Damals, zu Weihnachten, schenkte ihm seine Frau einen längsgestreiften Satin-Schlafanzug. Er blieb unbeachtet. Als sie ihn fragte, warum er das teure Stück verschmähe, gestand er, Nachthemden zu bevorzugen – am liebsten mit Rüschen.
Das ist eine Episode aus dem vergangenen Leben von Cornelia Klein, jener über vier Jahrzehnte währenden Leidenszeit, die sie in der von ihr verachteten äußeren Hülle eines Mannes verbringen mußte. Sie aber fühlte weiblich, “von innen heraus”, solange sie zurückdenken kann. Schon als Kind verabscheute sie die wilden Jungenspiele, suchte die Gesellschaft von Mädchen.
Cornelias Körper wuchs – die weibliche Psyche mißachtend – zu einem stattlichen Mann heran. Ihre erste Ejakulation war ein Schock für sie. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Leben eines Mannes zu führen.
Sie begab sich “unter die Wölfe auf die Baustelle” und machte eine Lehre als Maler. Sie heiratete. Und sie zeugte zwei Kinder, wobei die “Machart” für sie nur “insofern freudig war” als sie wußte, “jetzt entsteht ein Kind”.
Jeden Freitag, wenn Cornelia vom Bau nach Hause kam, begann ihr Wochenend-Verwandlungsritual. In der Badewanne schrubbte sie sich gründlich den “ganzen Dreck der Männerarbeitswelt” vom Leib, schlüpfte in Frauenkleider und Stöckelschuhe, schminkte sich das Gesicht und lackierte die Fingernägel. Eine äußere Darstellung der inneren Weiblichkeit sei das gewesen, meint Cornelia heute, ein Zwang, von dem sie trotz bitterster Anfeindungen nicht lassen konnte. “Kannst du dich denn nicht zusammennehmen”, habe ihre Frau geschimpft. Und Cornelia antwortete: “Aber ich nehme mich doch die ganze Woche zusammen.”
Immer stärker wurde der Druck, immer geringer Cornelias Kraft, die Rolle als Mann durchzustehen. Sie outete sich, “vergaß” am Montag, den roten Lack der Fingernägel zu entfernen, behielt immer häufiger den ausgestopften BH unter ihrer Arbeitskleidung an. Mit knapp 40 Jahren stand sie vor den Trümmern ihrer mühsam zweigeteilten Welt. Sie weinte nächtelang, quälte sich mit Selbstmordgedanken und fragte sich, warum denn keiner der Ärzte in der Lage sei, die Eierstöcke oder die Gebärmutter in ihrem Körper aufzuspüren.
Anfang der achtziger Jahre gründete sie dann in Frankfurt eine Selbsthilfegruppe. In der Diskussion mit Leidensgefährten wurde ihr klar, daß ihr nur eine Operation helfen könnte, die “äußere Schale zu sprengen, damit die Frau in mir herauskommen kann”. Die “Befreiung” folgte im Oktober 1987 nach einer langwierigen Hormonbehandlung (siehe Kasten: “Der lange Weg vom Mann zur Frau”). Seither ist sie “glücklich, endlich ,Ich` geworden zu sein”.
Der Lebensweg der heute 58jährigen ist typisch für jene Menschen, die als “transidentisch” bezeichnet werden wollen. Wissenschaftler und Ärzte nennen sie “transsexuell” – und meinen damit ein Phänomen, das die meisten Außenstehenden zutiefst irritiert. Denn transidentische Menschen hebeln das Grundgesetz der Geschlechtlichkeit aus den Angeln. Und das heißt: entweder Mann oder Frau. “Der allgemeine Druck, sich selbst einem der beiden Geschlechter zuzuordnen, ist gewaltig”, schreibt Prof. Volkmar Sigusch, Direktor der Abteilung für Sexualwissenschaft der Frankfurter Universitätskliniken: “Und wehe denen, die das nicht können.”
