Die große Geburtstagsfeier hätte fast ausfallen müssen. Denn wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag am 8. Januar 2002 brach sich Stephen Hawking einen Oberschenkelknochen. In seiner gewohnt rasanten Weise war er versehentlich mit seinem neuen motorisierten Rollstuhl, liebevoll „Quantum Jazzy” genannt, gegen eine Mauer gefahren. Doch Hawking erschien nicht nur auf seiner Party, sondern hielt sogar einen Vortrag auf dem Symposium, das die Crème de la Crème der theoretischen Physiker eigens für ihn im britischen Cambridge veranstaltet hatte. Und er verkündete am Ende des Treffens, was dereinst auf seinem Grabstein stehen soll: S = Akc3/4 ΨG, die Formel für die Entropie der Schwarzen Löcher. Mit dieser Entdeckung von 1974 – einem Hammerschlag in der Geschichte der Physik – hatte er bewiesen, dass die finsteren Massezentren aus quantenphysikalischen Gründen eine geringe Temperatur besitzen und somit im Lauf der Zeit zerstrahlen müssen. Die Grabsteinformel ist aber nicht einfach der Versuch, sich selbst ein Denkmal zu setzen, sondern Ausdruck von Hawkings subtilem Humor: Damit stellt er sich in die Tradition des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann. Der ließ sich nach seinem Tod 1906 die von ihm entdeckte Formel für die Entropie – das physikalische Maß für die Unordnung eines Systems – auf den Grabstein gravieren. Außerdem teilte Hawking augenzwinkernd mit – und viel mehr als mit den Augen zu zwinkern kann der bis auf Teile seiner Gesichtsmuskulatur und der linken Hand total Gelähmte auch nicht mehr –, dass er immer noch lebt, und zwar mit großem Vergnügen. Das ist ein medizinisches Wunder. Denn 39 Jahre nach seinem Todesurteil – der Diagnose von Amyotropher Lateralsklerose – stellt Hawking mit jedem Tag einen neuen Rekord auf.
Gewöhnlich sterben Patienten an dem heimtückischen, unheilbaren Muskelschwund innerhalb von Monaten oder allenfalls wenigen Jahren. Doch Hawking lebt nicht nur, sondern hat sogar den Lukasischen Lehrstuhl inne, wie vor 300 Jahren Isaac Newton – „allerdings wurde er damals noch nicht elektrisch betrieben”, wie der an den Rollstuhl gefesselte Hawking sagt. Er betreut nicht nur Doktoranden und forscht über Schwarze Löcher sowie den Urknall, sondern zockt als Schauspieler schon mal Newton und Einstein beim Pokern an Bord vom „Raumschiff Enterprise” ab und schreibt populärwissenschaftliche Bestseller, die zu den meistverkauften Büchern nach der Bibel gehören: Die 1988 erschienene „Kurze Geschichte der Zeit”, die angeblich jeder 500. Mensch erworben hat, und das letztes Jahr veröffentlichte „ Universum in der Nussschale”, das seit Erscheinen hierzulande ein halbes Jahr auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand und rund 300000-mal verkauft wurde – weltweit sogar bereits über zwei Millionen Mal. „Ich könnte in einer Nussschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten”, heißt es in William Shakespeares „Hamlet”. „Obwohl wir Menschen physischen Einschränkungen unterworfen sind, können unsere Gedanken frei und ungebunden das Universum erforschen”, interpretiert Hawking, dessen reger Geist – in seinen gelähmten Körper selbst wie in eine Nussschale eingesperrt – doch nicht müde wird, Raum und Zeit zu erkunden. „Ich lebe gern. Es gibt so viel zu tun und zu entdecken.” Seinem tragischen Schicksal mag Hawking einen gehörigen Teil seiner Publicity verdanken – einer BBC-Studie zufolge ist er der