Für das Hummelmännchen auf Brautschau ist sie die absolute Traumfrau. Ihre Körperformen haben perfekte Maße. Und dann erst die Haare, die Farbe und der Duft. Alles ist vollkommen. Das Männchen nähert sich der Verehrten und lässt sich nach Insektenart auf ihrem Rücken nieder. Doch alles, was es vorfindet, ist eine Mogelpackung – das Blendwerk einer Orchidee. Die Pflanze nutzt den Sexhunger der Hummel, um selbst Sex zu betreiben. Während nämlich das Männchen seine vermeintliche Herzensdame inspiziert, klebt ihm die Blüte ein Paket Pollen in den Nacken. Diese „Pflanzenspermien” wird es bald zu einer anderen Orchideenblüte transportieren und die Pflanze damit befruchten. Auch sie wird dem Hummelmann vorgaukeln, die tollste Frau der Welt zu sein. Und er wird wieder darauf hereinfallen.
„Das ist nur ein Trick von vielen”, sagt Dr. Martin Nickol, Kustos am Botanischen Garten der Universität Kiel. „Orchideen haben eine schier unerschöpfliche Zahl an Tricks entwickelt, um die Blütenbestäubung sicherzustellen.” Nicht zuletzt deswegen waren die Pflanzen für Charles Darwin auf seiner Reise mit der „ Beagle” eine entscheidende Inspirationsquelle für seine Theorie über die Entstehung der Arten. „Sie haben mich mehr fasziniert als fast alles andere in meinem Leben”, schrieb er später. Es ist die Faszination dieser Vielfalt, die Martin Nickol und Eduard Thomas, Direktor des Kieler Planetariums, einem breiten Publikum vermitteln wollen – mit einer ungewöhnlichen Idee: Für das Darwin-Jahr haben sie eine Show entwickelt, in der sie die Schönheit der Blüten wirken lassen, um zu demonstrieren, wie Evolution funktioniert. Das Besondere: Die Show wird nicht auf eine Leinwand projiziert, sondern in die Kuppel des Planetariums. Hier kann man selbst winzige Details aus der Natur in starker Vergrößerung dreidimensional erleben – fast wie eine Hummel, die in eine Blüte hineinfliegt.
Sternenwelten kann man seit fast hundert Jahren so abbilden, aber Pflanzen, Tiere, ganze Geschichten? Das ist neu und auch erst durch moderne Projektoren und Computertechnik möglich geworden. Bei vielen seiner Kollegen stieß Thomas mit seinem Konzept auf begeistertes Interesse: Inzwischen wollen bereits gut ein Dutzend Planetarien die Evolutionsshow übernehmen. „Sie sind auf der Suche nach neuen Inhalten für ihre Kuppeln, um sich neben den Sternenbegeisterten ein neues Publikum zu erschließen”, sagt Thomas. „Mit dieser Methode erreichen wir auch junge Leute. Und was man hier erlebt, ist einzigartig. Das kann man im Gegensatz zum Kino nicht zu Hause reproduzieren.”
DIGITALES KUPPELTHEATER
„Fulldome-Technologie” heißt die Technik und „Immersion” die Präsentationsmethode, bei der man sich nicht mehr vor, sondern mitten in den Inhalten befindet. Kiel ist der richtige Ort, um solch ein Projekt in die Tat umzusetzen. Denn als man Anfang des Jahrhunderts das Planetarium neu baute, drängte Direktor Thomas auch auf eine inhaltliche Neuausrichtung. Mit Erfolg: Aus einer reinen Sternenshow wurde ein digitales Kuppeltheater und ein Forschungs- und Experimentierlabor für multimediale Präsentationen im dreidimensionalen Raum. Es war die erste derartige Institution mit der dazu notwendigen Technik in Europa. Und die brauchte natürlich einen neuen, passenden Namen. So wurde aus dem Planetarium der Mediendom. Er steht mitten auf dem Campus der Fachhochschule Kiel.
Ralph Heinsohn hat bis vor Kurzem hier als Student geforscht und arbeitet jetzt als Mediendesigner an der Evolutionsshow mit: „ An einem normalen Planetarium wäre das alles nicht umzusetzen gewesen”, betont er. Ihn verbindet viel mit dem Mediendom. „Wir Studenten hatten immer einen Schlüssel zum Mediendom und haben nachts, wenn keine Zuschauer da waren, unsere neuen Projekte ausprobiert und herumexperimentiert. Das war schon sehr spannend, wenn man das, was man zuvor auf dem Computerbildschirm zusammengebaut hatte, auf einmal in einer 360-Grad-Projektion erlebt.” Viel hätten er und seine Kommilitonen dabei gelernt: „ Geschichten für den Mediendom brauchen eine ganz eigene Dramaturgie.” Denn Filmprojektionen in einer Kuppel sind technisches und ästhetisches Neuland, in das sich bisher nur wenige gewagt haben. Es reicht nicht aus, die Bilder normaler Filme so zu verzerren, dass die Bildpunkte für die Kuppelprojektion richtig liegen. Anders als im Kino sitzt der Zuschauer nicht vor einer Leinwand, sondern mitten im beziehungsweise unter dem Geschehen. Er schaut auf die Welt aus der Perspektive einer Ameise. „Man darf den Zuschauer psychisch nicht so stark belasten wie im normalen Kino. Heftige Schwarz-Weiß-Wechsel können regelrecht schmerzen. Auch Gesichter dürfen nicht zu groß dargestellt werden, da unser Gehirn sonst den Gesichtsausdruck nicht interpretieren kann”, erklärt Peter Hertling. Er war früher Dokumentarfilmer beim ZDF und forscht jetzt als Professor der Fachhochschule Kiel an einem neuen „ 360º-Paradigma”, um Bildergeschichten in Planetarien zu erzählen. Dazu gehört auch der richtige Schnittrhythmus – also wie lange ein Bild gezeigt wird, bis es vom nächsten abgelöst wird: Dieser muss deutlich langsamer sein als bei normalen Film- oder Fernsehproduktionen, dauert es dort doch oft nur vier Sekunden, bis der nächste Schnitt kommt. In der Kuppeldarstellung würde das den Betrachter völlig verwirren, denn hier gibt es viel mehr zu entdecken – und dafür braucht der Zuschauer Zeit. Manches spielt sich in den Augenwinkeln ab. Einige Aktionen beginnen sogar hinter dem Betrachter und gelangen dann erst ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Für den Zuschauer bedeutet dies ein extrem sinnliches Erleben. Er kann wie ein Insekt in die Orchideenblüte hineinfahren, fast spüren, wie der Rand des Blütenkelchs hinter ihm verschwindet – und vielleicht fasst er sich dann ja in den Nacken, um zu überprüfen, ob die Blüte nicht doch ein Pollenpaket dort festgeklebt hat. ■
von Thomas Willke