“Unser Ziel ist die Null-Fehler-Produktion: In jedem Arbeitsgang eine perfekt geschliffene Nockenwelle, Turbinenschaufel, ein Einspritzventil oder ein Kugellager – ohne Ausschuß und ohne übermäßigen Verschleiß des Werkzeugs”, erklärt Christian Böhm. Der Ingenieur und seine Kollegen vom Institut für Werkstofftechnik der Universität Bremen haben derzeit eine Scheibe auf ihrem Prüfstand, die die Oberflächen metallener Werkstücke mit bisher nicht erreichbarer Präzision schleift. Die Bagteheider Firma Unicorn Indimant will das High-Tech-Gerät in spätestens zwei Jahren weltweit vermarkten. Die Bremer experimentieren mit Schleifscheiben aus kubischem Bornitrid, die vor allem in der Massenfertigung eingesetzt werden. Kubisches Bornitrid ist ein äußerst harter kristalliner Stoff aus Bor und Stickstoff, der sich als Diamantersatz eignet. Herkömmlich überwacht eine Vielzahl von Meßsystemen solche Scheiben bei der Arbeit: Thermokameras beobachten die Wärmeentwicklung, Meßplattformen unter dem Werkstück zeichnen die an der Scheibe zerrenden Kräfte auf, und der Stromverbrauch der Scheiben wird penibel kontrolliert. Aber alle bisher verfügbaren Meßverfahren haben einen gravierenden Nachteil: Sie nehmen ihre Daten nicht direkt am Ort des Geschehens auf, dem Kontaktpunkt zwischen Schleifscheibe und Werkstück. Daher kommt nach dem Schleifen oft das böse Erwachen, etwa wenn unbemerkt eine zu hohe Arbeitstemperatur Schleifscheibe und Werkstück ruiniert hat. Wenn es nach dem Willen der Bremer geht, soll das künftig nicht mehr passieren. Wie eine sensible Haut die Hand zu einem einfühlsamen Werkzeug des Gehirns macht, wollen Böhm und seine Kollegen Schleifscheiben mit Feingefühl und Intelligenz versehen.
Dazu integrieren sie Mikrosysteme in den Belag der Schleifscheibe. Mikrosysteme sind nahe Verwandte der Computerchips. Anders als diese sind Mikrosysteme jedoch komplette winzige Maschinen, die neben den logischen Verschaltungen auch Sensoren und bewegliche Teile besitzen. Die Systeme für die Schleifscheiben entwickelt Oliver Ahrens vom Bremer Institut für Mikrosensoren, -aktuatoren und -systeme (IMSAS). Er hat die Mikrosysteme nicht nur mit den Sensoren versehen, sondern auch mit winzigen Spulen. Aus Radiowellen erzeugen sie durch Induktion die notwendige Energie für das System. Außerdem senden sie die gewonnenen Daten drahtlos an einen Rechner, der die Arbeit der Scheibe steuert. An drei Arten von Sensoren arbeiten Ahrens und Böhm. Sie erfassen die Arbeitstemperatur, die an der Reibefläche wirkenden Kräfte und die Schwingungen der Scheibe. Den Wärmesensor haben die Forscher bereits zum Patent angemeldet. Die Fühler des Mikrosystems ragen zum Teil bis an die Oberfläche der Schleifscheiben. Ein Stückchen von ihrem äußeren Ende geht dementsprechend bei jedem Schleifvorgang verloren. Sie sind jedoch so konstruiert, daß sie trotzdem über die ganze Lebensdauer der Scheibe hinweg exakte Werte liefern. Da sie ohne Zeitverzögerung präzise Auskunft über den Schleifvorgang geben, kann der Computer die Scheibe fast fehlerfrei führen. Eine Oberfläche mit letztem Schliff soll nicht nur das Arbeitsverhalten und die Lebenserwartung der produzierten Maschinenteile verbessern. “Die gewonnene Präzision wird auch die Lebensdauer der Schleifscheiben erheblich verlängern”, ist Jörg Rucker von Unicorn Indimant überzeugt. Das wird ein wichtiges Argument für potentielle Käufer sein: Die wertvollen Scheiben können einen erheblichen Kostenfaktor in der Produktion darstellen. Die neue Generation der Schleifscheiben dürfte indes kaum teurer als die bisherige werden: Die verwendeten Mikrosysteme sind – wie Computerchips – in großer Stückzahl billig zu produzieren.
Andreas Wawrzinek