berühmteste lebende Wissenschaftler, obwohl die wenigsten seine Theorien wirklich verstehen. Als der Medienstar mit dem noch immer jugendlichen Gesicht letztes Jahr zu einer Pressekonferenz in München einrollte, brach selbst unter hart gesottenen Journalisten spontaner Beifall aus, bevor sie sich wie eine Horde Affen mit Kameras um ihn scharten, ein mehrminütiges Blitzlichtgewitter entfesselnd. Aber dann warteten sie beinahe andächtig auf jede seiner Antworten – und das dauerte eine Weile. Denn Hawking musste jedes Wort in seinen am Rollstuhl befestigten Sprachcomputer eintasten, der ihm seit einem Luftröhrenschnitt 1985 eine monotone und doch eigenartig ätherische Stimme verleiht. Immer wieder wird Hawking nach der Ursache des Urknalls gefragt – eine gute Gelegenheit für ihn, an einen Triumph seiner wissenschaftlichen Karriere zu erinnern: „Roger Penrose und ich zeigten, dass die Zeit im Urknall einen Anfang und in Schwarzen Löchern ein Ende hat. Die Allgemeine Relativitätstheorie bricht an solchen Singularitäten zusammen.” Diese sträuben sich aber gegen jedes Verständnis, denn dort werden Dichte, Temperatur und Energie unendlich, Raum und Zeit dagegen null. Um sich dennoch einer physikalischen Erklärung des Urknalls zu nähern, setzt Hawking auf eine Vereinigung von Relativitäts- und Quantentheorie. Die ersten Ansätze sind ermutigend: Zusammen mit seinen Kollegen James Hartle und Neil Turok gelang es ihm, singularitätsfreie Modelle vom Anfang des Universums zu entwickeln. Sie sind äußerst schwer zu veranschaulichen, denn sie beginnen mit einem „Instanton”, einer vierdimensionalen Halbkugel. Die vierte Dimension neben den dreien des Raumes ist eine imaginäre Zeit – eine durch die Multiplikation mit dem Faktor i (definiert als i2 = – 1) gleichsam verräumlichte Zeitkoordinate. „Man könnte meinen, imaginäre Zahlen seien lediglich eine mathematische Spielerei, die nichts mit der realen Welt zu tun habe”, schrieb Hawking und räumte ein, dass man „ keine imaginäre Zahl von Apfelsinen kaufen” könne. „Aus positivistischer Sicht lässt sich jedoch nicht bestimmen, was real ist. Wir können lediglich nach den mathematischen Modellen suchen, die das Universum beschreiben, in dem wir leben. Wie sich herausstellt, sagt ein mathematisches Modell, das die imaginäre Zeit einbezieht, nicht nur Effekte voraus, die wir bereits beobachtet haben, sondern auch solche, die wir noch nicht haben messen können, von deren Vorhandensein wir aber aus anderen Gründen überzeugt sind.” Neuerdings hat Hawking zusammen mit Thomas Hertog das Instanton-Modell auch in der Superstring-Kosmologie angewendet, die unser All als „Bran” (von „ Membran”) in einem höherdimensionalen Raum beschreibt. Diese „ Brane New World” – so der Titel eines Fachartikels, mit Anspielung auf Aldous Huxleys Romantitel „Brave New World”, der wiederum Shakespeare zitiert – könnte ein vierdimensionales Kugel-Universum sein, das einen höherdimensionalen Raum umschließt und möglicherweise von einem Spiegelbild seiner selbst umgeben ist. Die zeitlosen Instanton-Modelle vermeiden die leidige Frage, was vor dem Urknall war. „Zeit ist definiert durch das Intervall zwischen Ereignissen”, lässt Hawking seine Computerstimme verkünden. „Es gibt keinen externen Maßstab der Zeit, bei dem das Universum plötzlich mit dem Urknall begann. Daher hat die Frage, was eine Minute vor dem Urknall geschah, keinen Sinn. Die Zeit war nicht definiert.”
