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Das Zauberwort: Dematerialisieren

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Das Zauberwort: Dematerialisieren
Unser Ressourcenverbrauch läßt sich bei gleichem Wohlstand auf ein Zehntel reduzieren, behauptet Prof. Friedrich Schmidt-Bleek, Gründer des Faktor-10-Clubs.

bild der wissenschaft: Auf der Erde gibt es immer mehr Menschen und die wollen immer mehr Wohlstand. Sie, Herr Prof. Schmidt-Bleek, behaupten, daß wir den Ressourcenverbrauch dennoch um den Faktor 10 verringern könnten. Verraten Sie uns bitte, wie das gehen soll.

Schmidt-Bleek: Die Botschaft lautet: Eine ökologisch optimierte Volkswirtschaft kommt mit einem Zehntel des derzeitigen Rohstoff- und Engergieverbrauchs aus, ohne daß der allgemeine Wohlstand leidet. Um das zu erreichen, müssen wir allerdings unsere Intelligenz bemühen. Schließlich ist es uns schon einmal gelungen, die Arbeitswelt zu revolutionieren. Als die Sozialgesetzgebung im letzten Jahrhundert dafür sorgte, daß Kinderarbeit abgeschafft, Ferien eingeführt und Pensionszahlungen verbrieft wurden, verteuerte sich menschliche Arbeit. Folge war, daß die Wirtschaft Arbeitskraft durch immer intelligentere Maschinen ersetzte und so die Arbeitsproduktivität bis heute um mindestens den Faktor 50 erhöhte. Einen ähnlichen Anreiz, um Ressourcen zu schonen, hatten wir bis heute nicht. Ich bin fest davon überzeugt, daß Technik auch hier zu einer Effizienzrevolution führt, wenn der Druck stark genug ist.

bild der wissenschaft: Wie reagiert die Industrie auf Ihr Ansinnen?

Schmidt-Bleek: In den letzten zehn Monaten konnten wir Dutzenden von kleinen und mittleren Betrieben zeigen, wie stark sie ihren materiellen Verbrauch von Ressourcen zurückdrängen können, ohne daß die Produktion dadurch in irgendeiner Weise behindert oder die Produkte schlechter wären. So konnten wir bei einem österreichischen Kinderwagenhersteller, der bereits nach ökologischen Gesichtspunkten produzierte, den Ressourcenverbrauch pro Kinderwagen auf ein Viertel reduzieren – allein deswegen, weil wir Aluprofile durch Stahlprofile ersetzten.

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bild der wissenschaft: Das hört sich gut und vernünftig an, aber ein bißchen trivial. Es dürfte nicht immer so einfach sein, die Ressourcenproduktivität zu steigern.

Schmidt-Bleek: Eben deshalb haben wir uns auch mit ganz anderen Dingen beschäftigt, etwa dem Bau von Häusern. Auch hier läßt sich der Massenfluß um den Faktor 4 bis 6 reduzieren, wenn man von Beton- oder Ziegelhäusern auf Häuser übergeht, die vorwiegend aus Holz bestehen. Im Verkehr kann man den Faktor 20 bis 30 einsparen, wenn man kleine, langlebige Autos baut, in denen Metalle weitgehend durch faserverstärkte Kunststoffe ersetzt sind.

bild der wissenschaft: Was sind für Sie die wichtigsten Punkte, um Ihr Konzept in Unternehmen zu verankern?

Schmidt-Bleek: Hersteller wirklich innovativer Produkte haben gute Chancen, Marktnischen zu besetzen. Denn sie produzieren für die Märkte von morgen. Wer ein wirklich langlebiges Produkt anbietet, kann dem Kunden ganz andere Garantiezeiten einräumen als die üblichen sechs Monate. Des weiteren kann man Geräte mit Rücknahmegarantie anbieten. Zum Nutzen des Kunden: Er weiß, wie er sein Gerät entsorgen kann. Zum Nutzen des Produzenten: Auch bei veralteten und scheinbar verbrauchten Geräten kann ein hoher Prozentsatz der eingebauten Werksteile wieder aufgearbeitet werden, um in fabrikneuen Apparaten erneut eine Funktion zu erfüllen.

bild der wissenschaft: Und wie soll die Umorientierung auf breiter Basis gelingen?

