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Klinische Forschung unerwünscht

Allgemein

Klinische Forschung unerwünscht
Mediziner und Pharmaindustrie sind sich einig wie selten: Die klinische Arzneimittelforschung in Deutschland steckt in einer Krise.

Bevor ein Medikament in die Apotheken kommt, muß es in jahrelangen klinischen Tests seine Unbedenklichkeit und seine therapeutische Wirksamkeit beweisen. Medizinische Forschung mit Menschen – das weckt Assoziationen an streng abgeschirmte Patienten oder mutige Selbstversuche mit ungewissem Ausgang.

Doch beides hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. In der Realität kämpfen Ärzte in der klinischen Arzneimittelforschung mit weit banaleren Dingen – zum Beispiel mit Verwaltungsaufgaben. Die Boston Consulting Group ermittelte, daß deutsche Medizin-Professoren dreiviertel ihrer Zeit mit der Leitung des Klinikbetriebs verbringen. Kein Wunder, daß Mediziner wenig von der “Hobby-Forschung” halten. Das zeigt sich auch im internationalen Vergleich: Deutschland liegt mit 208 Arzneimittelstudien weit abgeschlagen hinter den USA mit 1028, Japan mit 435 und England mit 376 Studien.

Ein Grund für die Misere: Geldnot. Besserung erhoffen sich die Kritiker von dem Förderschwerpunkt “Klinische Forschung”. Mit der Finanzspritze von 60 Millionen Mark aus dem Bonner Forschungsministerium sollen zehn Kompetenzzentren eingerichtet werden. Außerdem will man Kliniken motivieren, mehr Stellen für Studien bereitzustellen.

Den Ärzten, die sich in der klinischen Forschung engagieren, macht neben den strukturellen Problemen ihr schlechtes Image zu schaffen. Der Generalsekretär der Deutschen Krebs-gesellschaft, Prof. Peter Drings, ärgert sich vor allem über die künstlich aufgebauten Fronten zwischen der “wertvollen” experimentellen Forschung und der weniger angesehenen angewandten klinischen Forschung: “In Deutschland findet man kaum Mediziner, die mit einem Thema aus der klinischen Forschung habilitieren.” Habilitieren kann sowieso nur, wer über eine angemessene Zahl an Publikationen verfügt. Und hier schneiden klinische Forscher in der Regel ungünstiger ab als ihre experimentellen Kollegen.

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Eine Folge dieses Imageproblems ist der ständige Kampf um Ärzte, Krankenhäuser und Probanden, die sich an klinischen Studien beteiligen. “Dabei wird kaum eine Patientengruppe so sorgfältig betreut wie Teilnehmer an klinischen Studien”, sagt Drings.

Zudem kommen Studienteilnehmer in den Genuß neuer Therapieformen und Behandlungsmethoden, die ihnen sonst verschlossen blieben. Aids-Patienten haben das längst erkannt: Von ihnen befindet sich jeder zweite in einer Therapieoptimierungsstudie.

Bei diesem Verteilungskampf bleiben vor allem kleinere Kliniken auf der Strecke, denen oft die personelle und räumliche Ausstattung fehlt. “Man kann den Teilnehmern nicht zumuten, stundenlang im Nachthemd in zugigen Fluren auf ihre Blutentnahme zu warten”, beschreibt Dr. Petra Thürmann, Direktorin des Instituts für klinische Pharmakologie am Klinikum Wuppertal, das Problem.

Auch der Verwaltungsaufwand ist für kleine Kliniken zu hoch. Die Prüfpläne müssen peinlich genau befolgt und Untersuchungsergebnisse protokolliert werden. Gerade hieran hapert es in Deutschland, denn Fachpersonal fehlt. “Wir brauchen ausgebildete Krankenschwestern wie in den USA, study nurses, die Prüfärzte unterstützen und mit der Dokumentation der Ergebnisse vertraut sind”, fordert Thürmann.

Eine Untersuchung der amerikanischen Genehmigungsbehörde FDA monierte bei 74 klinischen Arzneimittelstudien außerhalb der USA in rund 80 Prozent der Fälle die lückenhafte Dokumentation und fehlende Patientendaten. Die Untersuchung erfaßt allerdings nur zwei deutsche Studien, so daß von einer repräsentativen Analyse kaum die Rede sein kann.

Ein weiteres Hindernis ist hierzulande das umständliche Genehmigungsprozedere. Über 50 Ethik-Kommissionen begutachten, ob eine Studie notwendig und moralisch vertretbar ist. Für Drings ein klarer Fall von Überregulierung: “Wenn wir in zehn Kliniken Studien betreiben wollen, müssen zehn Ethik-Kommissionen befragt werden.” Ärgerlich ist dabei vor allem, daß die Gremien immer wieder zu unterschiedlichen Bewertungen kommen.

Zur Zeit findet klinische Forschung hauptsächlich in den großen Universitätskliniken statt. Sie verfügen über Spezialisten mit dem notwendigen Fachwissen und ausreichend Patienten. Aber auch hier gibt es Stolpersteine: Studien zur Verbesserung der Behandlung von Tumorpatienten, wie sie die deutsche Krebsgesellschaft und auch die Krebshilfe unternehmen, stoßen bei Klinikverwaltungen auf Widerstände. Sie haben Angst vor dem Griff in die Portemonnaies der Krankenkassen, weil sie nicht den Eindruck erwecken wollen, hier würde mit Kassenbeiträgen Forschung betrieben. Eine unbegründete Befürchtung, denn es wird detailliert festgehalten, was zur Grundtherapie gehört und was zur Studie.

Petra Thürmann sieht noch ein anderes Problem in der Konzentration der Forschung auf die Hochschulkrankenhäuser. Die meisten klinischen Studien seien zur Therapie von Herz- und Kreislauferkrankungen geplant, und diese Volkskrankheiten behandele man vor allem in städtischen oder Kreiskrankenhäusern. Thürmann: “Das Patientenaufkommen der UniKliniken ist nicht repräsentativ für die Krankheitsbilder.”

Anke Geipel-Kern

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