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Eine Woche musste die 15-jährige

Allgemein

Eine Woche musste die 15-jährige
Stuttgarter Ingenieure haben eine neuartige Technologie entwickelt, mit der sich vermisste oder verschüttete Menschen über ihr Handy aufspüren lassen.

Eine Woche musste die 15-jährige Chloé Rodriguez in der Gewalt ihres Peinigers ausharren, ehe sie entdeckt und befreit wurde – durch Zufall. Die junge Frau war am 9. November 2012 in der Nähe der südfranzösischen Stadt Nîmes entführt worden. Sie hatte eine Freundin besucht und sich am Nachmittag mit ihrem Motorroller auf den Heimweg gemacht – kam aber nie zu Hause an. Lediglich ihr Motorroller wurde später am Straßenrand entdeckt. Tagelang suchten Hundertschaften der Polizei und zahlreiche freiwillige Helfer fieberhaft nach der jungen Französin. Auch Taucher und Höhlenforscher beteiligten sich an der Suche – vergebens. Es ließ sich keine Spur von Chloé finden.

Erst eine Polizeikontrolle bei Offenburg in Baden-Württemberg, die nichts mit der Fahndung nach Chloé zu tun hatte, brachte die Wende: Im Kofferraum eines Wagens mit französischem Kennzeichen stießen die verblüfften Beamten auf das vermisste Mädchen. Der Fahrer, ein vorbestrafter Krimineller, hatte die junge Frau entführt und gefangen gehalten – bis er mit seinem Fahrzeug in die Kontrolle geriet.

Vielleicht wären die Ermittler schon früher auf die Spur des Entführungsopfers gekommen, wenn ihnen die Technik zur Verfügung gestanden hätte, die jetzt ein Team von Ingenieuren aus Stuttgart entwickelt hat: Mithilfe von raffiniert eingesetzten Funkwellen kann das System Menschen zielgenau aufspüren – vorausgesetzt, sie tragen ein Mobiltelefon bei sich, das eingeschaltet ist. Das Handy lässt sich dann von einem elektromagnetischen Suchstrahl anpeilen und lokalisieren.

So simpel wie wirkungsvoll

Das elfköpfige Entwicklerteam um Neil McQueen, Paul Buné und Martin Dillenburger arbeitet im Stuttgarter Forschungs- und Entwicklungszentrum des französischen Telekommunikationsausrüsters Alcatel-Lucent. Dort ersann Buné vor rund zwei Jahren das Prinzip der neuen Suchtechnologie. Er entwickelte ein ebenso simples wie wirkungsvolles Konzept für eine Methode zur Suche vermisster Personen. Der Schlüssel dabei sind die Mobilfunkwellen, die die meisten Menschen mit ihrem Handy nutzen und die weltweit in vielen Regionen zur Vefügung stehen.

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Bei der Umsetzung seiner patentgeschützten Idee konzentrierten sich Buné und seine Mitstreiter jedoch zunächst auf eine Situation, die sich technisch leichter bewältigen lässt: „ Befindet sich der Gesuchte in einem Gebiet, in dem es kein funktionierendes Mobilfunknetz gibt, etwa in einer abgelegenen Bergregion, bauen wir ein eigenes lokales Netz auf”, erklärt der Nachrichtentechniker. „Dadurch wird ein herkömmliches Mobilfunknetz simuliert.”

Dazu haben die Stuttgarter Forscher eine spezielle Basisstation entwickelt, die – wie die Mobilfunk-Antennenmasten auf Hügeln und Hausdächern – Funkwellen mit bestimmten Frequenzen aussenden und empfangen kann. Doch im Gegensatz zu den herkömmlichen Stationen kann das Gerät genau bestimmen, aus welcher Richtung und Distanz das Signal eines gesuchten Handys kommt.

„Wenn ein eingeschaltetes Handy das Funksignal erfasst, meldet es sich mit einem elektronischen Signal an und bucht sich in das Suchnetz ein”, erklärt Martin Dillenburger. Anschließend setzt die Sendestation einen Austausch von Funksignalen in Gang, durch den sich die Position des Telefons ermitteln lässt.

Stille SMS als Spürhund

„Dazu werden Unterschiede in der Laufzeit der Signale analysiert”, erläutert Dillenburger. Die Funksignale benötigen unterschiedlich lange, um vom Handy zu verschiedenen Antennen zu gelangen, die an der Basisstation angebracht sind. So ist der Prototyp des Systems, das die Entwickler in einem Container auf dem Gelände von Alcatel-Lucent in Stuttgart aufgebaut haben, mit vier Antennen ausgerüstet. Die Laufzeitdifferenz beträgt weniger als eine Nanosekunde (Milliardstel Sekunde) – eine winzige Verzögerung, die aber genügt, um den Aufenthaltsort auf wenige Winkelgrad genau zu lokalisieren.

Technisch aufwendiger ist die Ortung dort, wo bereits ein Mobilfunknetz existiert. Denn der Telefon- und Datenverkehr im regulären Mobilfunknetz darf durch die Suchwellen nicht beeinträchtigt werden. In diesem Fall hört das System nur dem Funkbetrieb zwischen normaler Sendestation und Mobiltelefon zu und ermittelt daraus die Position des gesuchten Telefons. Dazu muss allerdings dessen Telefonnummer bekannt sein. Über das normale Mobilfunknetz schickt die Sendestation dann eine „stille” SMS an das Telefon des Vermissten. Sie entlockt der Elektronik des Mobiltelefons eine Empfangsquittung, die an der Basisstation des Suchteams ausgewertet wird – und den Aufenthaltsort verrät.

