Wer Brian Josephson von ferne sieht, könnte ihn für einen Bruder Woody Allens halten. Der 57jährige Professor geht gern mit gesenktem Kopf, seine Bewegungen sind oft ungelenk, und sein schmaler, fast schmächtiger Körper ist von einer Aura der Unsicherheit umgeben. Niemand würde in diesem bleichen, kleinen Mann einen der berühmtesten Physiker des Jahrhunderts vermuten.
Er ist nachlässig gekleidet, sein inzwischen graues Haar fällt ihm lockig in den Nacken. Zu dieser Erscheinung paßt, daß er schon vor 15 Jahren fast immer mit Rucksack anzutreffen war, zu einer Zeit also, als ein derartiges Requisit lediglich von Wanderern und Bergsteigern geschätzt war.
Einem Blick hält er nicht stand, und wenn er irgendwo allein sitzt, schließt er oft hinter seiner dicken Brille die Augen und schottet sich von der Außenwelt ab. Vielleicht meditiert er dann, man weiß es nicht. Sein völlig leeres Gesicht erweckt in solchen Augenblicken den Anschein, als würde er tief und traumlos schlafen.
Bei seinen öffentlichen Vorträgen erregt er mitunter durch unfreiwillige Komik Heiterkeitsstürme bei den Zuhörern: Wenn er die viel zu winzig beschrifteten Overhead-Folien meist falsch herum auflegt, den Zeige-Laser fallenläßt, die Höhe des Tisches verstellt, wobei dieser fast abstürzt, oder wenn er einen Film mit doppelter Geschwindigkeit vorführt, “weil sonst die Zeit nicht mehr ausreicht” und damit den Synchrondolmetscher zur Verzweiflung treibt.
Dabei ist Brian D. Josephson weltberühmt seit einem Alter, in dem andere noch an ihrer Dissertation feilen. Mit 28 machte er eine bahnbrechende Entdeckung, für die er fünf Jahre später, 1973, als einer der jüngsten je geehrten Physiker den Nobelpreis erhielt: den Josephson-Effekt.
Er beruht auf dem Tunneleffekt der Quantenphysik, nach dem Teilchen auch Hindernisse überwinden können, für die ihre Energie eigentlich nicht ausreicht. Josephson – sowie der Japaner Leo Esaki und der Amerikaner Ivar Giaever – haben dieses Phänomen in die Welt der Supraleiter übertragen: Bei sehr tiefen Temperaturen – so fanden sie heraus – fließt ein Strom ungehindert durch einen Supraleiter, auch wenn dieser durch einen dünnen Isolator unterbrochen wird. Dieser Tunneleffekt läßt sich durch einen Steuerstrom innerhalb von wenigen billionstel Sekunden ein- und ausschalten. Die Anwendung des Josephson-Effekts in Dünnschicht-Elementen steigerte die Meßgenauigkeit von Spannungsdetektoren und eröffnet Perspektiven für künftige superschnelle Computer. “Meine Kollegen hielten meine Theorie anfangs für reine Spinnerei”, erzählt Josephson noch heute mit leisem Triumph in der Stimme. “Deshalb war es eine große Genugtuung, als ich den Nobelpreis dafür bekam.”
Unterdessen hat sich Josephson auf ein Gebiet verlegt, das von seinen Fachkollegen als absolut unseriös betrachtet wird: die Parapsychologie. “Schon als ich von 1972 bis ’74 an der Universität von Illinois arbeitete, begann mich die Physik im Grunde zu langweilen”, erzählt er. “Ich entdeckte damals die Meditationstechniken des Maharishi Mahesh Yogi, die mich faszinierten.” Seither beschäftigt sich Josephson mit Fragen der außer-sinnlichen Wahrnehmung, Telepathie, Psychokinese und ähnlichem. Sein Gehalt bezieht er aber weiter als Professor für Physik der englischen Universität Cambridge, was ihm und seiner Familie die materielle Unabhängigkeit garantiert.
Die Verbindung zur Physik hat er schon allein aus diesem Grund nicht völlig aufgegeben. Er grübelt beispielsweise über der Frage: “Was verbindet den Menschen mit dem Kosmos?” und sucht Antworten darauf in der Welt des Subatomaren, der Quantenphysik.
Frühere Fachkollegen wie etwa sein Mit-Laureat Ivar Giaever wenden sich mit Grausen von Josephsons wissenschaftlichen Theorien ab: Mit allem Nachdruck, so der in Norwegen geborene Giaever, wolle er sich von Josephsons neueren Arbeiten distanzieren, wiewohl auch Giaever in jüngster Zeit sein eigentliches Fachgebiet verlassen und sich der Biologie zugewandt hat. Andere Wissenschaftler werden noch deutlicher – wenn auch nicht öffentlich: “Josephson spinnt doch.”
