Seehunde schwimmen auf Beutezügen bis zu 40 Kilometer weit ins offene Meer und tauchen bis zu 200 Meter tief – bei Tag und Nacht. Lange war ein Rätsel, wie sich Robben auf solchen Ausflügen orientieren. Denn über eine Art Echolot wie etwa die Delphine verfügen sie nicht. Ein Team um den Verhaltensbiologen Dr. Guido Dehnhardt von der Universität Bonn hat jetzt erforscht, mit welchen speziellen Sinnesleistungen Robben den Tücken der Tiefsee Paroli bieten. Dabei hat die Bonner Doktorandin Juliane Sticken entdeckt, daß Seehunde sehr sensibel den Salzgehalt von Meerwasser schmecken können: Die Tiere unterscheiden zum Beispiel Wasser mit 30 Promille Salz von solchem mit 31 Promille. Damit halten sie den aktuellen Rekord unter den Säugetieren. Dadurch bekommt der Begriff „Geschmacksrichtung” für Robben eine besondere Bedeutung. Im Meer gibt es Bereiche verschieden salzigen Wassers. So strömt etwa süßes Flußwasser weit ins Meer, bevor es sich völlig mit der Salzlake mischt. „Robben können höchstwahrscheinlich am Salzgehalt des Wassers erkennen, wo sie sind”, sagt Dehnhardt. Der Bonner Biologe hält es außerdem für möglich, daß die Robben mit ihrem Geschmackssinn die Lebensräume ihrer Beute finden: Fische bevorzugen unterschiedliche Salzverhältnisse. Das Gespür für Salzwasser ist aber nicht der einzige seetaugliche Sinn der Robben. Besonders wenn sie im Dunklen jagen, setzen die Tiere ihr Vibrissensystem ein, zu dem die markanten Barthaare und die Haare über den Augen gehören. Sie erkennen Größe, Form und Oberflächenstruktur, wenn sie Objekte auf dem Meeresboden mit den Barthaaren berühren. „Das Vibrissensystem ist ähnlich empfindlich wie unsere Hände”, erläutert Dehnhardt.
Das Vibrissensystem leistet aber noch mehr: Seehunde erkannten mit ihren Barthaaren selbst kleinste Schwingungen im Wasser, die die Forscher mit einer vibrierenden Kugel erzeugten. Demnach könnte eine Robbe noch Bewegungen des Wassers spüren, wenn ein darin schwebendes Teilchen um weniger als ein Tausendstel Millimeter auf- und abschwingen würde. „Die Barthaare sind empfindlich genug, um die Wasserbewegungen zu registrieren, die Beutetiere beim Schwimmen verursachen”, ist Dehnhardt überzeugt. Vermutlich werden die Wasserschwingungen auf die Sinneshaare übertragen und von Rezeptoren in der Haut registriert. Denn wenn die Forscher das Schwingen der Haare durch ein übergestülptes Netz unterbanden, reagierten die Seehunde selbst auf starke Wasserbewegungen nicht. Seehunde sind für Neptuns Reich so gut gerüstet, daß sie auf den Sehsinn offenbar verzichten können: Manchmal gehen freilebende blinde Robben ins Netz – sie sind genausogut genährt wie ihre sehenden Artgenossen.
Sabine Oetting