“Tatsächlich”, erklärt Sigusch, “ist im allgemeinen nur das körperliche Geschlecht ,gegeben`, nicht aber die entscheidende Geschlechtsidentität, die seelische Gewißheit, diesem oder jenem Geschlecht anzugehören.” Etwa 6000 Menschen soll es in der Bundesrepublik geben, die das Zugehörigkeitsgefühl zum Gegengeschlecht als unveränderbare, zweifelsfreie Identität erleben. Transsexuell werden sie genannt, seit der deutschstämmige Endokrinologe Harry Benjamin 1953 erstmals die Transsexualität vom Transvestitismus – dem Tragen gegengeschlechtlicher Kleider zur sexuellen Stimulanz – abgrenzte.
Die Begriffe sind inzwischen zwar geklärt, über die Ursachen der Transidentität sind die Wissenschaftler aber auch heute noch ratlos. “Es existieren verschiedene Hypothesen, von denen keine überzeugend ist”, erklärt der Mannheimer Prof. Wolf Eicher, der sich seit über 20 Jahren mit dem Phänomen beschäftigt. Manche Forscher vermuten einen verborgenen Einfluß der Hormone. Aus dem Tierreich ist bekannt, daß ein Mangel an männlichen Sexualhormonen während der Embryonalentwicklung auffällige Konsequenzen haben kann: Männliche Tiere verhalten sich dann nach der Geburt nicht männlich, sondern weiblich.
Bei diesen männlichen Feten, so die Theorie, sei es um den fünften Monat zu einem Defizit an männlichen Sexualhormonen gekommen. Dies führe zu einer weiblichen Prägung des zentralen Nervensystems und zu einem Mann-zu-Frau-Transsexualismus.
Andere Forscher halten die Transidentität einzig und allein für eine seelische Erkrankung, für die Folge einer schwierigen Mutter-Kind-Beziehung oder eine gestörte Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Ende der siebziger Jahre brachte man ein angebliches Genprodukt des Y-Chromosoms – das H-Y-Antigen – mit dem Transsexualismus in Zusammenhang. Auch diese These erwies sich als nicht haltbar.
Vor zehn Jahren wurde es modern, die Transsexualität den sogenannten Borderline-Pathologien zuzuordnen. Dabei soll eine krankhafte Ich-Struktur entstehen, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Neurose und Psychose bewegt. Ein neuerer Befund kommt aus der Hirnforschung: Holländische Forscher fanden im Hypothalamus bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen eine vergrößerte Struktur. Auch diese Entdekkung harrt noch ihrer Bestätigung.
Im Lauf der Jahre, resümiert Sigusch, sei die Transidentität beinahe allen Krankheiten zugeordnet worden. Dies zeige dreierlei: “die Ratlosigkeit der Untersucher, die Abhängigkeit vom Blick des jeweiligen Experten und die Vielfältigkeit des Transsexualismus”. Statt die Illusion zu verfolgen, die Ursache der “Krankheit” Transsexualität zu finden und damit eine “Therapie”, mahnt Sigusch, “sollten wir Andersartigkeiten, die wir nie verstehen werden, als Teil der Natur respektieren”.
Erfolglos waren bislang auch alle Versuche, transidentische Patienten psychotherapeutisch von ihrem Wunsch nach Geschlechtsveränderung zu befreien. Als einzig sinnvolle Maßnahme, schrieb der Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch 1980 in der Zeitschrift “Sexualmedizin”, bliebe deshalb nur, “dem Drängen der Transsexuellen nach einer Geschlechtsumwandlung nachzugeben”.
An seiner Einschätzung hat sich bis dato nichts geändert. Erste geschlechtsangleichende Operationen wurden – auf Druck der Betroffenen – bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren in Berlin versucht. Weltweites Aufsehen erregte jedoch erst die 1953 in Dänemark durchgeführte Geschlechtskorrektur des amerikanischen Soldaten Christine Jörgensen. “Einmal in die Welt des Machens gesetzt”, meint Volkmar Sigusch, “müssen wir mit ihr leben”, obgleich ihn angesichts der “Allmachtsphantasien eines Teils unserer Mediziner” durchaus ein “basales Unbehagen” ergreife.
