Beginnt das dritte Jahrtausend am 1. Januar 2000 oder erst ein Jahr später? Diese Frage, die vor knapp einem Jahr die Gemüter bewegte und für endlose Streitigkeiten sorgte, war genaugenommen überholt: Folgt man nämlich den Historikern, dann leben wir bereits seit mehreren Jahren im neuen Millennium. Der Zeitpunkt von Christi Geburt ist aber nicht nur für die Geschichtswissenschaft interessant, sondern auch für die Astronomie – und umgekehrt: Denn neue Erkenntnisse zum Stern von Bethlehem könnten den Ursprung unserer Zeitrechnung präzisieren. Schon seit längerem ist klar, daß der einst angenommene Geburtstermin Christi fehlerhaft zustande kam. Der in Rom lebende Mönch Dionysius Exiguus hat vor knapp 1500 Jahren (533 n.Chr. in der heutigen Zeitrechnung) vorgeschlagen, eine neue Jahreszählung einzuführen, die mit der Geburt Jesu beginnen sollte. Bis dahin war der Kalender an den Regierungszeiten der römischen Könige ausgerichtet. Dionysius legte den Geburtstag auf den 25. Dezember des Jahres 1 v.Chr. und ließ die neue Zählung eine Woche später mit 1 n.Chr. beginnen.
Allerdings verzählte er sich bei den vielen römischen Herrschaftszeiten um ein paar Jahre. Deshalb hat unser Kalender eigentlich bereits vor dem tatsächlichen Geburtstag Christi seinen Anfangspunkt. Überdies hatte Dionysius den 25. Dezember eher willkürlich als Geburtstermin des Heilands festgelegt. Es erscheint heute wahrscheinlicher, daß Jesus in einer wärmeren Jahreszeit zur Welt kam. Denn beim Evangelisten Lukas steht, die Schafhirten hätten damals im Freien geschlafen. Und im Bergland von Judäa wird es im Winter empfindlich kalt.
Ob die biblische Geschichte von Christi Geburt historische Tatsache oder religiöse Fiktion ist, bleibt ungeklärt. Trotzdem haben sich Forscher unterschiedlicher Disziplinen immer wieder daran versucht, das Geburtsdatum Christi herauszufinden. Die erste astronomische Interpretation für den Stern der Weisen gab Johannes Kepler vor fast 400 Jahren: ein sehr seltenes Zusammentreffen der Planeten Mars, Jupiter und Saturn. Seitdem wurde auch über Novae und Supernovae und vor allem über Kometen als möglicher Leitstern spekuliert. Jetzt hat Michael Molnar, Physiker und Computerexperte an der Rutgers Universität in New Jersey, eine neue Hypothese entwickelt.
Der entscheidende Gedanke kam ihm beim Betrachten einer antiken Münze. Sie war zwischen 5 und 11 n.Chr. in der syrischen Stadt Antiochia geprägt worden und zeigte einen Widder, der sich nach einem Stern umdreht. Das Tier repräsentierte das Sternbild Widder, das die damals zum Römischen Reich gehörende Stadt als Schutzzeichen verwendete. Wichtig: Antiochia benutzte dieses Sternzeichen erst, als Rom Judäa annektiert hatte. Also stand auch Judäa unter diesem Zeichen. Es bekam für Molnar einen neuen Sinn, als er sich über die Profession der Weisen aus dem Morgenland Gedanken machte. Sie waren nämlich keine Könige, wie viele glauben. Im griechischen Original heißen sie „Magoi”, was Sterndeuter oder Astrologen heißt. Zur damaligen Zeit war die babylonische Sterndeuterei schon längst nicht mehr maßgebend. Statt dessen blühte die Himmelskunde der Griechen. Um deren grundlegende Gedanken nachzuvollziehen, hat Molnar das Werk „ Tetrabiblos” des griechischen Astronomen Ptolemäus eingehend studiert. Es war gewissermaßen die Bibel der Sterndeuter. Ptolemäus lebte zwar bereits im zweiten Jahrhundert n.Chr., aber sein Buch faßt die damalige Astrologie zusammen, die zumindest in Teilen bereits aus dem ersten Jahrhundert v.Chr. überliefert war.
