Die internationale Hotelkette Hilton gab vor kurzem bekannt, an Plänen für den Bau eines Fünf-Sterne- Hotels mit 5000 Betten auf dem Mond zu arbeiten. Auch die japanischen Konzerne Shimizu, Nishimatu und Obayashi haben angeblich schon große Summen in futuristische Mondprojekte investiert. Selbst wenn „Lunar Hilton” nur ein Reklamegag war, weil noch kein Reisebüro eine Pauschalreise zum Erdtrabanten im Katalog hat, steht die Ankündigung doch für die Möglichkeit eines neuen, aufstrebenden Wirtschaftszweigs im 21. Jahrhundert: den Weltraumtourismus.
„Wir sind an der Schwelle, das Weltall zu demokratisieren”, glaubt Buzz Aldrin, der 1969 nach Neil Armstrong als zweiter Mensch den Mond betreten hat. Mit seiner Firma ShareSpace will er das Weltall als Reiseziel attraktiver machen. „Wir brauchen nur die moderne Raketentechnologie zu nutzen und ein Flugzeug darum herum zu bauen.”
„Ich denke, daß wir im nächsten Jahrhundert in Raketen steigen werden wie heute in Flugzeuge”, ist auch John W. Young überzeugt, der mit Apollo 16 den Erdtrabanten besuchte. „Wir werden Urlaub auf dem Mond machen.”
Das wird zwar noch eine Weile dauern, aber die ersten Tagesausflüge in die Weltraumnacht könnten schon in einem Jahrzehnt möglich sein (bild der wissenschaft 7/1999, „Urlaub im Space Hotel”). Zumindest lautet so das Ziel der japanischen Firma Kawasaki, die an der Entwicklung eines Touristentransporters arbeitet: Das patronenförmige, wiederverwendbare, 24 Meter hohe Gefährt, das senkrecht starten und landen wird, soll 50 bis 60 Passagiere für ein paar Stunden in den erdnahen Raum bringen. Anvisierter Ticketpreis: 300000 Dollar pro Passagier. Diese Summe ist zwar immer noch astronomisch, aber durchaus im Rahmen mancher Kreuzfahrten – und ein Spottpreis im Vergleich zu den 20 Millionen Dollar, die heute noch für den Start eines einzigen Astronauten investiert werden müssen.
Fest steht, daß viele Menschen hoch hinaus wollen. 70 Prozent der Japaner sind an einem Abstecher ins All interessiert, 10 Prozent würden bis zu drei Jahresgehälter dafür bezahlen. In den USA sind es 60 beziehungsweise 2,7 und in Deutschland 43 beziehungsweise 1 Prozent, weiß Sven Abitzsch von der Technischen Universität Berlin durch eine Marktstudie.
Im extraterrestrischen Raum schlummert also ein enormes Potential. Das beweisen auch zehn Millionen Weltraumtouristen in den USA: So viele besuchen nämlich jedes Jahr die Raumfahrtmuseen, NASA-Zentren und Raketenstarts und sorgen für einen Umsatz von einer Milliarde Dollar. Nach Schätzungen des World Travel Tourism Council übersteigen die globalen Ausgaben für Urlaub und Reisen jährlich 3,4 Billionen Dollar. Die staatlichen Jahresbudgets für die zivile Raumfahrt betragen zusammen nicht einmal ein Prozent dieser Summe. Würden längerfristig nur wenige Prozent der Umsätze des irdischen Tourismus-Marktes in künftige Himmelfahrtskommandos investiert, könnten die gegenwärtigen Raumfahrtbudgets verdoppelt werden. Bei entsprechender Infrastruktur halten es Experten für möglich, daß in ein paar Jahrzehnten etliche 10000 Menschen pro Jahr mit Raumgleitern für 50 bis 100 Personen ins All durchstarten – für weniger als 100000 Dollar pro Person. NASA-Chef Daniel Goldin sprach 1998 erstmals öffentlich über Weltraumtourismus.