Die Situation transidenter Menschen nach der geschlechtskorrigierenden Operation ist in den letzten 20 Jahren oft untersucht worden. Die meisten notierten vorwiegend positive Wirkungen auf die Lebensqualität. Sie sind vor allem dann festzustellen, bemerkt Prof. Götz Kockott von der Psychiatrischen Klinik der TU München, wenn die Operation “eingebettet war in eine psychotherapeutische Begleitbehandlung”.Cornelia Kleins neues Leben hat erst nach der Operation begonnen. Die Operation, sagt sie mit Nachdruck, mache einen Mann allerdings nicht zur Frau – die müsse man schon vorher gewesen sein.
Der lange Weg vom Mann zur Frau
Diagnose: Der Facharzt stellt fest, ob es sich bei der Identitätsstörung tatsächlich um ein transsexuelles Syndrom handelt.
Alltagstest: Der transidente Mensch lebt ein bis zwei Jahre lang durchgehend in der angestrebten Geschlechtsrolle. Diese Therapiestufe wird durch zwei Gutachten abgeschlossen, mit denen die Diagnose gesichert werden soll.
Hormonbehandlung: Vor jedem operativen Eingriff steht eine mindestens sechsmonatige Therapie mit hochdosierten weiblichen Geschlechts-hormonen. Die Hormone werden als Tabletten verabreicht, gespritzt oder mit Hilfe eines Hormonpflasters durch die Haut zugeführt. Es ist auch möglich, ein Depot unter die Haut zu implantieren. Es versorgt den Körper über ein halbes Jahr mit einem ausreichend hohen Hormonwirkspiegel. Oft genügt eine Hormonbehandlung, um eine weibliche Brust entstehen zu lassen. Weitere Effekte sind die Reduktion von Libido und Potenz, die Haut wird zarter, das Unterhautfettgewebe aufgelockert, auf den Hüften reichert sich Fettgewebe an. Der Bartwuchs wird schwächer, eine Verödung der Barthaarwurzeln ist jedoch immer nötig. Die gegengeschlechtlichen Hormone müssen auch nach der Operation lebenslang eingenommen werden. Sonst kommt es zu Ausfallerscheinungen wie Hitzewallungen, Genitalschrumpfung oder Osteoporose.
Operation: Voraussetzungen sind: Betreuung durch Experten über mindestens ein Jahr dauerhaft veränderte Geschlechtsidentität Alltagstest Expertengutachten Vorbehandlung mit Hormonen Während der dreistündigen Operation werden bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen Schwellkörper und Hoden entfernt. Eine Scheide wird zwischen Harnröhre, Blase, Prostata und Rektum angelegt. Sie endet blind. Die Penishaut wird zur Auskleidung der Scheide benutzt. Aus der Haut des Hodensackes formen die Chirurgen die Schamlippen. Die Kastration ist nicht rückgängig zu machen. Weil es unmöglich ist, eine Gebärmutter zu schaffen, kann die Frau keine Kinder bekommen. Sexueller Verkehr ist möglich.
Nachbetreuung: chirurgisch und psychotherapeutisch
Juristische Regelung: Sowohl für die Namens- als auch für die Personenstandsänderung verlangt das Gericht zwei unabhängige Gutachten. Die Vornamensänderung ist schon vor dem operativen Geschlechtswechsel möglich, die Personenstandsänderung erst danach.
Kostenübernahme: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muß die gesetzliche Krankenkasse die Behandlungskosten übernehmen, wenn eine Transsexualität gutachterlich abgesichert ist, das heißt, wenn der Betroffene einem Leidensdruck ausgesetzt ist, der nur durch geschlechtsumwandelnde Maßnahmen gelindert werden kann.
Orientierungshilfe: Selbsthilfeorganisation Transidentitas e.V. Postfach 101046 63010 Offenbach/Main Tel: 069/8001008 Geschäftszeiten: Montag bis Donnerstag, jeweils 15 bis 20 Uhr.
Claudia Eberhard-Metzger