Passivität und Untätigkeit des Menschen sind nicht im Plan der Schöpfung vorgesehen. Der Mensch ist eher als gefährdetes Wesen geschaffen, das um sein Überleben kämpfen muß, wie andere Lebewesen auch. Aus der Sicht der Evolu-tionsbiologie ist der Mensch geradezu „auf Anstrengung programmiert”. Lust ohne Anstrengung führt dagegen zu Langeweile oder gar zu Selbstzerstörung. Daraus folgt: Arbeit ohne Lust und Freizeit ohne Leistung kann der Mensch auf Dauer nicht ertragen.
Von der Arbeitsgesellschaft heißt es Abschied zu nehmen – das meinen Dreiviertel der Bevölkerung. Auch an die Industriegesellschaft glauben die meisten nicht mehr. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland gibt es nur noch einen treffenden Begriff zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Leistungsgesellschaft. Mit diesem Begriff kann jede Form von gesellschaftlicher Leistung zum Ausdruck gebracht werden. Das Leistungsmotiv darf dabei nicht mit dem Profitmotiv oder dem Gelderwerb verwechselt werden. Offen bleibt beim Wandel von der Industrie- zur Leistungsgesellschaft nur die Frage: Leistung – wobei? In der Arbeit? Im Sport? Oder im freiwilligen sozialen Engagement? Der Lebenssinn muß im 21. Jahrhundert neu definiert werden: Leben ist dann die Lust zu schaffen. Schaffensfreude – und nicht nur Arbeitsfreude – umschreibt das Leistungsoptimum von Menschen, die in ihrem Leben weder über- noch unterfordert werden wollen.
Gleichwertig neben bezahlten Arbeitsleistungen werden künftig unbezahlte Eigen- und Gemeinschaftsleistungen treten, die auf hoher Motivation basieren und durch Erfolge und Erfolgserlebnisse honoriert werden. Die Hoffnung auf Erfolg stellt die eigentliche Antriebskraft für die neue Leistungskultur dar. Die künftige Leistungsgesellschaft lebt von einem veränderten Leistungsprinzip, das mit dem Lustprinzip unmittelbar verbunden ist: Das Ergebnis ist eine neue Leistungslust.
Der Umbau der alten Erwerbsgesellschaft in eine „Neue Leistungsgesellschaft” kann gelingen auf dem Wege über die Gleichwertigkeit von bezahlter und unbezahlter Arbeit, also von Erwerbsarbeit und gemeinnütziger Arbeit. Zur „Neuen Leistungsgesellschaft” gehören vier Arbeitswelten: Zum einen die Erwerbsarbeit mit multiplen Beschäftigungsverhältnissen. Dann die Gemeinschaftsarbeit mit Freiwilligenleistungen für Familie und Gesellschaft. Weiterhin die Lernarbeit mit lebenszeitbegleitender Fort- und Weiterbildung. Und schließlich die Eigenarbeit mit Eigenleistungen für sich und auch mit „Arbeiten an sich selbst” zur Erhaltung von Gesundheit und Lebenszufriedenheit.
In den westlichen Industrieländern geht der Erwerbsgesellschaft nachweislich die bezahlte Arbeit aus. Die Schlüsselfrage lautet daher: Was kann für den wachsenden Anteil der Nichterwerbstätigen (1999: 59 Prozent der Bevölkerung) zum neuen Lebensinhalt werden, wenn es an bezahlten Jobs mangelt? Während Politik und Wirtschaft noch über Lösungsmöglichkeiten nachdenken, sind viele Bürger schon einen Schritt weiter. Sie suchen sich selbst einen Lebenssinn, machen sich selbst zum Unternehmer und schaffen sich selbst neue Arbeitsplätze, in denen sie Leistungen erbringen und Erfolgserlebnisse haben können: Natürlich nennen zunächst einmal zwei Drittel der Bevölkerung die Erwerbsarbeit (66 Prozent) als allgemein anerkannten Leistungsbereich. Doch Familienarbeit schneidet nicht mehr schlechter ab: 66 Prozent. Diese Tätigkeit im Haushalt und bei der Kindererziehung sowie Gartenarbeit (52 Prozent) und Lernarbeit (52 Prozent) durch Fort- und Weiterbildung sind die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten zur Jahrtausendwende. Dies geht aus einer Repräsentativbefragung des BAT Freizeit-Forschungsinstituts hervor, in der 3000 Personen ab 14 Jahren danach gefragt wurden, in welchen Bereichen des Lebens man heute Leistungen vollbringen kann. Die hohe Bewertung der Gartenarbeit hängt damit zusammen, weil man dabei etwas nach eigenen Vorstellungen gestalten und jederzeit Erfolgserlebnisse haben kann. Solche Eigenarbeiten wirken wie ein Lebenselixier und verhindern Leere, Langeweile und Depressionen.
Der klassischen Arbeitsgesellschaft geht zwar die bezahlte Arbeit aus, nicht aber den Menschen die Lust auf Leistung. Selbst wenn die Maschinen in Zukunft fast alles tun, suchen sich die Menschen eine Beschäftigung. Mit der Erwerbsarbeit ist die Lebensarbeit nicht zu Ende. Freiwillige Gemeinschaftsleistungen – insbesondere in der nachberuflichen Lebensphase – kommen hinzu. Natürlich werden sich auch in Zukunft Lust, Kraft und Zeit der Vollbeschäftigten für freiwillige Zusatzarbeit in engen Grenzen halten. Dennoch bedeutet Arbeit immer häufiger auch: ohne Vergütung für andere und an sich selbst zu arbeiten.
Horst W. Opaschowski