Die Computer laufen bei den Telekommunikationsgesellschaften auf Hochtouren. Gigantische Festplatten speichern sämtliche Aktionen, die über die deutschen Telefonnetze abgewickelt werden. Ob Festnetz, Mobilfunk oder Internet – jedes Telefonat, jede gewählte Nummer, jede Kurznachricht, jede E-Mail und jeder Mausklick beim Surfen im Netz werden registriert und inklusive Namen, Anschrift, Geburtstag und Personalausweisnummer des Belauschten gespeichert. Das klingt wie die Orwell’sche Fiktion einer völligen Überwachung der Bürger. Und die könnte schon bald Realität werden. Denn genau dieses Szenario verlangt der Gesetzentwurf zur künftigen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), der im Juni 2002 auf Antrag des Landes Niedersachsens vom Bundesrat beschlossen wurde.
Das Ausmaß der geplanten staatlichen Überwachung geht Datenschützern aber entschieden zu weit. „Es handelt sich hier schließlich nicht um konkrete Strafermittlungen, sondern um die Totalüberwachung aller Formen der Telekommunikation ohne jeglichen Verdacht”, sagt Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.
Beim Bundeskriminalamt sieht man das anders. Im gezielten Kampf gegen Kinderpornographie und Kindesmissbrauch setzen die Ermittlungsbehörden auf eine umfangreiche Überwachung des Internet. Kurt Euring vom Bund deutscher Kriminalbeamter hält die Verschärfungen im Überwachungsgesetz für dringend nötig: „Mit zunehmendem Einsatz der Informationstechnik im Alltag steigt auch ihre Bedeutung in der Vermarktung von Kinderpornographie.” Ermittlungserfolge der letzten Monate geben ihm Recht: So wurden im September 2002 in Deutschland Wohnungen von mehr als 1400 Personen durchsucht, die im Verdacht standen, sich Zugang zu kinderpornographischen Internet-Seiten verschafft zu haben. Das Ergebnis war ein Volltreffer. Rund 25000 Kinderporno-Videos wurden bei dieser Aktion beschlagnahmt. Ausgangspunkt der Maßnahmen waren Ermittlungen des US Postal Inspection Service gegen die US-Firma Landslide. Im Zuge dieses Verfahrens fanden die Behörden heraus, dass Landslide Zugang zu mindestens 300 kinderpornographischen Websites bereitstellte. Das Unternehmen erwirtschaftete damit rund 5,5 Millionen Dollar.
Mit der staatlichen Überwachung des Internet sollen die Behörden in Zukunft gezielt gegen die Konsumenten von Kinderpornographie vorgehen können, auch ohne zuvor Hersteller und Verbreiter von Bildern und Videos überführt zu haben. Doch die Sicherheit im Netz hat ihren Preis: „Das Speichern sämtlicher Verbindungsdaten von über 30 Millionen Internet-Zugängen allein in Deutschland wird die Provider jährlich mehrere Millionen Euro kosten”, befürchtet Harald Summa, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Internet-Wirtschaft. „Wir transportieren eine Datenmenge von bis zu sechs Gigabit pro Sekunde durch Deutschland” , berichtet der Internet-Experte. „Selbst wenn nur ein Tausendstel davon gespeichert werden soll, müssen die Speicherkapazitäten erheblich erweitert werden.”
Ob sich durch die geplante Vorratsdatenspeicherung aller Internet-Verbindungen die Verbreitung von Kinderpornographie wirklich bekämpfen lässt, ist fraglich. Schließlich wissen versierte Internet-Surfer längst, wie man sich im weltweiten Netz unerkannt bewegen kann. Ein einfaches und effektives Mittel ist das Verwenden von Anonymisierungsdiensten. Deren Funktionsweise: Der Internet-Reisende taucht in einer großen Gruppe anonymer Surfer unter. Dabei vermischt der Anonymisierungsdienst die übertragenen Daten aller Nutzer, sodass niemand mehr in der Lage ist, Sender und Empfänger eindeutig zuzuordnen. „Wenn ein Surfer einen solchen Dienst nutzt, können Internetprovider und Ermittlungsbehörden nur noch feststellen, dass er mit diesem Dienst kommuniziert hat, aber nicht mehr, wohin er damit gesurft ist”, erklärt Martin Seeger, Mitbegründer des Kieler Providers Netuse den Effekt der Technik.
