Die Babylonier mussten die Gürtel enger schnallen. Das Grundnahrungsmittel Gerste war kaum noch zu bezahlen – geschweige denn Cuscuta, eine Schmarotzerpflanze aus der Familie der Windengewächse, die für die Bierherstellung unerläßlich war. Der Tod von Alexander dem Großen hatte die Preise in schwindelnde Höhen getrieben. Zu diesem Ergebnis kam jetzt Prof. Peter Temin vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), als er das Tempelarchiv von Babylon durchforstete.
Mehr als 500 Jahre lang zeichneten Schreiber des Marduk-Tempels täglich astronomische und meteorologische Ereignisse auf. Jeweils am Monatsende fügten sie einen Wirtschaftsbericht an. In einer Art Warenkorb notierten sie, wie viel Gerste, Datteln, Kresse, Sesam, Wolle und Cuscuta man für einen Schekel Silber – etwa 8,5 Gramm – kaufen konnte. Der MIT-Forscher: „Diese Tafeln sind einzigartig. Zudem lassen sie sich wegen der astronomischen Daten exakt datieren – ein Glücksfall.”
Peter Temin betätigte sich als Wirtschaftsprüfer und untersuchte über 3000 Daten aus den Jahren 464 bis 72 v.Chr. Neben saisonalen Schwankungen stellte der Wirtschaftshistoriker zwei exorbitante Preisausschläge nach oben fest: nach dem Tod von Alexander dem Großen (323 v.Chr.) und zum Ende des Seleukidenreichs (ab 150 v.Chr.). Alexander der Große hatte Babylon 331 v.Chr. erobert und starb dort acht Jahre später wahrscheinlich an Malaria. Nach seinem Tod kämpften die Feldherren Seleukos Nikator und Antigonos der Einäugige um die Nachfolge – und stürzten das Reich in eine tiefe Wirtschaftskrise. Denn die rivalisierenden Generäle brachten Unmengen Silber aus den Beuteschätzen in Umlauf. „Der Preis des Edelmetalls sank ins Bodenlose”, so Temin.
Dem widerspricht Dr. Gerfrid G. W. Müller: „Mit einer Inflation durch erhöhten Silberzufluss ist diese Teuerung nicht zu erklären.” Für den Würzburger Altorientalisten, der sich ebenfalls mit den Texten des Tempelarchivs beschäftigte, „sind die hohen Preise vielmehr ein Indiz dafür, daß in den Kriegswirren die Infrastruktur Babylons zerstört wurde und sich die Stadt nicht mehr aus dem Umland versorgen konnte”. Egal, ob Inflation oder zerstörte Infrastruktur: Vernichtete Ernten, verbrannte Dattelplantagen und der erhöhte Lebensmittelbedarf der Truppen ließen die Preise weiter klettern. Nahrungsmittel wurden mehr als doppelt so teuer – schwierige Zeiten für die Bewohner Babylons. Es dauerte nahezu 20 Jahre, bis sich das städtische Wirtschaftsleben wieder normalisierte.
Erst als sich Seleukos Nikator gegen seinen Widersacher durchgesetzt hatte und das Seleukidenreich gründete, erholten sich die Preise wieder – bis zum Jahr 150 v.Chr. Da schossen die Kosten für Lebensmittel abermals bis in schwindelnde Höhen. „Beim Zusammenbruch des Seleukidenreichs”, so der britische Historiker John D. Grainger, „behinderten innere Unruhen den Handel. Das führte zu Lebensmittelknappheit.”
Neben solchen längeren Krisen überliefern die Aufzeichnungen aus Babylons Kultzentrum auch einzelne Jahre mit besonders mageren Ernten und entsprechenden Getreidepreisen – zum Beispiel das Jahr 273 v.Chr. „Die Tagebücher aus dem Marduk-Tempel berichten von einer Hungersnot, die die Menschen zwang, ihre Kinder zu verkaufen”, weiß Gerfrid G. W. Müller.
Doris Gutsmiedl