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Dunkel war’s …

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Dunkel war’s …
Der Tag, an dem die Sonne mittags unterging. Millionen hatten auf den 11. August hingefiebert. Wenn für die meisten die Schwarze Sonne auch hinter dichten Regenwolken verborgen blieb, waren sie doch fasziniert von der mittäglichen Finsternis.

bdw: Oktober 1999 SONNENFINSTERNIS Das Zentrum des Finsternis-Tourismus war zweifellos Stuttgart. Das mag mehrere Gründe gehabt haben: Zum einen hatten hier die Vorbereitungen für ein großes Sonnenfestival viel früher begonnen als in anderen Städten – bild der wissenschaft hatte bereits vor drei Jahren die Initiative dazu ergriffen, und die Werbetrommel war frühzeitig gerührt worden. Zum anderen lag Stuttgart – als einzige deutsche Großstadt – exakt auf der zentralen Linie des Finsternis-Streifens. So drängten sich hier fast 500000 Besucher aus aller Welt, um das Jahrhundertereignis zu erleben.

Die erste Schwierigkeit bestand darin, überhaupt rechtzeitig in den Totalitätsstreifen zu kommen, immerhin waren aus ganz Deutschland einige Millionen unterwegs – eine nie zuvor dagewesene Menschendrift in einen schmalen Streifen hinein. “Seit 8 Uhr hatten wir von Frankfurt an Stop-and-go-Betrieb, alle wollten nach Stuttgart”, schreibt Margret Popp, eine Würzburgerin.

12.32 Uhr: In Stuttgart rauscht der Regen nieder. In Heilbronn ist es wenigstens trocken, und es gibt ein paar Wolkenlücken. “Solch eine Dämmerung habe ich noch nie erlebt”, erzählt die Würzburgerin, die in Heilbronn steckenblieb – aber den Totalitätsstreifen hatte sie wenigstens erreicht. “Nebenan entzündete eine Gruppe Wunderkerzen. Alle feuerten den Mond an, sich zu beeilen, denn von Westen nahte wieder eine Wolke. Aber der Mond blieb stur langsam, und die Wolke schob sich über die gerade total verdunkelte Sonne – die Korona ist uns entgangen.”

Hätte die Würzburgerin es geschafft, der heranziehenden Wolke nach Osten ein Stück weit davonzulaufen oder -zufahren, wäre ihr das Glück eines Wolkenlochs zuteil geworden – wie vielen anderen, die am Finsternistag einen neuen Sport erfunden hatten: Sie jagten mit ihren Autos den Wolkenlöchern hinterher. Diese “cloud-hopper”, wie sie sich selbst nannten, hatten meistens Erfolg, wenn sie die Wolkenwanderung im Auge behielten und es dann über Schleich- und Feldwege schafften, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

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Glück hatten auch Zigtausende, die in freundlicheren Gegenden auf den Mondschatten warteten, zum Beispiel in der Steiermark, in der Nähe des Chiemsees, bei Baden-Baden oder bei Karlsruhe. “Während der Mond sich langsam die Sonne einverleibte”, schreibt Walter Meier, der mit einer Gruppe Amateur-Astronomen aus Lünen angereist war und südlich von Karlsruhe Stellung bezogen hatte, “schoben sich immer wieder störende Wolken ins Blickfeld.

Doch als der letzte Sonnenstrahl verlosch, erschien eine wunderbare Korona in vollem Glanz. Deutlich wurden ein paar Protuberanzen sichtbar und färbten mit ihrem Rot den wunderschönen Kranz.” Trotz Regen in Stuttgart: Die Finsternis wurde hier zu einem rauschenden Fest. In der Innenstadt standen die Menschen dicht gedrängt, als kurz nach halb eins die Finsternis alle einhüllte. “Das war so tief beeindruckend, daß ich die berühmte Korona gar nicht vermißte”, erzählte eine Besucherin. Als es nach 137 Sekunden plötzlich wieder hell wurde, brachen wahre Beifallsstürme los, und einige riefen “Zugabe”.