Die Magie des Imaginären wurde durch Hawkings Weltmodell bekannt. Um die Entstehung des Universums zu beschreiben, hat diesen Ansatz jedoch ein anderer in die Quantenkosmologie eingeführt, der eher scheu und bescheiden auftritt, aber nicht minder genial ist: Alexander Vilenkin. Er stammt aus Charkow im Nordosten der Ukraine. Schon als Student fühlte er sich größtenteils auf sich allein gestellt. „Ich ließ die meisten Kurse ausfallen und studierte Physik in Eigenregie im Stadtpark neben der Universität von Charkow. Sie war sehr gut in Festkörperphysik, aber es gab niemanden, der Gravitationstheorie und Kosmologie lehrte. Das war damals nicht gefragt.” Nach Studium und einjährigem Militärdienst arbeitete Vilenkin eineinhalb Jahre als Nachtwächter in einem Zoo. „Das war der Höhepunkt meiner Karriere in der Ukraine”, erinnert er sich. „Die meiste Zeit musste ich einen Wein-Kiosk bewachen, und es war gar nicht so leicht, diesen Job zu bekommen. Man wollte zuvor sichergehen, dass ich kein Trunkenbold war.” Doch auch während dieser Zeit, nachts, allein „bei den traurig engen Käfigen” mit Zebras, Bären, Löwen und Elefanten, die funkelnden Sterne über sich, hörte Vilenkin nicht auf, über Allgemeine Relativitätstheorie und die Entwicklung des Universums nachzudenken. Trotz bester Referenzen bekam er keine Stelle, weil der Geheimdienst KGB dies zu verhindern wusste. „Ich war kein Dissident. Aber ich hatte mich als Student geweigert, dem KGB als Informant zu dienen, und man drohte mir, dass ich deshalb Schwierigkeiten bekäme.” 1976 gelang es Vilenkin, in die USA auszuwandern. In nur einem Jahr promovierte er über Biopolymere, arbeitete ein weiteres Jahr als Postdoc an der Theorie der Metalle – „ein Gebiet, auf dem die Universität von Charkow gut war, was sich nun als sehr nützlich herausstellte” – und fand deshalb 1978 eine Anstellung an der Tufts University in Medford, Massachusetts. Die Festkörperphysik hatte er sofort aufgegeben und sich seither ganz der Kosmologie verschrieben – „keiner nahm Anstoß daran”. „Meine Ideen entwickle ich, indem ich, wie Newton sagte, ständig über sie nachdenke.” Vilenkins produktivste Zeit ist das morgendliche Duschen. „Hier bekomme ich meine Einfälle für den Tag. Daher tendiere ich zu ausgiebigem Duschen. Aber ich habe glücklicherweise auch sehr talentierte Mitarbeiter wie Jaume Garriga, Tanmay Vachaspati und Arvind Borde.” Mit Letzterem hat Vilenkin starke physikalische Argumente entwickelt, dass die so genannte Inflation einen Anfang haben muss – obwohl diese exponentielle Raumausdehnung im gesamten Universum nie mehr aufhört und immer neue Teiluniversen produziert (bild der wissenschaft 12/2001, „Modell Klassik”). „Das Universum kann nicht unendlich alt sein. Die Inflation löst nicht das Problem der Anfangssingularität und somit die Frage nach dem Ursprung des Universums.” Letztes Jahr gelang es den beiden Kosmologen zusammen mit Alan Guth vom Massachusetts Institute of Technology, mathematische Schlupflöcher zu stopfen und die Argumentation noch weiter zu fassen. „Die Inflation reicht für eine vollständige Beschreibung des Universums nicht aus, es ist eine neue Physik für den Anfang nötig”, folgern die Forscher und betonen, dass ihre Beweisführung auch für die String-Kosmologie