Es mag ein friedlicher Sommertag in der Gegend des heutigen Mexiko gewesen sein – jener Schicksalstag vor 65 Millionen Jahren, an dem entschieden wurde, daß die Zukunft den Säugetieren und nicht den Sauriern gehören würde. Eines jedoch steht fest: Es gab damals keine Anzeichen, daß 24 Stunden später nichts mehr so sein würde, wie es vorher war.
Ohne Vorwarnung näherte sich der etwa zehn Kilometer große Meteorit der Erde. Innerhalb weniger Sekunden durchschlug er die Atmosphäre und bohrte sich in die mexikanische Halbinsel Yucatan, die damals von einem flachen Schelf-meer bedeckt wurde. Augenblicklich riß er ein etwa 30 Kilometer tiefes und 100 Kilometer großes Loch. Unter dem ungeheuren Druck zerbrachen die Krustengesteine bis in große Tiefen. Die Energie, die der Meteorit freisetzte, entsprach etwa fünf Milliarden Hiroshima-Bomben. Erdbebenwellen von unvorstellbarer Gewalt schüttelten den Planeten. Die Hitze am Aufschlagsort war so groß, daß der Meteorit vollständig verdampfte – und mit ihm ein Teil der mächtigen Schichten aus Kalkstein und Sulfaten, aus denen Yucatan besteht.
Schon Minuten nach dem Einschlag stürzte der Krater in sich zusammen: Die steilen Ränder brachen ab, und vormals ordentlich geschichtete Gesteine füllten das Loch mit einem wilden Durcheinander aus Trümmern, Schmelze und Gestein, das von Druck und Temperatur gepreßt und geschmolzen wurde. Tagelang rollten mehrere hundert Meter hohe Flutwellen im Golf von Mexiko hin und her. Über eine Strecke von 2000 Kilometern – vom heutigen Alabama bis zur mexikanischen Küste – lagerten die Wellen eine mehrere Meter dicke Sedimentschicht ab. Aus ihr können die Geologen heute Höhe und Richtung der Wellen ablesen – und rekonstruieren, was einstmals geschah.
Als erstes setzte sich aufgewirbelter grober Schutt ab, durchmischt mit Gesteinsbrocken aus dem Krater. Die riesigen Flutwellen fegten mehrere Male darüber hinweg und hinterließen jedesmal eine Schicht aus Sand. Als die Strömung einige Tage später nachließ, sank feiner Staub zu Boden, der auch verdampftes Meteoritenmaterial enthielt. Beim Aufprall wurden ungeheure Materiemengen hochgeschleudert – genug, um ganz Deutschland mit einer 90 Meter dicken Schicht zu bedecken. Größere Gesteinsblöcke flogen bis zu 900 Kilometer weit, kleinere Spritzer geschmolzenen Gesteins regneten, in der Luft zu Glaskügelchen erstarrt, auf der ganzen Erde nieder. Gewaltige Mengen von Staub verdunkelten die Atmosphäre für Monate.
Was dem Planeten nur eine kleine Wunde zufügte, stürzte das Leben darauf in eine große Krise. Nach dem Ende des sogenannten Erdaltertums war die Evolution Millionen Jahre lang in gewohnten Bahnen verlaufen. Immer wieder starben Arten aus, während andere entstanden. Kurz vor der Katastrophe, gegen Ende der erdgeschichtlichen Kreidezeit, waren die Dinosaurier noch die bestimmenden Lebewesen auf der Erde.
Das Land regierte der Räuber Tyrannosaurus rex, begleitet von pflanzenfressenden Hornsauriern wie dem dreigehörnten Triceratops. Flugsaurier beherrschten die Lüfte und Fischsaurier das Meer. Seit 150 Millionen Jahren unangefochten, fielen sie jetzt dem Irrläufer aus dem All zum Opfer.