Schmidt-Bleek: Beispielsweise durch die öffentliche Hand mit ihrem 20prozentigen Anteil am gesamten Einkaufsvolumen unserer Volkswirtschaft. Sie müßte viel stärkeren Einfluß ausüben. Warum sollten Politiker ihre Verwaltungen nicht zwingen, nur Produkte einzukaufen, die mit Hilfe von möglichst wenigen Ressourcen – also dematerialisiert – hergestellt wurden.

bild der wissenschaft: Was schlagen Sie konkret vor?

Schmidt-Bleek: Erstens ist sehr viel mehr Öffentlichkeit nötig. Daran arbeiten wir. So bauen wir in Schweden derzeit das erste Faktor-10-Institut auf. In Japan besteht an einem ähnlichen Projekt großes Interesse. Auch in Österreich stoßen unsere Überlegungen auf fruchtbaren Boden. Selbst Bundesumweltministerin Angela Merkel hat erklärt, daß wir die Ressourcenproduktivität bis zum Jahr 2020 um den Faktor 2,5 erhöhen sollten. Wir sind also auf gutem Weg. Als ich die Gedanken um Faktor 10 erstmals 1992 zur Sprache gebracht habe, wurde ich von den Energie- und Verkehrsexperten ausgelacht. Zweitens halte ich eine Revision der Staatsfinanzierung für dringend nötig. Bisher wird die Steuer zu mehr als 80 Prozent auf Einkommen erhoben. Wenn wir statt dessen den Naturverbrauch ins Zentrum der Besteuerung stellen, tun wir sowohl dem einzelnen als auch der Umwelt etwas Gutes.

bild der wissenschaft: Stört es Sie nicht, daß die von Ihnen ins Auge gefaßte Umorientierung der Wirtschaft Arbeitsplätze vernichten würde?

Schmidt-Bleek: Zusammen mit dem Präsidenten des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, Prof. Franz Lehner, arbeite ich an einem Buch, in dem es um strukturelle Veränderungen in Betrieben geht. Darin weisen wir nach, daß ein Land wie Deutschland mit den gegenwärtigen Wirtschaftsoptimierungen keinesfalls in der Lage ist, die Arbeitslosenrate ernsthaft zu reduzieren. Um das zu erreichen, brauchen wir Änderungen im System. Eine wäre, Ressourcen steuerlich zu verteuern und parallel die Kosten menschlicher Arbeit zu verbilligen. Eine entscheidende Voraussetzung für die Dematerialisierung der Technik besteht darin, Produkte so zu konstruieren, daß sie länger leben. Wir müssen von einer Ressourcenentwertungswirtschaft zu einer Systemerhaltungswirtschaft übergehen. Dadurch entstehen ungleich mehr Arbeitsplätze. Natürlich hat die Produktionswirtschaft daran zunächst kein Interesse. Ihr Einfluß schwindet, weil kleine und mittlere Betriebe viel flexibler sind, wenn es um die Instandsetzung geht.

bild der wissenschaft: Mehr als je zuvor definieren sich Bürger über Technik und Kleidung, die gerade chic ist. Wohlstand heißt besitzen. Diesen gesellschaftlichen Trend wollen Sie unterbinden?

