Dabei ging es anfangs weniger um die Erkenntnis der Natur dieser Himmelsobjekte, sondern vielmehr um eine pragmatische Elimination von Störquellen.
Das zumindest war die Intention des französischen Astronomen Charles Messier (1730–1871), der zunächst als Observator in Paris und später als Marineastronom arbeitete. Der Kometenjäger – 44 dieser Schweifsterne hat er im Verlauf seines Lebens beobachtet, von denen er 13 entdeckte – hatte kein systematisches Interesse, sondern ihn störten einfach die nebelartigen Objekte, die beim Stand der damaligen Teleskoptechnik leicht mit Kometen zu verwechseln waren. (Das beste von Messiers Instrumenten entsprach in seiner Lichtstärke und Auflösung etwa einem moder- nen 10-Zentimeter-Linsenfernrohr.) Ab 1759 stellte er eine Liste solcher Störenfriede zusammen, um sich besser der Kometenjagd widmen zu können. Daraus entstand der Messier-Katalog mit den bis heute gebräuchlichen Nummern, denen ein M (für Messier) vorangestellt ist.
Übrigens: Messier hat nicht alle M-Objekte entdeckt, und manche wie die Plejaden (M 45) oder der Andromeda-Nebel (M 31) sind schon mit bloßem Auge sichtbar.
Die erste Auflage seines Katalogs von 1771 enthielt 45 Objekte, die zweite von 1780 weitere 23. Die endgültige Ausgabe, 1781 abgeschlossen und in „Connaissance des Temps 1784″ veröffentlicht, verzeichnete 103. Andere Astronomen haben den Katalog später noch um einige Objekte ergänzt, so dass die höchste Nummer M 110 ist (für eine kleine Begleitgalaxie des Andromeda-Nebels).
Der Messier-Katalog verzeichnet sehr unterschiedliche Objekte:
• Emissionsnebel, zum Beispiel den Orion-Nebel (M 42).
• Dunkelwolken: die Brutstätten neuer Sterne, etwa im Adler- Nebel (M 16).
• Offene Sternhaufen wie die Plejaden (M 45) im Stier.
• Kugelsternhaufen wie M 13 im Herkules.
• Planetarische Nebel: die abgesprengten Atmosphären alternder Sterne, etwa den Ring-Nebel (M 57) im Sternbild Leier.
• Supernova-Überreste: die Gasfetzen der Explosion eines massereichen Sterns, beispielsweise den berühmten Krabben-Nebel im Stier, der mit der Nummer M 1 am Anfang des Messier-Katalogs steht.
• Galaxien wie den Andromeda-Nebel (M31).
Alle Messier-Objekte sind von der Nordhalbkugel aus mit einem nicht zu schwachen Amateurteleskop zu sehen. Mitunter machen sich Amateurastronomen den Spaß, möglichst viele Objekte in einer einzigen Nacht ins Visier zu nehmen. Um beschauliches Sterngucken und Himmelsgenuss geht es dabei freilich nicht.
Doch Vorsicht: Der Messier-Katalog enthält einige Fehler aufgrund von irrtümlich doppelt verzeichneten Objekten und bloß nah beieinander stehenden Sternen. Deshalb gibt es nur 105 „echte” Messier-Objekte, von denen sich 34 außerhalb der Milchstraße befinden. Neben M 47, M 48, M 91 und M 102 gehört auch M 40 zu den „falschen” M-Objekten: Es ist in Wirklichkeit ein Doppelstern (auch WNC 4 genannt) im Großen Wagen. Die beiden Sterne gehören nicht zusammen, sondern stehen nur zufällig aus unserer Perspektive nahe beieinander. Der hellere ist 500 Lichtjahre entfernt.
Weit umfangreicher als Messiers Pionier-Liste ist der „New General Catalogue of Nebulae and Clusters of Stars”, abgekürzt NGC. Ihn hat der dänische Astronom John Ludwig Emil Dreyer (1852–1 926) als Fortsetzung von John Herrschels „General Catalogue” (1863) erstellt und 1888 in London veröffentlicht. Der NGC enthält 7840 nebelartige Objekte. 1895 und 1908 fügte Dreyer noch zwei „Index-Kataloge” (IC) hinzu, in denen zusammen 5386 Objekte erfasst sind. Manche der Einträge beziehen sich auf dieselben Objekte wie im Messier-Katalog. Daher hat beispielsweise der Andromeda-Nebel zwei Bezeichnungen: M 31 und NGC 224.
Auch zu Dreyers Zeiten war die wahre Natur und Entfernung der „ nebulösen” Himmelsobjekte weitgehend unklar. Erst in den 1920er Jahren gelang der Nachweis, dass es zahlreiche andere Galaxien wie die Milchstraße gibt, die eigene Sternsysteme darstellen. Daher enthalten auch die NGC- und IC-Werke noch viele galaktische Objekte, obwohl die Mehrzahl der Nebel tatsächlich ferne Galaxien sind. Zu den NGC-Objekten in der Milchstraße gehören etwa:
• Staubwolken wie der Kegel- Nebel (NGC 2264) im Sternbild Einhorn, in dem sich junge Protosterne gebildet haben.
• Sternhaufen wie NGC 6611 ( M 16) im Sternbild Kopf der Schlange.
• Planetarische Nebel wie der Eskimo-Nebel (NGC 2392) im Sternbild Zwillinge. Der relativ unscheinbare, 0,6 Lichtjahre große NGC 40 im Kepheus mit seiner Distanz von 3500 Lichtjahren gehört ebenfalls in diese Klasse.
• Supernova-Überreste wie der auch als M 1 bekannte Krabben-Nebel (NGC 1942) im Stier.
Im Index Catalogue sind die meisten Objekte Galaxien – so auch IC 40, eine Galaxie im Sternbild Walfisch.
NGC und IC waren keineswegs vollständig: 1977 publizierten Jack Sulentic and William Tifft den „Revised New General Catalogue” (RNGC) mit 7840 Einträgen, 1980 Roger Sinnott den „NGC 2000.0″ mit 13226 Objekten und 2001 Wolfgang Steinicke den „ Revised New General and Index Catalogue” mit 13993 Eintragungen.
Diese Ziffern, Buchstaben und Namen sind keineswegs Schall und Rauch: Hinter ihnen verbirgt sich die Geschichte der Astronomie und eine Inventur des Universums ringsum. In den nüchternen Bezeichnungen spiegelt sich die wachsende Unübersichtlichkeit genauso wie der rasante Erkenntniszuwachs in der modernen Wissenschaft. Doch bei Astronomen haben die M-, NGC- und IC-Nummern heute schon wieder einen romantischen Flair: Denn mit der Spezialisierung der einzelnen Fachrichtungen kamen immer neue Kataloge für spezifische Objektklassen. Damit einher gehen bloße Himmelskoordinaten-Nummern in automatisierten Datenverarbeitungsprozeduren, für deren Algorithmen die Sehnsucht nach dem Glanz der milden Sterne schlicht nicht vorgesehen ist.
Nebenbei bemerkt: Es existieren auch NGC 4040 (eine Galaxie im Sternbild Haar der Berenike) und IC 4040 (eine Infrarot-Spiralgalaxie und Mitglied des Coma-Galaxienhaufens) – doch beim 4040-jährigen bdw-Jubiläum wird der gegenwärtige Astronomie-Redakteur vermutlich nicht mehr zu den Sternen blicken…
Rüdiger Vaas