mit ihren höherdimensionalen Räumen gilt. Über den Anfang des Universums denkt Vilenkin ebenfalls seit langem nach. 1982 hatte er in den renommierten „Physics Letters” einen bahnbrechenden Artikel mit dem Titel „Creation of Universes from Nothing” veröffentlicht, dessen Thema ihn bis heute beschäftigt, und der weltweit viele Dutzend weitere Arbeiten nach sich zog. In diesem Forschungsgebiet geht es um nichts Geringeres als den Versuch, die Entstehung des Universums aus dem Nichts quantenkosmologisch zu beschreiben. Vilenkin vergleicht diesen Vorgang mit dem Zerfall eines radioaktiven Atoms. In der klassischen Physik wäre dieser undenkbar, aber die Quantenphysik erlaubt auch sehr unwahrscheinliche Dinge, etwa das Durchtunneln einer Energiebarriere. Genau das geschieht, wenn ein zerfallendes Atom ein Alpha-Teilchen aussendet. Vilenkin zufolge könnte unser gesamtes Universum durch einen vergleichbaren Quantentunnel-Effekt ins Dasein gelangt sein – „eine Idee, die mir anfangs völlig verrückt vorkam”. Weil sofort danach die Inflationsphase startete, wurde es groß und stark. „Inflation ist der einzige bekannte Vorgang, ein riesiges Universum zu erzeugen.” Viele andere Universen brachten es nicht so weit – sie blieben winzig, kollabierten kurz nach ihrer spontanen Entstehung schon wieder und verschwanden im Nichts. Vilenkin vergleicht die Quantentunnel-Kreationen mit der Bildung von Gasblasen in kochendem Wasser. Im Unterschied dazu haben die Universen freilich keine Umgebung. In diesem Quantenvakuum existieren nicht einmal Raum und Zeit. „Das ist so nahe am Nichts, wie es nur geht. Wenn es weder Raum noch Zeit gibt, kann man sich keine physikalischen Größen mehr vorstellen. Man kann höchstens sagen, es gibt den Raumzeit-Schaum des Quantenvakuums. Und manchmal bilden sich Blasen mit einer kritischen Größe, die zu expandieren beginnen. So entsteht ein Universum.” Was bislang unvorstellbar schien, hat Vilenkin mit ein paar Gleichungen von einem metaphysischen Ereignis zu einem physikalischen gemacht. Und da keine Zeit vor der Entstehung der Zeit existierte, gab es auch keinen Countdown für den Urknall. Dies sind radikale Gedanken – aber eben nicht bloß Gedanken. Vilenkin gelang es, den Quantentunnel-Effekt in der Sprache der mathematischen Physik zu formulieren. Er benutzte dazu die Wheeler-DeWitt-Gleichung, eine Verallgemeinerung der aus der Quantenphysik bekannten Schrödinger-Gleichung für das ganze Universum. Kurz gefasst lautet sie H ·c = 0 – aber dahinter verbirgt sich ein gigantischer Formel-Apparat. Die Randbedingungen und Lösungen dieser Gleichung, die die Psi(c)- oder Wellenfunktion des Universums beschreibt, sind freilich seit langem umstritten, auch zwischen Hawking und Vilenkin. Zudem gilt ihr Anwendungsbereich für kleinste Skalen möglicherweise nur eingeschränkt. Doch mehr gibt die Physik im Augenblick nicht her – ohne eine echte Synthese der Relativitäts- und Quantentheorie sind die Forscher auf Näherungsverfahren angewiesen. „Ursprünglich meinte ich sogar, die Theologen könnten das Szenario mögen, denn es geht ja um die Schöpfung aus dem Nichts”, schmunzelt Vilenkin, der nicht an einen Schöpfer glaubt. „Aber ich denke nicht, dass sie das tun, denn der Quantentunnel-Effekt ist entmystifizierend.”