Gesundheitliche Probleme sind kaum zu befürchten, meint Fabian Eillingsfeld von der TU Berlin. Der Flug des 77jährigen Ex-Astronauten und US-Senators John Glenn hat 1998 bewiesen, daß selbst ältere Menschen ohne langjährige Vorbereitung weltraumtauglich sind. Und der erste Tourist war bereits 1985 im All. Für eine unbekannte Summe durfte der arabische Sultan Bin Salman al-Saud an Bord einer Space Shuttle mitfliegen. Mit einem Kabinenmodul im Transportraum der Shuttle könnten 74 Passagiere zu einer Art Busfahrt in die Schwerelosigkeit mitgenommen werden. Bei zwölf Flügen jährlich sind die Kosten dafür auf knapp vier Millionen Dollar pro Fluggast beziffert worden (Stand 1997). Kurze Abstecher in die Hochatmosphäre oder ein paar Erdumkreisungen werden erst der Anfang sein. Schon jetzt gibt es zahlreiche Pläne für Weltraumhotels. Anfang der neunziger Jahre sorgte die japanische Baufirma Shimizu mit einer Orbitalstation für Aufsehen, die in 450 Kilometer Höhe um die Erde kreisen und etwa 100 Gästen Platz bieten soll. Sie hätte eine Masse von etwa 8000 Tonnen und bestünde aus einer 240 Meter langen Zentralachse, um die herum die Wohn- und Arbeitsräume entlang eines Rings mit 140 Meter Durchmesser gebaut würden. Auf absehbare Zeit sind solche Gigantomanien aber weder technisch noch finanziell realisierbar.
Bescheidenere Ausmaße hat das „Weltraumhotel Berlin”, das beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt angedacht wurde. Es beruht auf heutiger Technologie und könnte bis zu 50 Gäste beherbergen. Es würde aus modifizierten Besatzungsmodulen, wie sie bei der Internationalen Raumstation Verwendung finden, zu einer Art Rad zusammengebaut. Um beispielsweise in die Flitterwochen ins All abzuheben, reicht freilich Luft und Liebe für jungvermählte Paare nicht aus: Eine mindestens fünfstellige Summe wird der himmlische Spaß schon kosten – pro Tag für eine enge, unromantische Kabine.
Doch Aussicht und Schwerelosigkeit entschädigen für manche Unbequemlichkeit. Ganz neue Formen der Unterhaltung und des Freizeitsports werden entstehen, zum Beispiel neuartige Ballspiele. Nach „Hotel Space” steht der Mond ganz oben auf dem Wunschzettel für Weltraumhungrige. Die erste Warteliste hat das Reisebüro Thomas Cook bereits 1954 unter dem Namen „Moon Register” eröffnet. Christiane Wronski, Public-Relations-Managerin der deutschen Niederlassung, hat den Service 1992 neu belebt und bereits Tausende Anmeldungen entgegengenommen.
Selbst Reiseführer zum Mond sind schon im Buchhandel erhältlich. Der Holländer Carl Koppeschaar hat 1993 den ersten veröffentlicht. Seit 1997 gibt es auch in deutscher Sprache ein hübsches Büchlein mit dem Titel „Reisen zum Mond”. Werner Küstenmacher, hauptberuflich als Pfarrer himmlischen Dingen nicht abgeneigt, schildert darin den Trip zum Mond – Vorbereitung, Anreise, Ausflüge und Rückkehr – so plastisch, als wäre er eben erst zurückgekommen. „Sobald eine Mondbasis in Angriff genommen wird, wird es nach ein paar Jahren auch Mondtourismus geben”, ist Küstenmacher überzeugt. „Am Anfang werden das Journalisten sein, die von einem Medienkonzern oder einem TV-Kanal bezahlt werden. Oder schwerreiche Abenteurer und Exzentriker. Die nächsten Mondfahrer sind dann vielleicht Gewinner von medienwirksamen Preisausschreiben. Aber eines Tages auch verhältnismäßig normale Reisefreaks, die sich einen langgehegten Traum erfüllen wollen.”
