Warum immer Troja? Selbst Bonn wurde von versprengten Trojanern gegründet. Der Urvater Roms, Äneas, kam ebenso aus trojanischem Heldengeschlecht. Auch des deutschen Ahnkaisers Barbarossa Wurzeln lagen in der Nordwestecke Kleinasiens. Die Briten stammen von Trojanern ab, ebenso wie die Franken, Türken, Germanen, Belgier, Ungarn und Skandinavier. Nahezu der gesamte mittelalterliche Ritteradel Europas berief sich auf Vorfahren aus der besiegten Stadt – immer und überall: Troja. Diesem Ruf erlagen Generationen von Wissenschaftlern, die hier Besonderes orteten: eine Handelsmetropole, die den Zugang zum Schwarzen Meer kontrollierte, eine Königsresidenz, ein kulturelles und politisches Zentrum oder gar das mythische Atlantis (siehe „ Irrtum 3 – Troja war Atlantis”).
„Troja hatte Homer, Limantepe hat nicht einmal einen Namen”, erklärt Hayat Erkanal, Archäologe an der Universität Ankara, den Mythos. Und Troja hatte Heinrich Schliemann und Manfred Korfmann, die den Mythos in der Neuzeit neu entfachten. Troja heißt eigentlich Hisarlik, so der Name des Ruinenhügels. Limantepe ist benannt nach dem Dorf neben der archäologischen Stätte, die Troja Konkurrenz macht. Seit Jahren arbeitet Erkanal in Limantepe, 40 Kilometer westlich von Izmir, an einer Sensation, von der fast niemand spricht: Als die Fürsten von Troja sich gegen 2500 v.Chr. den ersten richtigen Festungsring um ihre Burg gönnten, besaßen die Herrscher von Limantepe schon eine Stadt mit Seehafen und gemauerter Hafenmole – die erste der Welt: 100 Meter lang, 40 Meter breit. Dazu schütteten die neu zugewanderten Herren von Limantepe vor 4500 Jahren die alte, damals schon 500-jährige Siedlung zu und errichteten darauf „eine richtige Stadt”, so Erkanal, mit Herrenhäusern, großen Speichern, Stadttoren und Wehrmauern. Eine sechs Meter hohe Bastion davon ist noch heute zu besichtigen.
ENDSTATION STATT ZENTRUM
Ähnliche Ergebnisse liefert Turan Efe von seiner Grabung Küllüoba (siehe Karte links) bei Eskisehir im nordwestlichen Binnenland. Der Archäologe von der Istanbuler Universität, der lange Zeit in Troja mit Manfred Korfmann forschte, hat eine Handelsverbindung quer durch das Land zwischen Nordwestanatolien und Zentralanatolien nachgewiesen. Seine bronzezeitliche Stätte Küllüoba war bereits vor 2500 v.Chr. – wie Limantepe – eine befestigte Ortschaft mit Ober- und Unterstadt, mit Mauer um die Akropolis und Gebäuden von stattlichen 31 mal 25 Metern. Die Siedlung war nördlicher Verteiler der binnenländischen Karawanenroute, die sich von Tarsus beim heutigen Adana 800 Kilometer nach Nordwesten Richtung Balkan zog. In Küllüoba hatte die Handelsstraße Abzweigungen nach Troja und in die Region der heutigen Hauptstadt Ankara. Auch die westliche Küstenregion um Milet und Ephesus war über Nebentrassen angebunden. An der Route gab es Stationen, die den Handel absicherten. „Küllüoba war das Zentrum mit Elite und Verwaltung. Es war auf dem Weg zur Urbanisierung”, bewertet Efe die Karawanenstation im anatolischen Binnenland. Um 2500 bis 2000 v.Chr. war Troja demnach allenfalls Endstation einer langen Reise, aber kein Zentrum. Es gab mehrere Orte für Kultur, Handel und Austausch im westlichen Teil Kleinasiens. Und es werden noch mehr werden, wie Hayat Erkanal voraussagt: „In den Schwemmgebieten der Flüsse und im Meer gibt es mit Sicherheit noch mehr ‚Trojas‘ und ‚Limantepes‘.” ■