Doch nicht nur für diese zwei dunklen Minuten waren die Menschen herbeigeströmt. Das Festival zog sich vom Vortag über den ganzen Rest der Woche hin. Viele Institute der Universitäten, der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft hatten im “Wissenschaftsjahrmarkt” ihre Stände aufgebaut und präsentierten dort ihre Forschungsarbeiten.

Eine Attraktion war zum Beispiel das Flugzeug Icaré der Universität Stuttgart, dessen Tragflächen und Leitwerke mit Solarzellen belegt sind. Es kann sich aus eigener Sonnenkraft in die Luft erheben und beliebig lange fliegen – womit es im Jahr 1996 den begehrten Berblinger-Preis der Stadt Ulm gewann. Nebenan war eine Direktleitung zum Sonnenobservatorium auf Teneriffa installiert: Sonnenforschung via Satellit vom Stuttgarter Karlsplatz aus.

Das MPI für Festkörperforschung demonstrierte Supraleiter: Eine Modelleisenbahn schwebte an einer senkrechten Papierwand entlang. Viele Schulen beteiligten sich an der Solarauto-Rallye: Ihre Modelle lieferten sich ein spannendes Rennen – nachdem der Start bis zur nächsten Wolkenlücke verschoben war.

Vielbestaunt war im DLR-Zelt die russische Express-Raumkapsel, die 1995 die Erde umkreiste. Mit ihr sollte ein neuer Faserkeramik-Werkstoff, mit dem die Spitze umkleidet war, beim Wiedereintritt in die Atmosphäre getestet werden. Den 2000-Grad-Streß hat der Werkstoff bestens ausgehalten.

Das Zelt von bild der wissenschaft “Treffpunkt Sonne” war fast ständig überfüllt. Der Eingang war zugleich ein Tunnel ins Innere der Sonne: In Bildern und Kurztexten erfuhr der Besucher alles Wichtige über den Stern, von dem wir leben, und bewegte sich schauend und staunend von der heißen Korona durch die fleckige Oberfäche und die verschiedenen Schichten bis zum Kern, dem 15 Millionen Grad heißen Fusionsreaktor.

Vorträge von hochrangigen Experten befaßten sich mit der Wettervorhersage (am Vortag der Finsternis), die sich jedoch als zu optimistisch herausstellte, mit dem Verhalten der Tiere in der mittäglichen Nacht, mit den Fortschritten der Solartechnik – und anderen typischen bdw-Themen, etwa Hypnose oder optischen Täuschungen.

Täglich gab es auch ein Meeting zum Thema “Die bdw-Redaktion stellt sich vor” mit den beiden Chefredakteuren Wolfgang Hess und Reiner Korbmann, dem Geschäftsführer Jürgen Horbach und dem Designer Ulrich Schendzielorz.

Sechs Tage lang wurde die Finsternis gefeiert, die doch für die meisten regelrecht ins Wasser gefallen war. Aber gerade das hat ihren “Hunger nach mehr” angeheizt: Tausendfach wurde die Frage gestellt, “Wann und wo ist die nächste?” Und die ersten Anmeldungen für die bdw-Reise nach Afrika liegen bereits vor, wo sich am 21. Juni 2001 der Mond erneut vor die Sonne schiebt.

Die nächsten totalen Sonnenfinsternisse 21. Juni 2001 Angola bis südliches Madagaskar Dauer: 4 Minuten und 57 Sekunden

4. Dezember 2002 Angola bis südlicher Pazifik Dauer: 2 Minuten und 4 Sekunden

23. November 2003 Antarktis Dauer: 1 Minute und 57 Sekunden

29. März 2006 Sahara, Türkei bis nördliches Sibirien Dauer: 4 Minuten und 7 Sekunden

1. August 2008 Nördliches Grönland, Sibirien, Mongolei Dauer: 2 Minuten und 27 Sekunden

22. Juli 2009 Indien, Nepal, Pazifik Dauer: 6 Minuten und 39 Sekunden

11. Juli 2010 Südlicher Pazifik, Osterinsel Dauer: 5 Minuten und 20 Sekunden

Wolfram Knapp

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