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Gekochte Partisanen

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Gekochte Partisanen
Kleinstlebewesen in den Poren des Flaschenkorks verpassen manch gutem Tropfen einen muffigen Ton. Jetzt winkt ihnen das verdiente Ende.

Pilze und Bakterien wohnten bislang so sicher wie in Abrahams Schoß in den luftgefüllten Poren, aus denen Naturkork besteht. Weder das Kochen des Korkholzes noch der fertigen Flaschenkorken kann den Mikroorganismen den Garaus machen. Schlimmer noch: Sie vermehren sich manchmal sogar explosionsartig bei den maximal 50 Grad Celsius, die beim Sterilisieren im Korkkern erreicht werden. Die Folgen treiben jedem Weinliebhaber das Wasser in die Augen: Muffige, schale, brandige Untertöne schlagen dem Verbraucher nach dem Öffnen etwa jeder 20. Weinflasche entgegen. Was da “nach Kork” riecht oder schmeckt, sind Stoffwechselprodukte – beispielsweise aus der chemischen Familie der Sesquiterpene -, die von den mikrobiellen Partisanen im Flaschenkork herrühren. Der erhoffte gute Tropfen ist dann hinüber. Der jährliche Schaden durch Korkfehltöne im Wein übersteigt weltweit eine Milliarde Mark. Doch Weinzähne in aller Welt können getröstet ins 3. Jahrtausend blicken: Es ist Rettung in Sicht. In diesen Wochen wird beim Korkveredler Rudolf Ohlinger im pfälzischen Fußgönheim, nahe Ludwigshafen, eine Anlage installiert, die den Mikroben künftig gewaltig einheizt. Sie ist das Ergebnis gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Firma Ohlinger, weiterer privatwirtschaftlicher Partner sowie der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt für Weinbau (SLFA) in Neustadt an der Weinstraße.

SLFA-Mitarbeiter Dr. Jens Jäger erinnert sich nicht mehr genau, wann er und seine Kollegen während des seit 1993 laufenden, EU-geförderten Forschungsprojekts auf den Dreh kamen. “Irgendwann hatten wir die Idee: Wir probieren es mal mit Mikrowellen. Wir waren sehr überrascht, wie gut das funktionierte. Die Mikroorganismen im Korkinneren wurden zerstört – und darüber hinaus die übelriechenden Stoffwechselprodukte herausgeheizt.” Jeder, der ein Mikrowellengerät zu Hause in der Küche stehen hat, kennt deren wirkungsvollen Heizeffekt. Elektromagnetische Wellen bringen – am stärksten in der Mitte des Innenraums – die Wassermoleküle des Kochguts zum Rotieren. Mit anderen Worten: Es wird heiß. Auch den bislang unerreichbaren Kork-Bewohnern: Das Wasser in ihren Zellen siedet. Auf dem Labortisch der Neustädter Forschungsanstalt tat’s eine Haushaltsmikrowelle. Für einen industriellen Einsatz sind freilich in Größe und Leistungsfähigkeit andere Kaliber gefragt, das war den SLFA-Pflanzenmedizinern klar. Ein Bummel über die Chemiemesse Achema brachte Jäger und seinem Team die nächste gute Idee. “Da haben wir einen Tunnelofen gesehen und uns gesagt: Das wäre doch der richtige Ansatz.” Ein Tunnelofen ist ein ummantelter Kanal mit Vorheiz-, Heiz- und Abkühlzone. Nach dem Förderbandprinzip durchläuft ihn kontinuierlich das Material, das im Kanal getrocknet oder geglüht werden soll – beispielsweise Porzellan oder Ziegel. In Zusammenarbeit mit einem Anlagenbauer wagten die Forschungspartner den Schritt in die technische Realisierung. Ende 1997 stand ein Prototyp, der seitdem auf Tournee quer durch Europa ist. “Die Korkproduzenten, vor allem in Portugal und Spanien, sind begeistert”, freut sich Jäger. “Die Anlage fertigt sehr reine, neutral riechende Korken.”

Auch ein zugkräftiger Name für das Mikrowellen-Verfahren ist inzwischen gefunden: “Delfin”, eine Zusammensetzung aus den Anfangsbuchstaben von Direct Environmental Load Focussed Inactivation (direkt auf Umweltbelastungen gerichtete Inaktivierung). Sechs bis sieben Delfin-Anlagen sollen im Jahr 2000 produziert und bei mehreren europäischen Korkproduzenten aufgestellt werden. Zwei Anlagen führen noch 1999 die Liste an – die erste, in Fußgönheim, ist ein Koloß mit 70 Mikrowellen-Generatoren. Das könnte zum Befreiungsschlag für die Naturkork-Branche werden. Denn auch hier schläft die Konkurrenz nicht. Korken aus Kunststoff drängen seit einigen Jahren verstärkt auf den Weinmarkt. Kleine Marktnischen existieren bereits für Schraubverschlußflaschen, Tetrapacks und Kartons mit eingebauten Weinschläuchen aus Kunststoff. Hygienische Bedenken gegen diese konkurrierenden Verpakkungsvarianten bestehen nicht, versichern die Neustädter Experten. Bei einfachen Weinqualitäten hat Naturkork etwa dem Schraubverschluß nichts voraus. Erst bei edelsten Kreszenzen, die 50 Jahre und mehr lagern sollen, spielt der Naturkork seine Stärke aus, das Flascheninnere besser zu belüften. Aber bis dahin hat ohnedies der Makroparasit Mensch den meisten Flaschen den Garaus gemacht.

Thorwald Ewe

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