Es gibt noch weitere Hinweise, die die große Bedeutung der Astrologie in der damaligen Zeit belegen. Molnars Schluß: Alle bisherigen Interpretationen des Sterns von Bethlehem basieren zu sehr auf der Denkweise heutiger Astronomen. Um das Phänomen richtig zu verstehen, muß man sich in die Gedankenwelt der Menschen in der Antike versetzen – also die biblischen Worte astrologisch deuten. Aus diesem Grunde verwirft Molnar die populäre Version eines Kometen. Denn das Erscheinen eines solchen Himmelskörpers galt als Vorbote für Tod und Krieg, nicht aber für königliche Geburten. Novae und Supernovae spielten in alten Horoskopen gar keine Rolle. Welche himmlischen Zeichen die Geburt eines Königs ankündigten, verrät Ptolemäus’ „Tetrabiblos”. Hierin liefert der große Astronom der Antike Vorschriften, wann welche Konstellation für die Geburt eines Königs günstig ist.
Jupiter als König der Planeten ist in diesem Sinn stets ein positives Zeichen. Gesellt sich am Himmel noch Saturn hinzu, kommen edle und gute Menschen zur Welt. In Verbindung mit Mars wird ein Mensch zudem kräftig und streitbar, Merkur fördert fromme und philosophische Naturen, Venus steht für jene, die Gott lieben. Treten nun auch noch Sonne und Mond hinzu, „so werden die, welche erzeugt werden, Könige sein”, schreibt Ptolemäus. Die Wirkung der jeweiligen Konstellation sollte um so stärker sein, je näher die Himmelskörper beieinander stünden. Sie galt als maximal, wenn einer den anderen berührte und bedeckte.
Schon ein Zusammentreffen dieser Planeten ist selten. Ereignet es sich aber noch im Sternbild Judäas, dem Widder, so mußten die damaligen Astrologen hierin das untrügliche Zeichen für die Geburt des neuen Königs der Juden sehen, den eine im Alten Testament beschriebene Weissagung dem Volke Israel prophezeit hatte (Moses 4,4; Micha 5,1).
Für die Wirkung eines Horoskops ist es unerheblich, ob die jeweilige Konstellation am Himmel sichtbar ist: Sie kann sich genausogut am Tageshimmel ereignen, ohne an Kraft einzubüßen. Zudem bedeutet der Satz „der Stern, den sie hatten aufgehen sehen” , wie er sich bei Matthäus findet, unter Astrologen keinesfalls den morgendlichen Aufgang über dem östlichen Horizont. Vielmehr ist damit der sogenannte heliakische Aufgang eines Gestirns gemeint. Heliakisch meint den ersten sichtbaren Aufgang vor der Sonne in der Morgendämmerung. Hierzu zählt die erstmalige Sichtbarkeit der schmalen Sichel des zunehmenden Mondes oder auch eines hellen Sterns oder Planeten. In Ägypten zum Beispiel galt der heliakische Aufgang des Sterns Sirius als Ankündigung für die alljährlich einsetzende Nilüberschwemmung. Ptolemäus gibt für Jupiter den heliakischen Aufgang für den Zeitpunkt an, in dem der Planet zwölf Grad über der Sonne steht. Nimmt man alle Kriterien zusammen, so kam es in dem Zeitraum, der heute für die Geburt Christi feststeht, zu einer im astrologischen Sinne einzigartigen Sternenkonstellation. Am 17. April 6 v.Chr. hatte Jupiter seinen heliakischen Aufgang, stand zusammen mit der Sonne sowie Saturn, Mars, Venus und Merkur am Himmel und wurde um 8 Uhr 25 morgens auch noch vom Mond bedeckt. Ein deutlicheres Zeichen ist kaum denkbar.