„Zwölf Menschen waren auf dem Mond, wann brechen Sie auf?”, wirbt der Slogan einer internationalen Gesellschaft unter dem Namen Artemis. Die Grundidee des kommerziellen Unternehmens ist, eine Mondstation vollständig privat zu finanzieren, und jeder kann sich daran beteiligen. „Ich denke, wir können einen Menschen für etwa 1,5 Milliarden Dollar zum Mond bringen. Und wir werden es versuchen”, sagt Gregory Bennett. 1,5 Milliarden Dollar – das ist etwa ein Prozent der Gesamtkosten des Apollo-Programms von 1961 bis 1972, wenn man die Preissteigerung seither berücksichtigt. Bennett arbeitet am Bau der Internationalen Raumstation ISS mit und hat die Artemis Society sowie die Firma Lunar Development Corporation gegründet. Er glaubt, daß eine Mondbasis sich auch wirtschaftlich rentiert. „Der Disney-Konzern ist größer als NASA. Disneys jährlicher Profit übertrifft das Budget der ISS.” Bennett hofft, die Investitionen durch Werbung, eine Lotterie, die Unterhaltungsindustrie und kommerzielle Aufträge – auch für wissenschaftliche Institutionen – wieder hereinzuholen.
Reizvoll wären auch ferngesteuerte Autorennen über die Kraterlandschaft. Denn der Mond bietet eine prächtige Kulisse: Sogar Hollywood könnte Filme auf dem Mond drehen. Außerdem wäre der Mond ein Reiseziel, das wirklich neue Horizonte eröffnen würde. Bennett spekuliert bereits über kommerzielle Mondreisen im Jahr 2025. In seiner Phantasie schweben Touristen schon mit Gondelbahnen zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten, beispielsweise zu den Landestellen der Apollo-Missionen.
„Der Landeplatz der ersten bemannten Mondfähre am Rande des Mare Tranquillitatis ist ein streng abgesperrter Bereich, der von den Amerikanern verständlicherweise als Wallfahrtsort ersten Grades vermarktet wird”, malt es sich Werner Küstenmacher aus. „ Neil Armstrongs erste Fußabdrücke werden mit einer Plexiglasscheibe vor Zerstörung durch Schaulustige geschützt sein.”
Der Sport bekäme bei der geringen Schwerkraft eine neue Dimension. Auch wenn Low Gravity Olympics mit Mountainbike-Rennen und Weitsprung-Wettbewerben noch eine Weile auf sich warten lassen müssen, hat Apollo-17-Astronaut Jack Schmitt immerhin die ersten Ballettsprünge geprobt. Und Apollo-14-Astronaut Alan Shepard übte sich im Abschlagen von Golfbällen. Bennett hat noch viel kühnere Visionen: Lavahöhlen, die es vermutlich unter der Mondoberfläche gibt, könnten versiegelt und mit Luft vollgepumpt werden. Manche dieser Höhlen sind so groß, daß sie Raum für ganz neue Freizeitaktivitäten bieten – beispielsweise für Schlittschuhlaufen. „Bei einem Sechstel der Erdenschwere wäre es auch ein riesiger Spaß, dort mit Flügeln durchzufliegen”, meint Bennett.
Für Küstenmacher ist der Mond konkurrenzlos: „Der Mars wird nie ein Urlaubsziel sein können, weil man dafür einfach nicht genug Urlaub bekommt. Er ist eine Lebensaufgabe, der man mindestens drei Jahre widmen muß. Dazu kommt der geringe Unterhaltungswert während des langen Flugs. Und auf dem Mars hat man das Beste vom Mond nicht: den wunderschönen Blick auf die Erde.”
Rüdiger Vaas