Dass man aus Fehlern lernen kann, ist eine tröstliche Erfahrung. Dass Fehler auch geeignet sind, auf ihnen das Gebäude einer großen Wissenschaft zu errichten, klingt zunächst wenig glaubhaft. Und doch geht die Genetik, die moderne biologische Leitwissenschaft schlechthin, auf einen fundamentalen Fehler zurück. Er ereignete sich an einem Tag im Mai des Jahres 1910.
Damals entdeckte der amerikanische Biologe Thomas Hunt Morgan unter Tausenden von Fruchtfliegen, die er in kleinen Milchflaschen züchtete, ein Fliegenmännchen mit weißen Augen. Eigentlich haben Fruchtfliegen rote Augen. Zwei Jahre lang hatte Morgan nach einer solchen Absonderlichkeit Ausschau gehalten und die zierlichen Insekten dazu mit Säuren und Laugen, mit Radium und Röntgenstrahlen traktiert. Die Fliege mit den weißen Augen war das, worauf Morgan gehofft hatte: ein fehlerhaftes Exemplar, eine Mutante mit einem funktionslosen Gen, deren Augen sich infolgedessen nicht normal entwickeln konnten.
Nach jahrzehntelangem zähen und von Widersprüchen geprägten Forschungsringen ging es nun Schlag auf Schlag: Morgan und seine Schüler bestätigten mit Kreuzungsexperimenten die Regeln, die der österreichische Mönch Gregor Mendel bereits 1865 aufgestellt hatte. Und sie entwickelten die Chromosomentheorie der Vererbung: Danach sind Gene wie die Perlen einer Kette auf den Erbträgern aufgereiht und werden von Generation zu Generation weitergereicht. Zu dieser revolutionären Einsicht in die Grundlagen des Lebens hat den Wissenschaftlern die kleine Fliege Drosophila melanogaster verholfen.
Im Jahr 2000 haben Forscher der University of California in Berkeley die vollständige Buchstabenfolge des Erbguts der Fruchtfliege mit rund 15 000 Genen und 160 Millionen Basenpaaren bekanntgegeben. Die wichtigste Erkenntnis: 70 Prozent der Fliegen-Gene stimmen mit Genen des Menschen überein.