Durch den Einschlag brannten noch in Tausenden Kilometer Entfernung die Wälder. Ganz Nordamerika stand in Flammen. Darauf folgte eine monatelange Dunkelheit durch Asche und Staub in der Luft. Sie entzog den übriggebliebenen Pflanzen die Lebensenergie und kühlte die Erde merklich ab. Der Staub legte sich allmählich wie ein Leichentuch über die verödete Erde und verfestigte sich zu einer wenige Zentimeter dicken Tonschicht.
Später heizte sich das Klima auf: Der verdampfte Kalkstein aus Yucatan setzte viel Kohlendioxid und Sulfate frei. Die regneten als Schwefelsäure auf die Erde herab und griffen die kalkigen Schalen der Foraminiferen an. Diese Einzeller waren die bevorzugte Nahrung der in großer Zahl im Meer lebenden schnekkenförmigen Ammoniten, die nun ausnahmslos zugrunde gingen. Die Nahrungskette im Meer brach zusammen – und ebenso die an Land.
Als sich das Leben nach Hunderttausenden von Jahren wieder erholt hatte, besaß die Welt ein neues Gesicht. Alle Dinosaurierarten waren ver-schwunden und mit ihnen Flugsaurier, Plesiosaurier, Ammoniten und viele einzellige Foraminiferen. 70 Prozent aller Arten gab es nicht mehr, keine Tiergruppe kam ungeschoren davon. Auch die Pflanzenwelt hatte sich verändert: Nach den Bränden in Nordamerika besiedelten zunächst Farne das verwüstete Land, später kehrten größere Pflanzen zurück. Säugetiere nahmen die frei gewordenen Lebensräume in Besitz, und innerhalb von nur zehn Millionen Jahren entwikkelten sich aus den kümmerlichen Säugern der Kreidezeit viele Gattungen und Familien, die wir heute kennen.
Dieses Szenario hält inzwischen die Mehrheit der Geowissenschaftler für wahrscheinlich. Das war nicht immer so: Als die Forschergruppe um den Physik-Nobelpreisträger Luis Alvarez und seinen Sohn Walter 1980 postulierte, ein Meteoriteneinschlag sei für den Untergang der Dinosaurier verantwortlich, gab es von allen Seiten Widerspruch. Die Dinosaurier seien keinesfalls plötzlich durch eine Katastrophe ausgestorben, behaupteten damals viele Paläontologen, sondern allmählich über Jahrmillionen. Meeresspiegelschwankungen und Klimaänderungen hielten viele für glaubhafter als einen Meteoriten aus dem All.
In den Geowissenschaften entbrannte der heftigste Streit seit der Geburt der Plattentektonik in den sechziger Jahren: 150 Jahre lang hatte das Dogma gegolten, daß sich auf der Erde nur solche Prozesse abspielen, die man auch heute beobachten kann.
Alle Veränderungen, davon waren die Wissenschaftler damals überzeugt, gehen sehr langsam vor sich. Katastrophen kamen als Ursache nicht in Frage. Wer etwas anderes behauptete, machte sich lächerlich.
Dem Spott konnten die Verfechter der Alvarez-Theorie ein überzeugendes Indiz entgegensetzen: Die Forscher hatten bei Gubbio, einem kleinen Ort im italienischen Apennin, in der Tonschicht an der Kreide-Tertiär-Grenze – eben die Schicht, die das Ende der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren markiert – einen hohen Gehalt an Iridium entdeckt, das in dieser Konzentration nur durch einen größeren Meteoriten auf die Erde gelangt sein konnte.