Gegen eine solche Wand von Widerständen anzurennen ist schwer und erklärt sicherlich auch einen Teil der Unsicherheit des Briten. Trotzdem fühlt er sich im Recht: “Ich möchte keine Namen nennen, aber zum Teil verhalten sich die Kollegen ziemlich unfair mir gegenüber”, beklagt er sich.
Was Wunder, fühlt sich doch Josephson nicht immer verpflichtet, an die Experimente der Parapsychologie ebenso strenge wissenschaftliche Regeln anzulegen wie an seine einstigen physikalischen Arbeiten.
So schrieb er 1991: “Die auf eine modellhafte Abbildung der Natur gestützte wissenschaftliche Methode darf nicht als etwas angesehen werden, das im Grundsatz alle Fragen beantworten kann. Unser Geist hat bei unserem Naturverständnis eine entscheidende, direkte Rolle zu spielen, und diese Rolle läßt sich nicht gänzlich durch die Ergebnisse einer formalistischen physikalischen Anschauung ersetzen.”
Derartig intuitives Vorgehen hat Josephson dazu gebracht, immer wieder auf Dinge einzugehen, die er zunächst begeistert weitertrug, um dann wenige Jahre später nichts mehr davon wissen zu wollen. Immerhin betrachtet er inzwischen wenigstens die “Seriosität” weltweiter parapsychologischer Experimente mit etwas kritischeren Augen.
Zur Zeit versucht er zudem, die Geheimnisse des menschlichen Geistes und zum Teil auch die der Seele durch komplizierte physikalische Theorien zu erklären. Ihm kommen dabei Grenzgebiete zugute, die es in der Physik bis heute gibt und in denen immer noch nicht sämtliche Phänomene befriedigend erklärt werden können. So vermutet Josephson einmal, Telepathie sei durch die String-Theorie zu erklären; die Strings müßten nur entsprechend lang werden, was nach den Regeln der Quantenmechanik durchaus sein könne. Ein anderes Mal spricht er von Nullpunkt-Oszillationen des Vakuums, aus denen sich nach der Heisenbergschen Unschärferelation unter bestimmten Bedingungen ganze Welten manifestieren können – warum also nicht auch außersinnliche Wahrnehmungen?
Besonders beschäftigt ihn die Theorie von John S. Bell, einem Physiker, der bis zu seinem Tod vor einigen Jahren am Europäischen Beschleunigerlabor Cern arbeitete. Dieser hatte fest daran geglaubt, daß es eine Wechselwirkung zwischen Teilchen geben müsse, die sich ohne zeitliche Verzögerung ausbreitet. Mit anderen Worten: Manche Teilchen “wissen” genau, was ihr jeweiliges Partnerteilchen genau gleichzeitig tut und verhalten sich entsprechend. “Ist dies nicht eine Art Telepathie zwischen diesen Teilchen?” fragt Josephson.
Theorien werden von der seriösen Fachwelt erst dann diskutiert, wenn sie in einer angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Josephson liegt deshalb schon seit längerem im Clinch mit dem renommierten britischen Fachblatt “nature”, das er mit Exposés und Leserbriefen bombardiert. Immerhin gelang es ihm 1992, in “Physics Today” einen Leserbrief unterzubringen, in dem er sich vehement gegen die dort veröffentlichten Zweifel des Kollegen Philip Anderson an übersinnlichen Phänomenen ausspricht.
“Was hat es mit der Irrationalität auf sich?” fragte er. “Ist es irrational, zuzugeben, daß unter bestimmten Bedingungen Psychokinese auftreten kann, auch wenn sie die meiste Zeit über nicht auftritt? Nicht irrationaler, glaube ich, als zuzugeben, daß es unter bestimmten, ausreichend günstigen Bedingungen möglich ist, auf einem Seil eine Schlucht zu überqueren, obwohl dies für die meisten Menschen eine unlösbare Aufgabe ist.”
Im vergangenen Jahr druckte “nature” dann doch einen Brief von Josephson ab, in dem er sich bitterlich über die Veröffentlichungspolitik der Zeitschriften beklagt, die “die Bekanntschaft des gewöhnlichen Wissenschaftlers mit der parapsychologischen Forschung sehr wirksam einschränkt.”
Um diesem Mangel an wissenschaftlichen Publikationsmöglichkeiten entgegen zu wirken, nutzt er nun eine zeitgemäßere Form der Öffentlichkeit: Er präsentiert seine Vorstellungen im World Wide Web. Unter der Adresse http://www.tcm.phy.cam.ac.uk kann sich jeder mit Josephsons geheimnisvoller Welt des Übersinnlichen auseinandersetzen.
Brigitte Röthlein