Der Klimawandel bewegt die Gemüter. Während viele Menschen die Folgen der globalen Erwärmung fürchten, wettern andere gegen die vermeintliche Panikmache. Die Leserbriefe, die nach jedem Klima-Beitrag die bdw-Redaktion erreichen, belegen, wie emotional das Thema aufgeladen ist. Nur harte Fakten können den Disput in ruhigere Bahnen lenken. Und dabei sind vor allem Physiker gefordert. „Als Wissenschaftler, die sich auf experimentelle Tatsachen berufen und die nötigen Methoden zur Verfügung haben, um Daten zu erheben und zu prüfen, leisten Physiker einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion”, sagt Wolfgang Sandner. Der Laserphysiker ist Direktor am Berliner Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie sowie Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG).
Es waren Physiker, die den Treibhauseffekt und die globale Erwärmung entdeckten und wissenschaftlich erklärten – ebenso wie die statistischen Unsicherheiten, die aus einer erdgeschichtlich kurzen Beobachtungsphase resultieren. Und es waren vor allem Physiker, die seit den 1980er- Jahren zahlreiche klare Belege dafür fanden, dass der Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre steigt und dass dazu menschliche Aktivitäten maßgeblich beitragen. Die Klimaforschung fördert weltweit immer neue Zusammenhänge zu Tage. Doch nicht nur dabei stehen die Physiker an vorderster Front, auch zur Lösung anderer globaler Probleme leisten sie wichtige Beiträge. „Die Physik wird heute nicht mehr als Einzelwissenschaft wahrgenommen”, meint DPG-Präsident Sandner. „Immer häufiger wird auch danach gefragt, welche Beiträge sie für die großen Herausforderungen der Gesellschaft leisten kann.”
Ohne Physik keine Energie
Ein Beispiel ist die Suche nach dem besten Weg zu einer sauberen und nachhaltigen Energieversorgung. Egal, welche Energieform man betrachtet – ohne die Physik kommt man nicht aus, wobei die Energiedebatte zusätzlich eine beträchtliche gesellschaftliche und politische Dimension hat. Das zeigt die aktuelle Diskussion um die Gefahren der Kernenergie, selbst wenn in Deutschland Einigkeit über deren langfristige Abschaffung besteht. „In anderen Ländern sieht man das anders, weshalb man international nicht auf Konzepte zur weiteren Minimierung des Risikos verzichten kann”, sagt Sandner. Bis in Zukunft die regenerativen Energien auch die Grundlast der Energieversorgung übernehmen können, ringen andere Physiker um eine Verbesserung des Wirkungsgrads von Kohle- und Gaskraftwerken. Sie verfolgen das Ziel, wenigstens deren Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) zu verringern – mit Erfolg: So ist der Wirkungsgrad von neuen Braunkohlekraftwerken dank physikalisch-technischer Kniffe seit den 1960er-Jahren von 30 auf rund 45 Prozent gestiegen. Moderne Gas-und-Dampf-Kraftwerke kommen sogar auf 60 Prozent.
Ein Schwerpunkt der physikalischen Energieforschung liegt auf der Nutzung der Sonnenenergie. Etwa am Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE): Die Forscher dort stellen mit ihren Solarzellen seit Jahren immer neue Weltrekorde auf. 2009 vermeldeten sie einen Wirkungsgrad von 41,1 Prozent bei der Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie in einer Mehrfachsolarzelle. Der Wirkungsgrad kommerziell erhältlicher Solarzellen ist von solchen Rekordwerten allerdings noch weit entfernt: Er liegt bei maximal rund 20 Prozent. Im Fokus der physikalischen Forschung stehen Dünnschichtsolarzellen, die die Energie des Sonnenlichts in einer wenige Mikrometer dünnen Schicht einfangen. Sie besteht häufig aus Silizium, Kadmiumtellurid oder einer Verbindung aus Kupfer, Indium, Gallium und Schwefel oder Selen (CIGS).