Ihr Fund löste eine fieberhafte Suche nach weiteren Hinweisen für den Meteoriteneinschlag aus. Bald stellte sich heraus, daß die Iridium-Anomalie weltweit verbreitet ist. In der verdächtigen Grenzschicht finden sich manchmal auch Kügelchen aus geschmolzenem Glas und Quarzkristalle mit veränderter Kristallstruktur. Doch manche Geowissenschaftler ließen sich davon kaum beeindrucken. So behaupteten Charles Officer und Charles Drake vom Dartmouth College in New Hampshire: Vulkanausbrüche, die nachweislich zur Zeit des großen Sterbens in Indien stattfanden, könnten alle diese Phänomene genausogut erklären. Und sie fragten, wo denn der riesige Krater sei, der einen Einschlag zweifelsfrei beweisen könne.
Selbst als 1990 ein verschütteter Krater in Yucatan entdeckt wurde, der von seinem Alter wie von seiner Größe her ein passender Kandidat war, brachte das die Zweifler nicht zum Verstummen. Noch heute ist zu hören, der riesige “Chicxulub-Krater”- so genannt nach dem kleinen Dorf Puerto Chicxulub in seiner Mitte – könne auch der Rest eines Vulkans sein. Dabei existiert auf der ganzen Erde kein Vulkankrater vergleichbarer Größe.
“Es wird immer so getan, als seien die Untersuchungen abgeschlossen”, beschwert sich der Karlsruher Paläontologe Prof. Wolfgang Stinnesbeck, der lange in Mexiko geforscht hat. “Ich halte es zwar für wahrscheinlich, aber nicht für bewiesen, daß es einen Einschlag gegeben hat. Und wenn ja, ist es fraglich, ob er für das Massensterben verantwortlich ist.” Prof. Dieter Stöffler, Meteoritenexperte von der Berliner Humboldt-Universität, machen solche Aussagen zornig. Schon vor 25 Jahren hat er ähnliche Diskussionen erlebt, als es um die Herkunft des kleineren Nördlinger Ries in der Schwäbischen Alb ging.
Auch damals kamen die Gegner der Einschlagtheorie auf abenteuerliche Ideen, um einen Meteoritentreffer wegzudiskutieren. “Daß der Chicxulub-Krater durch einen Meteoriten verursacht wurde, steht fest”, ist Stöffler überzeugt. “Streiten läßt sich nur über die Folgen.”
Unter den deutschen Forschern steht der Paläontologe Stinnesbeck mit seiner Meinung alleine da. Prof. Rolf Emmermann, Leiter des Geoforschungszentrums Potsdam und Koordinator eines internationalen Bohrprogramms im Krater, betont: “Für mich und andere gibt es nicht den geringsten Zweifel, daß es sich um einen Meteoriteneinschlag handelt.”
Immer mehr Indizien sprechen dafür, daß Chicxulub der Ort ist, von dem die Auswurfgesteine in der näheren Umgebung und die Glaskügelchen in der Grenzschicht überall auf der Welt stammen. Der Meteoriteneinschlag verrät sich zweifelsfrei durch “geschockte” Quarze: Quarzkristalle mit mehrfach verschobenem Kristallgitter, zwischen denen sich Lamellen aus Glas eingelagert haben. “Diese geschockten Kristalle entstehen nur bei einem gewaltigen Druck von fünf Gigapascal”, sagt Dr. Alexander Deutsch vom Institut für Planetologie an der Universität Münster.. “Und solche Drücke gibt es nur bei Meteoriteneinschlägen. Jeder Vulkan geht vorher in die Luft.”
Ein wesentliches Argument der Paläontologen gegen die Meteoritenthese war lange Zeit die Tatsache, daß die Fossilien vieler Lebewesen schon einige Meter unterhalb der Grenzschicht nicht mehr zu finden sind. Zweifler folgerten: Sie mußten schon vor dem Einschlag ausgestorben sein.