Solche stillen SMS verwendet die Polizei schon heute, um Mobiltelefone zu orten – doch das gelingt im normalen Netz nur ungenau. Zwar ist jedes Handy stets bei der nächstgelegenen Basisstation angemeldet – doch das Raster der Sendemasten ist zu grob für eine präzise Lokalisierung. So stehen die Mobilfunkantennen in Innenstädten meist einige Hundert Meter weit auseinander, was die Genauigkeit der Ortung auf diesen Radius begrenzt. In dünn besiedelten ländlichen Regionen haben die Stationen einen noch viel größeren Einzugsbereich, teils sogar von über 20 Kilometern.

„Die Netze sind vor allem darauf ausgelegt, hohe Datenraten bei der Übertragung zu ermöglichen – und nicht, Personen zu finden”, sagt Paul Buné. Die Technologie aus Stuttgart soll das ändern – allerdings nur, um vermisste Menschen zu suchen, betont der Erfinder. Bei der Suche nach verdächtigen Personen oder der Jagd nach Kriminellen soll das System nach dem Willen des Entwicklerteams nicht genutzt werden.

Dennoch ist die Palette von Einsatzmöglichkeiten groß. „Rescue Waves” könnte etwa verwirrte oder demente ältere Menschen aufspüren, die sich verlaufen haben. Nach einem Erdbeben oder einer Gasexplosion könnte die Technologie die Rettungsmannschaften bei der Suche nach Verschütteten unterstützen, die unter den Trümmern eingestürzter Gebäude liegen – auch ohne deren Handynummer zu kennen. In den Hohlräumen zwischen den Trümmern kommen bisher vor allem Suchhunde, Mikrofone und Kameras zum Einsatz.

Rettung vor dem weissen tod

Nach einem Lawinenunglück könnten die Rettungswellen die Position von Skifahrern oder Bergwanderern ermitteln, die vom Schnee begraben wurden. Hier ist es besonders wichtig, schnell zu sein: Zwar überleben rund 70 Prozent der Lawinenopfer die erste Viertelstunde unter dem Schnee. Danach aber ersticken die meisten unter der schweren weißen Last.

Mit sogenannten LVS-Geräten (das Kürzel steht für Lawinenverschüttetensuch-Gerät) gibt es bereits eine andere Technik, die das Aufspüren von Lawinenopfern enorm erleichtert. Die ungefähr zigarettenschachtelkleinen elektronischen Geräte senden im Notfall ein Pieps-Signal aus. „Das funktioniert aber nur, wenn die Skifahrer oder Tourengänger sich des Risikos, verschüttet zu werden, bewusst sind und deshalb ein LVS-Gerät mit sich führen” betont Martin Dillenburger. „Ein Mobiltelefon haben sie dagegen wahrscheinlich sowieso dabei.”

Doch die Tatsache, dass solche technischen Alternativen existieren, hat sicher dazu beigetragen, dass die Weiterentwicklung des Systems aus Stuttgart momentan stockt. Nachdem das Entwicklerteam mit einem ersten Prototyp belegen konnte, dass die Technologie funktioniert, versiegten bei Alcatel-Lucent vorerst die Mittel für eine Weiterführung des Projekts. Was nun anstünde, wäre die Fortentwicklung zu einem industriellen Produkt. Doch ob es dazu kommen wird, ist unsicher. „Das System wäre als Nischenprodukt vor allem für Polizei und Rettungsorganisationen von Nutzen”, sagt Neil McQueen. Große Umsätze könnte der Hersteller also nicht erwarten.

Tests im Hubschrauber

„Immerhin hat die Hubschrauberstaffel der Landespolizei Baden-Württemberg bereits Interesse an der Technologie bekundet”, berichtet Neil McQueen. Die Beamten der am Flughafen Stuttgart stationierten Staffel wollen das System in Polizeihubschraubern nutzen, um damit aus der Luft nach vermissten Personen zu suchen. Bislang sind bei solchen Einsätzen Wärmebildkameras an Bord, die Menschen anhand ihrer Körperwärme aufspüren können. „Aber diese Methode ist aufwendig und teuer”, sagt Projektleiter McQueen.

Mit den Rescue Waves wären der Aufwand geringer und die Erfolgsquote deutlich höher, ist der Forscher sicher. „Wenn die Entwicklung des Systems weitergeht, könnten erste Testflüge mit der Mobilfunk-Ortung in ein bis zwei Jahren starten”, meint McQueen. Das System ließe sich auch in Polizeifahrzeuge einbauen oder in einen Rucksack packen, den Rettungskräfte bei der Suche nach Erdbeben- oder Lawinenopfern mit sich tragen könnten.

Diese Perspektiven spornen die Ingenieure aus Stuttgart an, neben ihren Hauptaufgaben weiter an dieser Erfindung zu feilen. Das Team trifft sich regelmäßig, und in dem Laborcontainer legen die Ingenieure noch einmal richtig los – „damit die Entwicklung nicht einschläft”, sagt Neil McQueen.

Es gilt unter anderem, die Präzision des Systems zu verbessern und das technische Equipment, das derzeit noch den gesamten Container füllt, auf eine handliche Dimension zu schrumpfen. Nebenbei suchen die findigen Tüftler nach einem potenten Kooperationspartner. McQueen ist überzeugt: „Unsere Technologie kann helfen, viele Menschenleben zu retten – wir wollen sie daher unbedingt zum Erfolg führen.” ■

RALF BUTSCHER, bdw-Redakteur für Technologiethemen, konnte eine nachgestellte Vermisstensuche mit den Rettungswellen live verfolgen.

von Ralf Butscher

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