Doch die Forscher sind auf der Suche nach neuen, besseren Werkstoffen. Im Visier haben sie etwa „Schwarzes Silizium”, dessen Oberfläche mit winzigen Nadeln besetzt ist. Diese Nadeln absorbieren das Sonnenlicht besonders stark und leiten es ins Silizium hinein. Künftige Solarzellen aus Schwarzem Silizium versprechen hohe Wirkungsgrade. Die meisten Experten sind sich einig, dass auf lange Sicht alternative Energiequellen wie Sonne, Wind, Erdwärme und Biomasse den Löwenanteil der Energieversorgung stemmen werden – und dass elektrischer Strom als Energieträger enorm an Bedeutung gewinnen wird. Doch über den richtigen Weg dorthin gibt es kontroverse Diskussionen. Die DPG nahm das zum Anlass für eine Studie, die alle relevanten Ansätze zum Gewinnen, Übertragen und Speichern von Energie aus physikalischer Sicht analysiert. „Ziel war es, naturwissenschaftliche Fakten als Basis für die Diskussion über eine nachhaltige Energieversorgung bereitzustellen”, sagt DPG-Präsident Sandner. Die Fakten zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, sieht er als Aufgabe für Gesellschaft und Politik. Wo sie Fehleinschätzungen und falsche Akzente erkennen, nehmen die deutschen Physiker dennoch kein Blatt vor den Mund. So haben sie verschiedene Modell-Szenarien bei der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) durchgerechnet, um zu ergründen, ob man Technologien als solche oder besser deren Einspareffekte subventionieren sollte. KWK ist dafür ein gutes Beispiel, denn sie verknüpft das Gewinnen von elektrischer Energie mit der von Wärme, außerdem gilt sie als gute Option, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren – und sie wird in Deutschland finanziell gefördert. Interessanterweise ergaben physikalische Analysen, dass die KWK gegenüber einer separaten Erzeugung von Elektrizität und Wärme nicht immer Vorteile bringt. Subventionen, so die Folgerung der DPG-Physiker, sollten daher nur für nachweisbare Spareffekte bei Energieverbrauch und CO2-Ausstoß fließen, wenn sie ihr Ziel erreichen sollen.
Kein Sparen bei der Forschung
Glücklicherweise sieht DPG-Chef Wolfgang Sandner einen wachsenden Stellenwert physikalischer Erkenntnisse bei Politikern jeder Couleur: „Wir führen regelmäßig Gespräche mit Spitzenpolitikern”, berichtet er. Ein Zeichen für das Ansehen von Wissenschaft und Forschung erkennt Sandner darin, dass dieser Bereich bei den Sparrunden wegen der Finanzkrise 2009 von Kürzungen ausgenommen wurde. Immerhin steht mit Angela Merkel eine promovierte Physikerin an der Spitze der deutschen Regierung. „Dennoch ernten wir in den täglichen Gesprächen noch viel Unverständnis”, sagt Sandner. Vor allem Wirtschafts- und Sozialpolitiker setzen bisher kaum auf physikalisches Wissen oder Methodik. Der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik ist in diesem Bereich recht dünn. Dabei gibt es klare Verbindungen: Viele Methoden, mit denen Physiker und Ökonomen die Welt beschreiben, ähneln sich – etwa Phasendiagramme und statistische Modelle. Damit versuchen Wissenschaftler seit einigen Jahren, naturwissenschaftliche Methoden auf ökonomische Systeme wie die Finanzmärkte anzuwenden.
Häufig ist die Disziplin von DPG-Präsident Sandner – die Laserphysik – gefragt, wenn es um innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen geht. Seit 1960 das erste Laserlicht aufblitzte, haben Laser die Forschung, Fertigung und Alltagstechnik revolutioniert (siehe bdw 5/2010, „Weltmacht Licht” ). Und der Trend hält an, ist Wolfgang Sandner überzeugt – etwa in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Photonen lassen sich nutzen, um extrem kleine und schnelle Bauelemente zu schaffen, die mit Licht statt mit Elektronen arbeiten. „Wir erleben gerade eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des Lasers hinein in den Bereich der Nanotechnologie”, schwärmt Sandner.
Viren unter der Röntgenlupe
Ein Ziel sind Laser, die kurzwellige UV- oder Röntgenstrahlung aussenden. Damit lässt sich die Struktur von großen organischen Molekülen entschlüsseln. Die spielen etwa bei der Suche nach neuen Medikamentenwirkstoffen eine zentrale Rolle. Mit ihrer Hilfe soll sich die Entwicklung von Arzneimitteln vereinfachen und beschleunigen lassen. Auch Viren kann man per Röntgenlaser ins Visier nehmen. Die Idee: Wenn man die Krankheitserreger genau kennt, fällt es leichter, Wirkstoffe aufzuspüren, die ihnen Paroli bieten können. Entscheidend dafür ist die Kunst, immer kürzere Lichtpulse zu generieren. Heute gelingt es, eine Pulsdauer von rund 10 Attosekunden zu erreichen. Das entspricht der Zeitspanne, die ein Elektron – im klassischen Bild – benötigt, um einmal einen Atomkern zu umkreisen.
Der Nutzen physikalischer Methoden für die Medizin ist leicht zu vermitteln. Auf anderen Gebieten fällt das schwerer. So lassen sich hartnäckige Skeptiker des Klimawandels nicht überzeugen. „ Das zeigt, dass wir noch Hausaufgaben zu erledigen haben”, räumt DPG-Präsident Sandner ein. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit steht zu wenig auf der Agenda der naturwissenschaftlichen Ausbildung. Doch das ist dringend nötig, um die rationale, differenzierte Sprache der Physiker so zu übersetzen, dass auch die Menschen auf der Straße verstehen, ob „ schwarz” oder „weiß” gemeint ist. ■
von Ralf Butscher