Doch das letzte Fossil muß nicht unbedingt vom letzten Vertreter einer Art stammen, da Fossilien nur unter ganz bestimmten Bedingungen entstehen. Je größer ein Tier ist und je weniger Individuen eine Art hat, desto weniger Fossilien bilden sich. Dazu kommt, daß auf dem Land tierische und pflanzliche Überreste schlechter erhalten bleiben als im Meer, weil die Gesteine dort sofort wieder abgetragen werden. Deswegen läßt sich insbesondere das Aussterben der Dinosaurier nicht sehr genau datieren. Ob der letzte Dinosaurier tatsächlich in den finsteren Monaten nach dem Einschlag starb , wird sich anhand fossiler Überreste vermutlich nie entscheiden lassen.
Auch die Fossilien von Einzellern machen es den Forschern schwer: Oft lassen sie sich kaum bestimmten Arten zuordnen. Alvarez schlug den Paläontologen vor, das Problem mit statistischen Methoden zu lösen. Dazu kam es erst vor ein paar Jahren: Paläontologen führen inzwischen Blindtests durch, um zu entscheiden, welche der vielen, oft schwer zu unterscheidenden Arten der einzelligen Foraminiferen in einer bestimmten Schicht – also zu einer bestimmten Zeit – schon ausgestorben waren. Dabei erfahren die Testforscher nicht, welches Alter eine Probe hat. Das soll verhindern, daß der Wunsch nach einem bestimmten Ergebnis das Urteil beeinflußt. “Endlich hat die Paläontologie das 20. Jahrhundert erreicht”, kommentierte der Paläontologe Peter Ward von der Universität Washington einen der ersten Blindtests vor drei Jahren. Er selbst wechselte ins Lager der Einschlagsverfechter, als er bei genauen Untersuchungen die Fossilien von Ammoniten wenige Zentimeter unter der Grenzschicht fand, wo er sie schon lange ausgestorben glaubte.
Chicxulub wird die Geowissenschaftler wohl noch lange beschäftigen. Erst seit einigen Monaten steht der Durchmesser des Kraters mit 180 bis 200 Kilometern ungefähr fest. Oberflächlich ist von Chicxulub nämlich nichts zu sehen, da er unter einer kilometerdicken Sedimentschicht aus dem Tertiär begraben ist. Frühere Messungen hätten auch einen Durchmesser von 300 Kilometern zugelassen. Chicxulub ist eine Nummer kleiner als der Sudbury-Krater in Kanada und der Vredefort-Krater in Südafrika, die mit knapp 300 Kilometer Durchmesser die größten Meteoriten-Krater auf der Erde sind.
Unklar ist noch, unter welchem Winkel der Himmelskörper auf der Erde einschlug. Die amerikanischen Forscher Peter Schultz und Steven d’Hondt glauben, daß der Meteorit die Erde relativ flach getroffen hat. Das schließen sie aus lokalen Veränderungen der Erdanziehungskraft, des sogenannten Schwerefeldes: Sie lassen eine leicht ovale Kraterform erkennen.
Für Überraschung sorgte ein Fund britischer Wissenschaftler: Chicxulub besteht aus mehreren konzentrischen Ringen – wie andere große Krater im Sonnensystem. Eine solche Struktur war auf der Erde bisher nicht bekannt. Man nahm an, daß die Ringe auf anderen Planeten entstehen, wenn der Kraterboden nach dem anfänglichen Druck durch eine Entlastungswelle wieder emporgehoben wird. Die Chicxulub-Daten zeigen jedoch, daß die gesamte 35 Kilometer dicke Erdkruste an den Stellen, wo in den Schweredaten Ringe zu sehen sind, direkt beim Einschlag zerbrochen sein muß.
Um endlich genaueres zu wissen, soll in diesem Jahr im Krater vier bis fünf Kilometer tief gebohrt werden. Bei einem internationalen Bohrprogramm steht Chicxulub ganz oben auf der Wunschliste. Die Wissenschafter wollen unter anderem herausfinden, wie der gewaltige Meteoriteneinschlag die Umwelt damals verändert hat – immerhin wurde dabei auf einen Schlag etwa ein Zehntel der heutigen Kohlendioxid-Menge der Atmosphäre frei.
Ute Kehse