Molnars Hypothese hat den Vorzug, daß sie einige problematische Stellen des biblischen Textes leicht erklären kann, zum Beispiel den Stillstand des Sterns über Bethlehem. Jupiter bewegte sich im April in östlicher Richtung am Himmel. Im Juni des folgenden Jahres stand er jedoch etwa eine Woche lang still und kehrte dann seine Bewegung um. Heute wissen wir, daß dies ein rein perspektivischer Effekt ist. Er kommt dadurch zustande, daß die Erde den äußeren Planeten gewissermaßen auf der Innenbahn überholt, wodurch sich die scheinbare Bewegung des Planeten am Himmel umkehrt. Einen vergleichbaren Eindruck hat man von einem Auto, das man überholt.
Da sich das astrologische Ereignis am frühen Morgen abspielte, war es nicht direkt zu beobachten. Das würde erklären, warum Herodes und die übrigen Menschen in Jerusalem nichts von der Geburt des Messias wußten (Matthäus 2,1): Sie hatten keine Kenntnis der griechischen Sterndeuterkunst. Nur für östliche Astrologen gab es ein „unübersehbares” Zeichen. Viel diskutiert wurde auch über die Frage, wie die drei Weisen aus dem Morgenland (dem Osten) einem (im Osten) aufgehenden Stern folgen konnten, um ins westlich gelegene Judäa zu gelangen. Molnar meint: Mit dem aufgehenden Stern war nur der heliakische Aufgang gemeint. Sie folgten nicht einem wirklich am Himmel stehenden Stern oder Kometen, sondern sie folgten dem Horoskop, und das deutete wegen der Planetenkonstellation im Sternbild Widder nach Judäa.
Damit wäre auch klar, daß der Stern die drei Astrologen nicht direkt zur Krippe nach Bethlehem führte. Tatsächlich wandten sie sich zunächst an Herodes, um nach dem Geburtsort zu fragen. Herodes residierte in Jerusalem, der Hauptstadt Judäas. Bethlehem könnte das nächste Ziel gewesen sein, weil einige Menschen glaubten, der Messias würde der Ahnenlinie von König David entstammen, und dessen Familie kam aus Bethlehem (Johannes 7,42). Molnars minuziös ausgearbeitete Hypothese hat in den USA für einiges Aufsehen gesorgt. Bradley Schaefer, Astronom an der Yale University in Connecticut, lobte das Buch in der Zeitschrift „Sky & Telescope” überschwenglich und feierte die Idee als „erste Revolution in der Forschung nach dem Stern von Bethlehem seit Kepler”. Doch so neu ist die Grundidee gar nicht. Schon 1911 hat sie der in Halle lehrende Theologe Heinrich G. Voigt in seinem Buch „Die Geschichte Jesu und die Astrologie” aufgestellt. Er wußte allerdings nichts von der Mondbedeckung Jupiters am 17. April und ermittelte damals den 14. April 6 v.Chr. als optimale Himmelskonstellation. Voigt sah dieses Datum als das der Empfängnis an und verlegte daher Jesu Geburt auf Anfang Januar des Jahres 5 v.Chr.
Die astronomischen Hypothesen zum Stern von Bethlehem 1465: Jakob von Speyer, Hofastronom von Prinz Friedrich d’Urbino in Italien, fragt bei seinem Kollegen Regiomontanus in Nürnberg an, ob die große Konstellation der Planeten Mars, Jupiter und Saturn der Stern der Weisen gewesen sein könnte. Regiomontanus weist die Frage als astronomisch nicht relevant ab.
1604: Johannes Kepler setzt sich als erster wissenschaftlich mit dem Phänomen des Sterns von Bethlehem auseinander. Auslöser ist eine Supernova, ein explodierender Stern, der 1604 unvermittelt am Himmel hell aufleuchtete. Zufällig erschien sie zur selben Zeit, als sich die Planeten Jupiter und Saturn im „ feurigen Dreieck”, einer astrologisch bedeutenden Konstellation, aufhielten. Wenig später gesellte sich auch noch Mars hinzu. Kepler berechnet, daß dieselbe Dreierkonstellation schon im Jahre im 6 v.Chr. aufgetreten war. Das hätte, eventuell zusammen mit einer Supernova, der Leitstern der drei Weisen gewesen sein können.
