Verstädterung, Industrialisierung und Massentourismus haben die Alpen in den letzten 40 Jahren extrem verändert. Mit scheinbar paradoxer Folge: Die Bevölkerung wandert weiträumig ab – Äcker und Bergwiesen veröden, Büsche und Wälder kehren zurück.
1951 lebten im italienischen “Val Vogna” noch 130 Menschen. Heute hat das sieben Kilometer lange Alpental nur noch 31 Bewohner. Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in anderen Tälern im italienischen Piemont und in Ligurien sowie in den südfranzösischen Alpen, wie der Erlanger Geographie-Professor Werner Bätzing in seiner aktuellen Studie “Der Alpenraum zwischen Verstädterung und Verödung” feststellt.
Ganz entscheidend für Aufstieg oder Niedergang einer Region ist die Verkehrsanbindung. Rechts und links von den immer leistungsfähigeren Verkehrsachsen wird die Wirtschaft angekurbelt und die Bevölkerung nimmt zu. Längs der Brennerautobahn etwa zieht sich ein Streifen der Verstädterung durch das Gebirge. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich im Rheintal an der Zufahrt zu den Bündner Pässen sowie am Gotthard-, Simplon- und Mt. Blanc-Tunnel. Auch am Alpenrand verschmelzen die Städte – so zwischen Varese und Verona. Der Boom erfaßt 60 Prozent der Fläche der Alpenregion.
In den ländlichen Regionen dagegen – vor allem in den schlecht erreichbaren Höhenlagen – bricht die Wirtschaft aus Bauerntum, Handwerk und Bergbau zusammen und mit ihr eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur. Nur dort, wo der Tourismus ein Zusatzeinkommen garantiert, bleibt die Bevölkerung nahezu intakt.
Die Alpen als einheitlichen Wirtschaftsraum gibt es nicht, folgert Geograph Bätzing. Er glaubt, daß den Bergbauern in den entlegenen Regionen mit Subventionen nicht mehr zu helfen ist. Statt dessen fordert er den Wiederaufbau einer dezentralen Wirtschaft: So könnten etwa Sägewerke und Tischlereien den Rohstoff Holz nutzen.
Traditionelles Handwerk und Gewerbe aber genügen nicht, um die Bergbauernhöfe wirtschaftlich stark zu machen. Die Idee des Erlanger Professors: Vernetzung der Dörfer und Städte durch Datenleitungen und Telearbeit per Computer.
Roland Knaur