Die Sonne macht es uns täglich vor: Sie gewinnt Energie aus Kernfusion. Die vielfache Verschmelzung zweier leichter Atomkerne zu einem schwereren ist eine unerschöpfliche Energiequelle. Seit Jahren arbeiten Physiker und Ingenieure daran, diesen Prozeß auf der Erde nachzuahmen.
Doch die Wissenschaftler rechnen damit, daß er frühestens in etwa 50 Jahren anwendungsreif ist – vorausgesetzt, Politiker stellen genügend Geld für die Forschung bereit. Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart hat jetzt untersucht, wie die Bevölkerung zu dem Ausbau der Fusionstechnologie steht. Denn die öffentliche Meinung beeinflußt wesentlich die politischen Entscheidungen.
Dabei verzichteten die Akademie-Wissenschaftler Gerhard Keck, Florian Lattewitz und Georg Hörning auf eine repräsentative Umfrage. „Weite Teile der Bevölkerung wissen überhaupt nichts über Fusionsenergie und können deshalb dazu auch nicht Stellung nehmen”, begründet Ingenieur Hörning. Statt dessen wählten die Wissenschaftler eine Methode der Sozialforschung, mit der sich voraussagen läßt, auf welche Widerstände eine neue Technologie treffen könnte.
In sogenannten Fokusgruppen versammelten sie jeweils acht bis zwölf Menschen mit bestimmten Gemeinsamkeiten – eine Gruppe bestand zum Beispiel aus Kulturschaffenden, eine aus Vertretern von Umweltverbänden und eine aus Journalisten. Die Wissenschaftler informierten die Teilnehmer zunächst über Prognosen für den künftigen Energiebedarf, über die Vor- und Nachteile der Fusionsenergie sowie über alternative Technologien. Danach diskutierten die Gruppen 90 Minuten lang unter Leitung eines Moderators. Akademie-Mitarbeiter nahmen die Gespräche auf Video auf und dokumentierten so die unterschiedlichen Positionen der Teilnehmer und ihren weiteren Informationsbedarf. Die meisten Diskussions-teilnehmer waren skeptisch gegenüber einer weiteren Förderung der Kernfusionstechnologie. Sie knüpften ihre Zustimmung an Bedingungen. So forderten sie, daß die Fusionsenergie in ein Energiekonzept eingebunden wird, das die regenerativen Energiequellen stärker berücksichtigt. Außerdem verlangten sie von den Fusionsforschern, den Finanzbedarf schon heute realistisch einzuschätzen. Später sollen die Forscher dann keine Nachforderungen mehr erheben dürfen.
Allerdings schloß sich eine Gruppe der Mehrheitsmeinung nicht an: Die Wissenschaftsjournalisten waren allesamt mit einer weiteren Förderung einverstanden, ohne Bedingungen zu stellen. Hörning und seine Kollegen sind überzeugt, daß mit Hilfe von Fokusgruppen auch die Akzeptanz anderer Zukunftstechnologien gut untersucht werden kann.
Swantje Middeldorff