1827: M. Munter, Kopenhagen, postuliert einen Kometen im April 4 v.Chr., der in chinesischen Chroniken erwähnt wird, als Stern von Bethlehem. Christi Geburt soll demnach im Dezember 4 v.Chr. gewesen sein.
1911: Heinrich G. Voigt aus Halle erschließt aus dem Königshoroskop den Stern von Bethlehem (14. April 6 v.Chr.) und veranschlagt Christi Geburt im Januar 5 v.Chr.
1977: David H. Clark und John Parkinson vom University College in London sowie Richard Stephenson von der University of Newcastle halten eine helle Nova im Frühjahr 5 v.Chr., die in chinesischen Chroniken erwähnt wird, für den Stern von Bethlehem. Christi Geburt datieren sie auf Ende 5 v.Chr.
1991: Colin Humphreys, University of Cambridge, favorisiert eine Folge von Konstellationen: Saturn und Jupiter in den Fischen (7 v.Chr.), anschließend Mars, Jupiter und Saturn (6 v.Chr.) und ein Komet (5 v.Chr.), der in chinesischen Chroniken erwähnt wird. Christi Geburt datiert er ins Frühjahr 5 v.Chr.
1992: Ivor Bulmer-Thomas aus London deutet den Stillstand des Planeten Jupiter als Stern von Bethlehem. Jesus wäre dann im Herbst 5 v.Chr. geboren worden.
1999: Mark Kidger vom Instituto Astrofisica de Canarias, Teneriffa, setzt auf eine Nova während einer Konjunktion von Jupiter und Saturn im Jahr 5 v.Chr., die in chinesischen Chroniken erwähnt wurde. Diese Nova war vielleicht der Stern DO Aquilae, der heute noch im Fernrohr erkennbar ist.
Komakt Die drei Weisen aus dem Morgenland folgten nicht einem explodierten Stern oder Kometen am Himmel, sondern einem Horoskop. Der Stern von Bethlehem war eine außergewöhnliche Himmelskonstellation: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn standen scheinbar in einer Reihe, und die schmale Sichel des zunehmenden Mondes zog vor Jupiter im heiligen Sternbild Judäas, dem Widder, vorüber. Da das am frühen Morgen geschah, war es nicht zu beobachten. Christi Geburt müßte demzufolge am 17. April 6 v.Chr. geschehen sein.
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LESEN Das Buch zu Molnars Hypothese: Michael R. Molnar THE STAR OF BETHLEHEM Rutgers University Press 1999, DM 56,85
Das Buch des besten deutschsprachigen Kenners: Konradin Ferrari d’ Occhieppo
DER STERN VON BETHLEHEM IN ASTRONOMISCHER SICHT Brunnen-Verlag 1994 (zur Zeit vergriffen)
Zur neuesten Theorie einer Nova: Mark Kidger THE STAR OF BETHLEHEM Princeton University Press 1999, DM 49,73
Zu den astronomischen Deutungen: Dieter B. Herrmann DER STERN VON BETHLEHEM Paetec Verlag 1998, DM 29,80
INTERNET Hier stellt Molnar seine Hypothese detailliert dar und liefert weitere Links: http://www.eclipse.net/~molnar
Zur Planetenkonstellation von 7 v.Chr.: http://www.quarks.de/all3/05.htm
VERANSTALTUNGEN Viele Planetarien haben im Dezember und Januar spezielle Weihnachtsvorführungen zum Stern von Bethlehem im Programm, zum Beispiel Augsburg, Berlin, Freiburg, Halle, Hamburg, Jena, Mannheim, Münster, Nürnberg, Radebeuel, Schneeberg und Stuttgart. Ausführlichere Informationen finden Sie im Internet unter https://www.wissenschaft.de
Thomas Bührke / Michael Molnar