Die Wende begann vor etwa einem Jahr: Bis dahin erhielt Klaus Dostert, Professor am Institut für Industrielle Informationstechnik der Universität Karlsruhe, nur spärlich Unterstützung aus der freien Wirtschaft für seine Arbeiten an der Powerline-Telekommunikation. “Das hat sich seitdem grundlegend geändert”, sagt er. Die Beratungsgesellschaft Eutelis Consult in Ratingen organisiert seit April 1997 regelmäßige Treffen – Manager und Ingenieure deutscher Energieversorgungsunternehmen stehen seitdem Schlange.
Hinter dem Begriff “Power-line-Telekommunikation” ver-birgt sich eine Technik, mit der herkömmliche Niederspannungsleitungen – etwa solche mit 230 Volt – auf neue Weise genutzt werden können: zur Übertragung von Daten, Sprache und Bildern. Damit könnten die Stromkonzerne ein flächendeckendes Telekommunikationsnetz knüpfen, das bis in jeden einzelnen Haushalt und sogar bis in jeden einzelnen Raum reicht. “Diese Infrastruktur ist eine Alternative zum herkömmlichen Telefonnetz und zu ISDN-Fähigkeiten. Es gilt, sie nutzbar zu machen”, erklärt Thomas Kautz von Eutelis Consult.
Das Interesse der Branche ist groß: In den vorhandenen Telekommunikationsnetzen gilt der “letzte Kilometer” zwischen Kunde und Einwahlknoten als das weitaus teuerste Stück des Netzes, denn diese Anbindung muß individuell für jeden Kunden verlegt werden. Welche Bedeutung der letzte Kilometer für den wirtschaftlichen Wettbewerb hat, zeigt das Hickhack der letzten Monate zwischen der Telekom und den neuen Telefongesellschaften um die Nutzungsgebühren für das Netz des ehemaligen Monopolisten.
Daß es grundsätzlich möglich ist, Daten über das Stromnetz zu übermitteln, nutzen die Energieversorger schon seit Jahrzehnten: Über Hochspannungs-Überlandleitungen schikken sie Informationen, die zum Betrieb des Netzes wichtig sind – beispielsweise Daten über die Belastung einzelner Umspannwerke. Der energietragenden 50- Hertz-Wechselspannung werden dazu hochfrequente Signale überlagert. Die Energieversorgungsunternehmen haben bisher den Weg zwischen Transformator und Wohngebäuden ausgespart. Denn je verzweigter das Netz ist, um so mehr Störungen gibt es – etwa durch das Ein- und Ausschalten von Elektrogeräten. Außerdem könnten die übertragenen Signale selber wieder Hausgeräte mit empfindlicher Elektronik stören – beispielsweise moderne Waschmaschinen und Hifi-Anlagen.
Trotzdem wird die Übermittlung geringer Informationsmengen mit kleiner Sendeleistung im Haus schon länger praktiziert: Via Baby-Phone und Stromleitung können Eltern ihre Kinder überwachen. Doch für das Telefonieren oder das Internet-Surfen müssen große Datenmengen über lange Strecken in kurzer Zeit übertragen werden. Daß dies per Stromleitung technisch möglich ist, hält der Karlsruher Experte Dostert inzwischen für nachgewiesen. Und: “Die Technik dazu ist grundsätzlich einfacher zu beherrschen als Mobilfunk in dicht bebauten Siedlungen.”
Bei der Entwicklung der Powerline-Telekommunikation arbeiten Hochschulen und Industrie inzwischen Hand in Hand: An vier deutschen Universitäten messen Forscher bis ins Detail die Eigenschaften des Strom-netzes als Kommunikationskanal. Außerdem werden Computerprogramme entwickelt, mit denen sich diese Eigenschaften modellieren lassen. Ohne daß die Ingenieure aufwendige Feldversuche starten müssen, können sie so verschiedene Übertragungstechniken testen. Denn in deren Entwurf liegt eines der Geheimnisse der Powerline- Telekommunikation: Ausgefeilte Methoden zur Signal-Modulation und -Kodierung helfen Schwierigkeiten durch die vielfältigen Störungen innerhalb des Stromnetzes zu überwinden.
Auch wenn Dostert und sein Essener Kollege Prof. Hans Vinck unabhängig voneinander schon Modems gebaut haben, die digitale Informationen mit Datenraten von einigen Kilobit pro Sekunde zuverlässig übertragen können: Bei der künftigen Powerline Geräte- und Systementwicklung ist vor allem die Industrie gefragt. Dort fürchtet man die Konkurrenz – und äußert sich über die technologischen Fortschritte entsprechend zurückhaltend.
Am weitesten in Deutschland scheint der Elektronikriese Siemens zu sein. Er hat ein Powerline-Produkt-Gesamtpaket für die nächsten Monate angekündigt, mit dem alternative Betreiber den bisherigen Telekommunikations-Netzen Konkurrenz machen können. Teil dieses Pakets ist neben einem Modem für den Kunden-Haushalt ein Gerät, das die Schnittstelle zwischen Stromnetz und Telekommunikationsleitungen bildet. Es soll in der Nähe des Niederspannungstransformators angebracht werden können, der den zu versorgenden Haushalten am nächsten liegt.
Ein Konsortium von Energieversorgungsunternehmen – bestehend aus den Hamburgischen Elektricitäts-Werken, den Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerken Köln und der Berliner Kraft- und Licht-(Bewag) AG hat vor kurzem eine Entwicklungskooperation gegründet: “Eine Reihe von Partnern aus Wissenschaft und Industrie soll im Auftrag des Konsortiums Powerline-Produkte, -Systeme und -Dienstleistungen entwickeln”, gibt Frank Brandt, verantwortlich für das Thema Telekommunikation bei der Bewag, zu Protokoll.
Die Zeit drängt: Angesichts der Privatisierung des Marktes ordnet sich die Telekommunikationsbranche gerade neu – die Weichen für neue Technologien werden jetzt gestellt. Die Powerline-Telekommunikation konkurriert dabei mit Verfahren, die den letzten Kilometer per Funk oder Kabelfernsehnetz übertragen. “Die Datenleitung über das Stromnetz muß in zwei Jahren marktreif sein – sonst ist der Zug abgefahren”, meint Thomas Kautz von Eutelis Consult.
Dabei kämpfen die an Powerline interessierten Unternehmen nicht nur mit technischen Problemen. Denn sie sind darauf angewiesen, daß die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation einen breiteren Frequenzbereich als bisher für die Datenübertragung zuläßt – nur dann kann die digitale Information mit hoher Geschwindigkeit übermittelt werden.
Angesichts dieser Schwierigkeit und hoher Investitionskosten finden manche Skeptiker das momentane Interesse an der Powerline Technologie übertrieben groß. Doch die neue Technologie ist nicht nur für das Telefonieren und das Internet einsetzbar: Mit ihr könnten Selbstbedienungs-Automaten und gewerbliche Kühlräume ebenso aus der Ferne überwacht und gesteuert werden wie Rollläden, Geräte und Heizung in privaten Haushalten. Außerdem wären die Energiekonzerne in der Lage, vom Werk aus zum Beispiel Stromund Gaszähler abzulesen.
Die deutsche Industrie will mit der Powerline-Technologie auch einen riesigen, anderen Markt erschließen: Im Gegensatz zu Telefonleitungen gibt es ausgebaute Stromnetze selbst in den endlegensten Winkeln der Erde. Frank Brandt von der Bewag ist überzeugt: “Asien, Südafrika und Osteuropa werden die Powerline-Telekommunikation aufnehmen wie ein ausgetrockneter Schwamm das Wasser.”
Frank Frick