In keinem Rückblick auf das 20. Jahrhundert fehlte die erste Herztransplantation im Jahr 1967 – ein Meilenstein in der Medizingeschichte. In künftigen Rückschauen dürfte das Jahr, in dem erstmals ein echtes Kunstherz implantiert wird, ebenfalls einen Platz erhalten. Ein großer Schritt dahin machte im Oktober 1999 das Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen: Einem 67jährigen Mann wurde als erstem Menschen ein „ voll-implantierbares Linksherzunterstützungssystem” mit dem Namen „Lionheart” eingesetzt. Ähnliche Pumpsysteme wurden bisher im Vorfeld von Herztransplantationen eingesetzt, um die Wartezeit auf ein Spenderorgan zu überbrücken. „Wir haben Patienten, die schon zwei Jahre damit leben”, so Dr. Aly El-Banayosy, Oberarzt in Bad Oeynhausen, wo weltweit die meisten Herzpatienten mit Unterstützungssystemen betreut werden. Nach der Transplantation wird das Provisorium wieder entfernt. Anders das Lionheart: Die Blutpumpe aus Titan soll dauerhaft im Körper bleiben – zusammen mit ihren Steuer- und Versorgungsaggregaten. Ein Kabel nach außen für die Stromversorgung ist nicht mehr nötig. „Herzschwäche” – medizinisch: Herzinsuffizienz – lautet die häufigste Diagnose, wenn ein Patient über 65 Jahren in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Die Ursachen können verengte Herzkranzgefäße oder erschlaffte Herzmuskeln sein. Die Kraft reicht nicht mehr aus, um den Blutkreislauf aufrechtzuerhalten. Knapp die Hälfte der Patienten mit schwerer Insuffizienz überlebt länger als ein Jahr. Die beste Hilfe ist eine Transplantation. Doch Spenderorgane sind rar: Rund 500 Herzen wurden 1998 in Deutschland verpflanzt, der Bedarf ist doppelt so hoch. Und so treibt Lionheart den Kreislauf an: Die Pumpe hat eine direkte Verbindung zur linken Herzkammer. Deren Schlagkraft reicht in der Regel noch aus, um das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge in das Titangehäuse zu schicken. Mit Druckluft wird der darin eingeschlossene Blutbeutel zusammengepreßt und das Blut zur Hauptschlagader und in den Körperkreislauf befördert. Der Strom kommt aus einem Akku, der von außen per Induktion geladen wird. Das gesamte System wiegt etwa 1300 Gramm. Die Patienten tragen über der Brust einen Gürtel, in dem wiederaufladbare, drei Kilogramm schwere Batterien stecken, die den Induktionsstrom liefern. Patienten, die vor der Operation kaum ein paar Schritte gehen konnten, ohne ins Schnaufen zu kommen, ermöglicht diese System neue Bewegungsfreiheit. Wenige Monate nach der Operation sollen Sport und Autofahren wieder zum Alltag gehören, hoffen die Ärzte in Bad Oeynhausen. Da der interne Akku bis zu einer halben Stunde ohne Induktionsstrom auskommt, ist auch das Duschen oder Baden wieder möglich. In Bad Oeynhausen freut man sich über den Erfolg des Lionheart – aber man denkt schon daran, es bald wieder überflüssig zu machen. Laut Aly El-Banayosy soll möglicherweise bereits in diesem Jahr das erste komplette Kunstherz mit zwei Pumpen und Kammern eingesetzt werden. Das Super-Lionheart würde das Patienten-Herz nicht nur unterstützen, sondern alle seine Funktionen übernehmen.
Ulrich Fricke