Dieses Bedürfnis nach Klarheit ist auch eine wichtige Motivationsquelle für Hans-Joachim Blome bei seinen kosmologischen Forschungen. „Wir versuchen ins unbekannte Land der Geschichte des Kosmos einzudringen, die Beobachtungen nachzuprüfen, zu erweitern und zu deuten im Licht der Theorien. Das ist kein Glasperlenspiel, sondern eine alltägliche Methode – auch bei der normalen Experimentalphysik.” Auch Blomes irdischere Interessen sind mit denen für Kosmologie verwandt. So liebt er klassische und moderne Lyrik, die ja auf ihre Weise versucht, die Wirklichkeit darzustellen und zu erschließen. Und er bereist seit Jahren archäologische Stätten, die ein Bild unserer Stellung in der Welt im Kleinen begreiflicher machen, so wie es die Astrophysik im Großen tut. „Beeindruckt und fasziniert hat mich auch die Begegnung mit der bemannten Raumfahrt während meiner Zeit bei der NASA”, erinnert sich Blome, „vielleicht weil Astronomie und Raumfahrt das gleiche Ziel haben: Etwas über die Welt zu erfahren.” Heute unterrichtet er als Professor an der Fachhochschule Aachen angehende Raumfahrtingenieure, und er versteht es glänzend, den Impuls für das Interesse an den buchstäblich größeren Zusammenhängen auf seine Studenten zu übertragen. „Weltraumforschung und -technik sind Bereiche, die sich bei konkreten Raumfahrtprojekten immer verbinden. Das Vordringen ins unbekannte All wird wesentlich durch Satelliten-Teleskope unterstützt. Und diese Erkenntnissuche hat auch praktischen Nutzen. Mit der Relativitätstheorie kann man versuchen, den Kosmos zu verstehen – und hat mit ihr auch die unabdingbare Voraussetzung, um etwa mit Hilfe von GPS Satellitennavigation zu betreiben.” Beim Joggen kommen Blome viele Ideen für seine Forschung. Oft lässt er sich dabei durch Modellübertragungen von einem Bereich der Physik in einen anderen leiten. Diese sind für ihn geradezu ein Kennzeichen wissenschaftlicher Kreativität. „Es geht darum, mit vorhandenen Bildern andere Realitäten zu erfassen. Picasso hat einmal gesagt: ‚Ich male die Dinge nicht wie sie sind, sondern wie sie sein könnten.‘ So ähnlich funktioniert das auch in der theoretischen Kosmologie.” Anstelle eines radioaktiven Zerfalls wie bei Vilenkins Weltmodell hat sich Blome von angeregten Atomen inspirieren lassen, die in ihren Grundzustand zurückfallen und dabei Energie abstrahlen. „Der Übergang von einem frühen materiefreien Universum in einen Kosmos, der von Strahlung und Materie dominiert wird, ist vielleicht analog dem Übergang eines hochangeregten Atoms in seinen Grundzustand”, sagt der erfindungsreiche Physiker. „Bei diesem Übergang wird die Materie erzeugt, die wir kennen. Aber die Grundzustandsenergie ist nicht ganz verschwunden, sondern macht sich heute noch bemerkbar – als die schon 1917 von Einstein eingeführte Kosmologische Konstante.” Diese Energiedichte des Vakuums ist tatsächlich messbar und scheint als ominöse „Dunkle Energie” sogar dafür zu sorgen, dass die Ausdehnung des Universums heute immer schneller wird (bild der wissenschaft 6/1999, „Bis in alle Ewigkeit”). Zusammen mit Wolfgang Priester, Astrophysik-Professor an der Universität Bonn, hat Blome ein Weltmodell entwickelt, das sich als direkte Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie ergibt. Demnach war das Universum einst nur von der Energie des Quantenvakuums erfüllt und zog sich aus der Unendlichkeit zusammen. „Es durchlief ein Minimum, bei dem die Materie erzeugt wurde.” Dieses