Schmidt-Bleek: In der Tat besteht ein gewaltiger Drang zu innovativen, neuen Produkten. Auch der Faktor-10-Club will etwas Neues. Ich denke deshalb, daß unsere Gedanken in die Zeit passen und nur geschickt vermarktet werden müssen. Im übrigen ist es ein Mißverständnis anzunehmen, daß ich gegen neue Produkte bin. Ich will nur, daß sie ressourcenschonend hergestellt werden. Wir haben gezeigt, daß eine billige Plastikkamera, die man nach der Filmbelichtung abgibt, umweltfreundlicher ist als eine teure Spiegelreflex. Ursache ist, daß sie bis zu 80mal im Werk umgerüstet und neu in den Handel gebracht werden kann, ehe die Rohstoffe wirklich zum Abfall gelangen. Die Philosophie, nutzen zu wollen ohne besitzen zu müssen, muß durch Marketing in die Köpfe hinein.

bild der wissenschaft: Kunststoffe haben es Ihnen offenbar angetan. In ihrem Buch “Das MIPS-Konzept” entwerfen Sie ein Szenario, bei dem Menschen des Jahres 2005 Kunststoffzeitungen lesen, weil diese umweltfreundlicher zu produzieren und recyceln seien als Papier.

Schmidt-Bleek: Die Plastik-Phobie vieler, die ich im übrigen auch einmal hatte, resultiert doch in erste Linie daraus, daß man Plastik als visuelle Beleidigung auffaßte. Doch daran hat sich vieles geändert. Kunststoffe sind unter Ressourcengesichtspunkten ungleich harmloser zu beurteilen als etwa der Bau von Straßen oder Brücken.

bild der wissenschaft: Vergleichen sie hier nicht Äpfel mit Birnen?

Schmidt-Bleek: Ich glaube kaum. Die ökologischen Rucksäcke – also der gesamte Naturverbrauch – bei der Herstellung von Beton und Stahl sind nun einmal größer als bei Plastik. Im übrigen nimmt die Verkehrsinfrastruktur viel Fläche ein, entzieht sie also ihrer natürlichen Funktionen.

bild der wissenschaft: Ende 1997 sind Sie altershalber aus dem Wuppertal-Institut ausgeschieden. Ist es nun schwieriger, für Faktor 10 zu trommeln?

Schmidt-Bleek: Im Gegenteil. Endlich kann ich losgelöst von Verwaltungsaufgaben und Personalfragen arbeiten. Die Ideen des Faktor-10-Clubs zusammen mit kleinen und mittleren Unternehmen diskutieren und umsetzen kann ich eigentlich erst jetzt. Dafür hatte ich beim Wuppertal-Institut kaum Zeit.

bild der wissenschaft: Haben Sie Ihre Gedanken so weit verinnerlicht, daß Sie im Restaurant Essen und Getränke nach Gesichtspunkten der Ressourcenproduktivität aussuchen?

Schmidt-Bleek: Zugegebenermaßen selten. Dazu esse und trinke ich zu gerne. Ich habe aber deswegen kein schlechtes Gewissen. Ich halte nicht sehr viel von mageren Weltverbesseren – von Ghandi einmal abgesehen.

Friedrich Schmidt-Bleek gründete 1994 den internationalen Faktor-10-Club in der Provence. Mitglieder dieser illustren Gemeinschaft sind ehemalige Minister, Industrielle oder Wissenschaftler. Ihr Ziel: den Naturverbrauch so einzudämmen, daß für die gleiche Dienstleistung künftig etwa nur noch zehn Prozent der heutigen Rohstoffe verbraucht werden. Die wesentlichen Gedanken hierzu schrieb Prof. Schmidt-Bleek in seinem Buch “Das MIPS-Konzept: weniger Naturverbrauch – mehr Lebensqualität durch Faktor 10” nieder, das vor kurzem bei Droemer erschienen ist. Schmidt-Bleek (Jahrgang 1932) war von 1992 bis zu seiner Pensionierung 1997 Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Davor arbeitete der promovierte Physikochemiker am Umweltbundesamt in Berlin (er gilt als einer der Väter des deutschen Chemikaliengesetzes); bei der OECD in Paris und am IIASA-Institut in Laxenburg bei Wien. Heute lebt er in Carnoules/Provence.

Wolfgang Hess / Friedrich Schmidt-Bleek

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