Jeder kennt das: Man fürchtet sich oder friert und plötzlich stellen sich die Härchen an den Armen auf. Nun sind Forscher dem haarsträubenden Phänomen auf den Grund gegangen.
“Verantwortlich dafür sind kleine Muskeln an den Haarfollikeln, die die Haare aus ihrer normalen, liegenden Position in eine senkrechte ziehen”, erläutert Christian Kaernbach, Psychologe an der Universität Kiel. Bei den dicken Kopfhaaren kommen die winzigen Muskeln allerdings meist nicht wirklich gegen das Gewicht der Haare an, so dass der Effekt dort nicht oder kaum zu sehen ist. Anders steht es jedoch bei den feinen Härchen im Nacken oder an Armen und Beinen: Sie können sich durchaus vollständig senkrecht stellen – ein Effekt, der auch Piloerektion genannt wird. Gesteuert werden die kleinen Muskeln vom autonomen Nervensystem des Körpers, ohne Beteiligung des Bewusstseins.
“Am bekanntesten ist das sicherlich bei Kälte, bei der klassischen Gänsehaut”, sagt Kaernbach. Diese Reaktion gibt es auch bei vielen Tieren, die ihr Fell oder ihr Federkleid aufstellen, um ein Luftpolster zu erzeugen und damit ihre Körperoberfläche besser zu isolieren. Beim Menschen mit seinen paar Haaren habe man dagegen lange gedacht, es sei lediglich ein Relikt aus grauer Vorzeit, als er ebenfalls noch ein dichtes Fell hatte, erzählt Kaernbach. Er selbst glaubt das nicht: “Ich denke, dass die aufgerichteten Haare durchaus in der Lage sind, das Mikroklima auf der Haut zu verändern”, sagt der Experte, der zusammen mit seinen Mitarbeitern extra ein Kamerasystem entwickelt hat, um den Geheimnissen der Gänsehaut auf die Spur zu kommen.
Denn nicht nur die Temperatur, sondern auch Gefühle können einem die Haare zu Berge stehen lassen. Besonders gut gelingt das der Angst: Ob sich nun im dunklen Kino beim Horrorfilm lediglich die Härchen auf den Armen aufrichten oder sich bei einem unbekannten nächtlichen Geräusch die Nackenhaare sträuben – Furcht, Schrecken und sogar ein diffuses Unbehagen lösen sehr häufig eine Piloerektion aus. Mit diesem Trick sollten ursprünglich wohl potenzielle Angreifer vergrault werden, sagt Kaernbach, denn: “Wer sein Fell aufplustert, wirkt optisch größer und gaukelt damit einem Feind vor, er sei stärker als er tatsächlich ist.”
Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass auch Wut und Aggression eine ähnliche Reaktion auslösen können – allerdings nur bei Gorillas, nicht beim Menschen. Dabei wäre es bei einer wütenden Konfrontation doch ebenfalls nützlich, imposanter zu erscheinen. “Warum sich bei den Menschenaffen die Haare an den Schultern aufrichten, beim Menschen aber nicht, wissen wir nicht”, sagt der Gänsehaut-Experte.
Noch rätselhafter ist für die Wissenschaftler, wie und warum bestimmte Musikstücke oder romantische Filmsequenzen die Haare zu Berge stehen lassen. “Es gibt dazu zwei Hauptthesen”, erläutert Kaernbach. Die erste, die sogenannte Peak-Arousal-These, betrachtet eine solche Gänsehaut als Begleiterscheinung eines Zustandes höchster Erregung. Allerdings: “Unsere Messungen von anderen Erregungsparametern wie Herzschlag und Hautwiderstand passen nicht so richtig dazu”, sagt Kaernbach. Er neigt eher zu einer anderen Erklärung: Bestimmte Anteile der Musik könnten den Rufen ähneln, die verlorene oder verlassene Tierkinder von sich geben. Diese Laute sind für die Mutter verbunden mit einem Gefühl von Verlust und sozialer Kälte – und genau deswegen lösen sie Gänsehaut aus. “Wenn Sie sich die Situationen oder auch Erinnerungen einmal genauer anschauen, die eine solche emotionale Gänsehaut hervorrufen, hat das eigentlich immer mit einer Gefühlsmischung zu tun – immer spielen Melancholie oder Trauer eine gewisse Rolle”, erläutert der Psychologe.
Es gibt übrigens auch Menschen, die bei sich selbst absichtlich eine Gänsehaut hervorrufen können. Was diese Menschen auszeichnet und wie sie ihr autonomes Nervensystem überlisten, das untersuchen Kaernbach und sein Team im Moment. Wem das alles zu kompliziert ist, der kann seine Haare aber natürlich auch noch auf eine ganz andere Art zu Berge stehen lassen – und zwar mit Hilfe des aus dem Physikunterricht weithin bekannten Bandgenerators: Fasst man ihn an, sorgt elektrischer Strom dafür, dass sich die Kopfhaare statisch aufladen und gegenseitig abstoßen. Als Folge stehen sie zu Berge.
Quelle: dapd