Minimum – von Priester und Blome „Big Bounce” und zuweilen ironisch auch „ Urschwung” genannt – ersetzt gewissermaßen die klassische Vorstellung vom Urknall als Anfang von allem, denn im Bounce entstand nur die Materie, Raum und Zeit dagegen existieren ewig. In diesem Modell beginnt die kosmische Ausdehnung mit einem Radius, der 100 Millionen Mal größer ist als die kleinste physikalisch mögliche Länge, die Planck-Länge (10-33 Zentimeter). „Unser Modell vermeidet die Anfangssingularität mit ihrer unendlichen Temperatur und Dichte und entkoppelt die Entstehung der Raumzeit-Geometrie von der Bildung der Materie”, erklärt Blome, fügt aber selbstkritisch hinzu: „Die Anfangsbedingungen werden dabei freilich quasi ins Unendliche zurückverlegt. Doch vielleicht ist das eine zu starke Idealisierung. Es könnte sein, dass für einen kontrahierenden Quantenvakuum-Kosmos die Begriffe Raum, Zeit und Implosion nicht mehr anwendbar sind. Diesen Fragen gehen wir derzeit nach.” Blome sprüht förmlich vor Ideen. Gegenwärtig tüftelt er an einer weiteren kreativen Modellübertragung: „Vielleicht lässt sich die Beschreibung der Bounce-Vorgänge noch verfeinern, wenn wir sie als quantenphysikalische Streuprozesse auffassen”, spekuliert er – inspiriert von der Analogie der Streuung von Protonen an anderen Protonen. „Unsere Hoffnung ist, mit diesem Ansatz vielleicht die heutigen Anteile von Materie und Dunkler Energie im Weltraum besser zu verstehen.” Mit den bereits bekannten Randbedingungen des frühen Universums und der Hypothese einer universellen blasenartigen Verteilung von Galaxien und vorgalaktischer Materie sagt das Big-Bounce-Modell voraus und erfordert, dass es keine signifikante Menge an exotischer Dunkler Materie gibt, wie viele Astrophysiker heute glauben – all die indirekt erschlossenen unsichtbaren Massen wären demnach Gaswolken, lichtschwache und erloschene Sterne, dass das Universum nicht 13, sondern knapp 30 Milliarden Jahre alt ist – was bislang durch keine Beobachtung widerlegt wird und überdies genügend Zeit für die Galaxienbildung lässt, die andere Theorien durch einen großen Anteil exotischer Dunkler Materie als „Schwerkraft-Keime” beschleunigen müssen, dass das Universum eine sphärische Geometrie hat und somit zwar grenzenlos, aber nicht unendlich groß ist. „Dem widersprechen die Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrahlung nicht”, meint Wolfgang Priester. Vor einigen Monaten sorgten verschiedene Messungen für Aufsehen, die auf ein „flaches”, das heißt ungekrümmtes Universum schließen lassen (bild der wissenschaft 6/2001, „Die flache Welt”). Lokal erscheint der Raum durchaus flach – „so wie für uns die Erdoberfläche”, sagt Priester. „Doch ein exakt flaches Universum ist extrem unwahrscheinlich.” Noch steht eine vollständige Theorie des Universums aber in weiter Ferne. „Die Vision, die ganze Welt aus den Naturgesetzen abzuleiten, mag so unerreichbar sein wie das Berühren des Regenbogens”, sagt Hans-Joachim Blome. „Aber darauf kommt es nicht an, sondern dass wir die Welt transparent machen im Licht der Wissenschaft und Mathematik.”
Kompakt
Einst galt der Urknall als absolute Erkenntnisgrenze, an der alle physikalischen Theorien scheitern. Heute fragen Kosmologen, wie es zum Urknall kam oder ob etwas davor geschah. In der Quantenkosmologie wird versucht, die Entstehung des Universums aus dem Nichts zu erklären. Denkbar ist aber auch eine unendliche Zeit vor unserer Zeit.
Rüdiger Vaas