Wer allerdings glaubt, durch anonymes Surfen sei seine Privatsphäre im Internet bestens geschützt, der irrt sich gewaltig. Während der Staat erst jetzt sein Interesse am Surfverhalten der Bürger entdeckt hat, kennen Internetshops, Werbetreibende und Hacker im weltweiten Netz den Wert von detaillierten Benutzerinformationen schon lange. „ One-to-one-Marketing” heißt das Zauberwort. Kennt man die Interessen, Meinungen und Hobbys seiner Kunden, so kann man die entsprechenden Produkte gezielt anbieten. Daher gehören Kundendaten längst zum Betriebsvermögen. Auf die Datenbanken der Provider dürfen Internetshop-Betreiber und Werbefirmen aus Datenschutzgründen allerdings nicht zurückgreifen. Daher bedienen sie sich eigener Mittel, um den Surfer gründlich auszuspionieren. So setzten die Datensammler im Netz auf kleine Programme und Dateien, die über jeden Mausklick des Surfers wachen. Beinahe unbemerkt gelangen Cookies (Kekse), Bugger (Käfer) und Spys (Spione) auf den Rechner und kennen diesen oft besser als sein Eigentümer. Von dort übermitteln sie ungeniert Informationen zu dem Server ihrer Herkunft. Rechner- und E-Mail-Adresse, Passwörter, Software und Hardware-Daten, Bookmarks und Surfprotokolle verraten Werbefirmen alles, was sie über ihre Kunden wissen wollen.
Unter den Schnüfflern sind Cookies noch die harmloseste Variante. Das Cookie ist eine kleine Textdatei, die etwa das Zugangspasswort zu einem Internetshop speichert. Besucht der Kunde ein weiteres Mal diesen Shop, wird er sofort wiedererkannt. So weiß der Online-Buchhändler sofort, welche Literatur für seinen Besucher von Interesse sein könnte und kann die entsprechenden Bücher gezielt anbieten. Wer diesen Wiedererkennungseffekt nicht wünscht, kann Cookies ganz leicht aussperren: ein paar Mausklicks in den Sicherheitseinstellungen des Browsers – und die lästigen Kekse müssen draußen bleiben.
Erheblich bedenklicher sind die Web-Bugger. Die kleinen Programme werden auf Webseiten versteckt und sorgen dafür, dass die bereits gespeicherten Cookie-Informationen an Dritte weitergeleitet werden. So kommen unseriöse Webseitenbetreiber unbemerkt an Informationen über das Surfverhalten und die Vorlieben ihrer Besucher. Der neueste Trick von kriminellen Datensammler ist der Einsatz von Spyware. Die Spionage-Anhängsel schleichen sich als blinde Passagiere von Freeware-Programmen aus dem Internet auf den heimischen PC. Mithilfe dieser Spionageprogramme können die Versender jede Aktion auf dem infizierten PC mitverfolgen. Nicht selten kommen Hacker auf diese Weise unbemerkt an Passwörter, Kreditkarteninformationen und andere persönliche Daten ahnungsloser Surfer.
„Der Datenschutz hängt den immer raffinierteren Tricks der Datenspione leider meist hinterher”, weiß Stefan Kelm, Diplom-Informatiker und IT-Sicherheitsberater. „Der Nutzer ist selbst gefragt, wenn es darum geht, Sicherheitslücken auf seinem PC zu finden.” Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Niedersachsen stellt diese Möglichkeit auf seiner Website bereit (www.lfd.niedersachsen.de). Der Test dauert wenige Minuten und demonstriert eindrucksvoll, wie viel der eigene Browser über das Netzwerk, den PC, dessen Betriebssystem und seine Nutzer verrät. Wer das Ergebnis kennt, wird kaum zögern, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen: „Den besten Schutz vor Datenschnüfflern bieten ein ständig aktualisierter Virenscanner und eine ,Personal Firewall‘, die jede Attacke aus dem Netz erkennen und abwehren”, empfiehlt Kelm. Egal ob von Staat, E-Commerce-Unternehmen oder kriminellen Internetschnüfflern – das Recht auf Privatsphäre im Internet muss man sich von niemandem nehmen lassen.
KOMPAKT
• Die Ermittlungsbehörden halten eine umfassende Überwachung von Telefon, Internet und elektronischer Post für notwendig, um Kinderschändern gezielt auf die Spur kommen zu können.
• Datenschützern geht das Bespitzeln via Internet und Telefon deutlich zu weit.
• Mithilfe kleiner Programme, die sich heimlich auf dem PC einnisten, werden Websurfer längst von Online-Händlern und Werbetreibenden ausspioniert.
Tom Niemann