Sensationell sieht die neue Wunderwaffe der Nanotechnologen nicht gerade aus: eher wie eine Kreuzung aus Latexhandschuh und Frischhaltefolie. Bei näherem Hinschauen erahnt man feine Linien in dem durchsichtigen Gummilappen, der in einer Petrischale im IBM-Forschungslabor in Rüschlikon bei Zürich liegt. Die Linien im Gummi sind nicht einmal 250 Nanometer dick.
Sensationell ist, was man mit ihnen machen kann: Das Relief im Gummi läßt sich – wie mit einem Stempel – auf einen Sili-ziumwafer übertragen, aus dem die Transistoren und Leiterbahnen von Mikrochips herausgeätzt werden. Die Millionen Komponenten auf den fingernagelgroßen elektronischen Schaltkreisen sind so winzig wie die Strukturen auf dem Stempel. 250 Nanometer sind allerdings erst der Anfang: In den Schränken des IBM-Labors lagern schon 80-Nanometer-Exemplare. Kein Wunder, daß die Hersteller von Computerchips auf die Nanostempel aufmerksam wurden: Die Strukturen in einem modernen Pentium-Prozessor sind heute mit 180 bis 250 Nanometer doppelt so dick.
Entwickelt wurden die Nanostempel Anfang der neunziger Jahre von Prof. George Whitesides von der amerikanischen Harvard Universität. Ein kleines Wissenschaftlerteam am IBM-Forschungslabor hat jetzt erstmals einsatzfähige Prototypen vorgestellt.
Das Prinzip der Erfindung ist genial einfach: Man stellt aus Silizium ein Negativ der gewünschten Chipstruktur her und füllt sie mit flüssigem Gummi. Die ausgehärtete Gummifolie wird abgezogen, mit Tinte getränkt und sanft auf das Halbleitermaterial gedrückt. In nur einer Sekunde haften die Moleküle der Tinte auf der Oberfläche und bilden eine Schicht, die nur eine einzige Moleküllage dick ist. In der Praxis nimmt man keine normale Tinte, sondern einen chemikalienresistenten Lack, und gibt den Chip in ein Ätzbad. An den gestempelten Stellen bleibt das Silizium stehen, an den nicht versiegelten Stellen dringt das Ätzmittel ein.
Dr. Bruno Michel, Leiter des Teams bei IBM, schätzt, daß der Stempel bis zu 1000mal wiederverwendet werden kann. Günstig für Chipdesigner ist, daß sie sehr große integrierte Schaltungen bauen können, weil es im Gegensatz zur heute üblichen Belichtung über optische Masken keine Verzerrungen an den Rändern der Chips gibt.
Ein Problem müssen die IBM-Forscher noch lösen: Moderne Mikrochips bestehen aus mehreren Schichten, weil die Millionen Transistoren und Verbindungen sonst keinen Platz hätten. Um solche Chips herzustellen, müßten verschiedene Stempel nacheinander exakt deckungsgleich aufgebracht werden, was bei der Feinheit der Strukturen ein mechanisches Problem ist.
Auch für die Anhänger der optischen Lithographie, bei der die Chipstruktur über eine Maske mit UV-Licht auf das Silizium projiziert wird, haben die Züricher Forscher etwas in petto. Bei ihren Experimenten entdeckten sie, daß das Silikon-Polymer, aus dem die Stempel gegossen werden, erstaunliche optische Eigenschaften hat: Es sammelt das Licht wie eine Linse und leitet es in die Erhebungen des Stempels wie durch kleine Lichtkanäle auf die Oberfläche des Halbleiters. Beim Eindringen in den Kunststoff verkürzt sich zudem die Wellenlänge des Lichts – eine Halbierung hält Bruno Michel für machbar.
Üblicherweise werden in der Chipfertigung Geräte eingesetzt, die die fotoreaktive Schicht auf dem Halbleiter mit UV-Licht von rund 250 Nanometer Wellenlänge belichten. Weil die Transistoren und Leiterbahnen auf dem Chip um so feiner sind, je kürzer die Wellenlänge des vom Belichter ausgesandten Lichts ist, können einfach durch Auflegen des Stempels deutlich dichter gepackte Chips gefertigt werden. Denkbar sind auch Hybrid-Stempel, die das Silizium in einem Aufwasch mit einem lichtempfindlichen Lack bedrucken und Belichten.
Im Gegensatz zur sanften Stempeltechnik ihrer IBM-Kollegen setzen Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Technische Physik an der Universität Würzburg auf rohe Gewalt. Mit Erfolg: Bei 140 Grad Celsius und einem Druck von rund 100 Bar pressen sie einen Silizium-Stempel 20 Minuten in eine Lackschicht. Der Prägestempel wird entfernt und der Chip mit Gold bedampft. Nach Entfernen des Lacks bleiben auf dem Siliziumträger Golddrähte zurück, die nur 25 Nanometer dünn sind. Trotz der hohen Belastung nutzen sich die filigranen Grate des Stempels auch nach Dutzenden von Prägeprozessen nicht ab – eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz in der Serienfertigung von Mikrochips.
In der Chipherstellung spielen die Erhebungen des Gummistempels die entscheidende Rolle. Sie tragen die Tinte auf, sammeln das Licht oder stanzen Lücken ins Material. Biochemiker sind dagegen eher an den Vertiefungen dazwischen interessiert. Bruno Michel und sein Team präsentierten im amerikanischen Fachmagazin Science einen einfach strukturierten Stempel, der über die Kapillarkräfte der Kanäle Immunglobulin auf einer Oberfläche aus Gold, Glas oder Kunststoff äußerst fein verteilt. Dokken mit einem Farbstoff markierte Antikörper an die Immunglobulin-Moleküle an, leuchten die Antikörper auf.
Der beschichtete Chip eignet sich als Biosensor: Die Immunglobuline funktionieren als Erkennungsmoleküle zum Beispiel für spezielle Viren, die aus Blut herausgefischt werden. Bisher existiert keine Möglichkeit, eine einzige Schicht von Erkennungsmolekülen gezielt auf bestimmten Regionen eines Sensors aufzubringen. “In ein bis zwei Jahren wird es die ersten Produkte geben”, sagt Bruno Michel.
Bei der Chipfertigung haben die IBM-Forscher etwas mehr Zeit. Für die nächste Chipgeneration reichen noch optische Belichtungsmethoden aus. Für die übernächste Generation, die Strukturen um die 100 Nanometer verlangt und in fünf Jahren kommen soll, sieht Michel gute Chancen für seine Stempel. Dann könnten die Hersteller absehen, ob sich die Investitionen für die neue Technik lohnen. Sie setzen große Hoffnungen auf die Stempel. “Vor kurzem waren wir noch allein, heute arbeiten vermutlich Hunderte von Leuten daran”, sagt Michel.
Bernd Müller