Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energiequellen soll steigen: Diesem Ziel kommt eine enorme Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel zu – das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Den meisten Verbrauchern ist außerdem klar, dass sich der “grüne” Strom nicht so billig herstellen lässt wie der sogenannte Graustrom aus Kohlekraftwerken und Co. Fragt man sie direkt, bekommt man von der Mehrheit durchaus eine hohe Bereitschaft für Preisaufschläge zu hören. Doch dem scheinen nicht wirklich Taten zu folgen: In der Realität wechseln nicht annähernd so viele Kunden in einen höherpreisigen Ökostromtarif, wie Befragungen nahelegen würden.
Verzerrt soziale Erwünschtheit Befragungsergebnisse?
Ein möglicher Grund für diese Diskrepanz ist die sogenannte soziale Erwünschtheit: Verbraucher wissen, dass Grünstrom positiv gesehen wird und äußern sich deshalb so wie es andere wünschen oder wie sie sich selbst gerne sehen würden – sie geben hohe Zahlungsbereitschaft an, die aber möglicherweise nicht den Tatsachen entspricht. Forscher um Carsten Herbes von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen haben deshalb eine spezielle Methode gewählt, um der Aufpreis-Bereitschaft für Ökostrom etwas objektiver nachzugehen. Bei dem sogenannten Neuropricing®, das von der Firma The Neuromarketing Labs entwickelt wurde, geben Muster von Hirnströmen Hinweise auf die Zahlungsbereitschaft von Probanden für bestimmte Produkte.
Bei ihren Versuchen präsentierten die Forscher den Studienteilnehmern unterschiedliche Stromversorgungsangebote und dazu verschiedene Preise. Die Probanden sollten bewerten, ob sie den Preis teuer oder billig finden, dabei trugen sie eine Haube mit Messkontakten auf dem Kopfhaut, die ihre Hirnströme erfassten. Aus den Analysen sowie aus der Reaktionszeit leiteten die Wissenschaftler anschließend ab, welche Preise optimal zu den Produkten passten und wie schwer es den Probanden fiel, sich zwischen den Bewertungen “teuer” und “billig” zu entscheiden.
Überraschen hohe Aufpreis-Bereitschaft
Ergebnis: Es zeichnete sich eine überraschend hohe tatsächliche Bereitschaft ab. Sie liegt bei etwa 15 Prozent Aufpreis gegenüber einem Graustromtarif. Für Vermarkter stecken in dieser Information wichtige Hinweise, sagen die Forscher. Es gibt demnach doch noch Spielraum für höherpreisige Grünstromtarife, die momentan im Schnitt bei zwei Prozent Aufpreis liegen. Somit könnte auch der Anteil teurerer Erzeugungsarten wie Wind oder Photovoltaik erhöht werden, um Alternativen zur Wasserkraft zu bieten.
Außerdem scheinen die Gründe für die geringen tatsächlichen Wechselraten zu Grünstromprodukten vermutlich nicht so sehr am Preis zu liegen, sondern vielleicht eher an der Gestaltung des Wechselprozesses und der generellen Sensibilisierung der Verbraucher für das Produkt Strom. Um Marketingstrategien zu entwickeln – beispielsweise die richtigen Botschaften für die Vermarktung – könnten ebenfalls neurowissenschaftliche Methoden zum Einsatz kommen, schlagen die Wissenschaftler vor.
Quelle: Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen