Als junger Assistenzarzt hatte Stanley B. Prusiner Anfang der siebziger Jahre miterleben müssen, wie eine Patientin an der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit (CJD) starb. Bei diesem Leiden geht die Zerstörung des Gehirns einher mit dem Verlust der Bewegungskoordination sowie der geistigen Fähigkeiten. Der Auslöser für diese bis heute unheilbare Krankheit war zu jener Zeit rätselhaft. Zwar verdächtigte man einen langsam wirkenden Virus, konnte ihn aber nicht nachweisen. Das entfachte Prusiners Ehrgeiz.
“Mit jugendlichem Optimismus nahm ich mir damals vor, das Geheimnis zu lüften und baute 1974 dazu ein Labor an der Medizinischen Fakultät in San Francisco auf”, erinnert er sich. Im Tierversuch gelang es Prusiner schließlich, den mutmaßlichen Erreger zu isolieren. Es handelte sich um eine bestimmte Sorte von Eiweißmolekülen, die Prusiner “Prionen” nannte – eine Abkürzung für “proteinaceous infectious particles” (bild der wissenschaft 11/1990, “Die Jagd nach den Prionen”).
Doch alle Versuche, körperfremde Erbsubstanz nachzuweisen, schlugen fehl. Zudem ließ sich das infektiöse Hirngewebe nicht mit ultravioletter Strahlung oder Chemikalien unschädlich machen, welche die Erbsubstanz zerstören, wohl aber mit Substanzen, die Proteine abbauen. Nach achtjährigen Forschungen folgerte Prusiner 1982, daß nicht etwa vermehrungsfähige Viren, sondern allein Prionen CJD verursachen. Diese Hypothese war so ketzerisch, daß “die gesamte Fachwelt auf ihn eindrosch”, wie es ein Kollege einmal formulierte.
Doch wie können sich krankmachende Prionen vermehren? Die Untersuchungen zu dieser Frage führten zu Prusiners zweiter Hypothese, mit der er ebenfalls biologisches Neuland betrat. Es stellte sich nämlich heraus, daß Prionen körpereigenen Eiweißmolekülen in den Membranen von Nervenzellen gleichen, aber eine veränderte räumliche Gestalt aufweisen (bild der wissenschaft 9/1996, “Der Wahnsinn hat Falten”). “In Analogie zu einem berühmten Beispiel aus der Literatur kann das normale Protein mit dem freundlichen Dr. Jekyll verglichen werden und das krankmachende Prion mit dem gefährlichen Mr. Hyde”, beschrieb das Nobelkomitee diese Entdeckung.
In Zusammenarbeit mit zahlreichen Kollegen entdeckte Prusiner, daß die krankmachenden Prionen die Normalform der körpereigenen Prionen dazu bringen können, sich so zu verwandeln, daß sie selbst zu krankmachenden Prionen werden. Das kann eine fatale Kettenreaktion in Gang setzen, die zu einer großräumigen Zerstörung bestimmter Hirnbereiche führt. Unter dem Mikroskop erscheint das befallene Gewebe regelrecht durchlöchert. Dieser Befund brachte dem Krankheitsbild den Namen Spongiforme Enzephalopathie (schwammartige Hirnerkrankung) ein. Dazu gehören neben CJD beim Menschen auch die Traberkrankheit (Scrapie) bei Schafen und die als “Rinderwahn” in die Schlagzeilen gekommene Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) bei Rindern.
Daß die Prionen die Artgrenzen überwinden können, ist mittlerweile erwiesen. Ungeklärt ist nur, wie häufig und wie schnell eine Ansteckung erfolgt (bild der wissenschaft 6/1996, “Warten auf die Statistik”). Auch vor dem Menschen machen die BSE-Prionen nicht halt, wie die im Oktober in der renommierten Fachzeitschrift “nature” veröffentlichten Untersuchungen zweier britischer Forschergruppen gezeigt haben.
Wodurch genau die Fehlfaltung der Proteine verursacht wird, ist noch rätselhaft. Mittlerweile steht aber fest, daß die tödliche Kettenreaktion nicht nur durch infektiöses Gewebe ausgelöst werden kann, sondern daß manchmal auch eine genetische Veranlagung körpereigene Proteine dazu bringt, sich in die gefährliche Form der Prionen umzuwandeln.
Die mißgestalteten Moleküle bewirken also nicht nur übertragbare Krankheiten, sondern spielen auch bei bestimmten Erbkrankheiten eine Rolle, beispielsweise bei der letalen familiären Insomnie – einer schweren Schlafstörung mit anschließendem Schwachsinn. Auch CJD ist mitunter erblich bedingt. “Eine solche zweigleisige Wirkungsweise eines Agens kennt die Medizin sonst nicht”, kommentiert Prusiner seinen dritten Meilenstein.
Prusiners Pionierarbeit hat den Weg zum Verständnis einer neuen Art von Krankheiten gebahnt. Die bisweilen heftige Kritik ertrug er mit großer Hartnäckigkeit und ersann immer neue Experimente, um seine Hypothese zu überprüfen. “In letzter Zeit mehrten sich die Hinweise, die für die Prionen-theorie sprechen. Sie sind inzwischen geradezu erdrückend”, sagt der Biophysiker Prof. Detlev Riesner von der Universität Düsseldorf, einer der führenden deutschen Prionenforscher.
Aufschlußreich war vor allem eine Versuchsreihe, die der Molekularbiologe Prof. Charles Weissmann und seine Mitarbeiter an der Universität Zürich durchgeführt haben. Als sie bei Mäusen das Gen für die Bildung des normalen Prion-Proteins entfernten, dessen Funktion noch unbekannt, aber anscheinend nicht lebensnotwendig ist, entdeckten sie, daß diese Mäuse gegen den Scrapie- oder BSE- Erreger immun sind (bild der wissenschaft 3/1994, “Prionen: Katalysator des Wahnsinns”). Obwohl man auch heute noch nicht definitiv weiß, ob nicht doch irgendwelche Kleinstviren am Werk sind, ist die Mehrheit der Fachleute mittlerweile von Prusiners Idee überzeugt.
Die Beharrlichkeit von Prusiner hat sich gelohnt, wie die wissenschaftliche Krönung durch den mit 1,7 Millionen Mark dotierten Medizin-Nobelpreis jetzt beweist, den er – erstmals seit 1987 – sogar ganz alleine erhält.
Der ultimative Beweis für die Prionentheorie steht allerdings noch aus: zu zeigen, daß sich normale Prionen sowohl von selbst als auch durch die krankmachenden Prionen unter garantiert virenfreien Bedingungen im Reagenzglas zu infektiösen Prionen umwandeln können.
Rüdiger Vaas